Schriesheim. Es ist das sprichwörtliche Stück aus dem Tollhaus: Eine politische Gruppierung gewinnt bei einer Wahl die absolute Mehrheit. Für die Besetzung des Chefpostens im Ort präsentiert sie daher einen offiziellen Kandidaten. Doch es taucht ein Gegenkandidat auf - aus der eigenen Fraktion, vorgeschlagen von der politischen Konkurrenz. So geschehen jetzt in Altenbach. „Von den Freien Wählern kann man lernen, wie man sich als Wahlsieger selbst zerlegt“, feixt ein Beobachter.
Der Hintergrund: Bei der zurückliegenden Kommunalwahl wird auch der Ortschaftsrat im Stadtteil Altenbach gewählt. Erstmals holen die Freien Wähler mit 53 Prozent die absolute Mehrheit der Stimmen und die Hälfte aller zehn Sitze im Ortschaftsrat. Die seit vielen Jahren prägenden Grünen haben nur noch zwei Mandate. Aus seinem schlechten persönlichen Ergebnis zieht der Grüne Christian Wolf, seit 35 Jahren im Gremium, die Konsequenz, sein Mandat nicht anzunehmen. Bei CDU und SPD bleibt es bei einem Sitz, gehalten von Karl Reidinger bzw. Karin Malmberg-Weber. Neu dagegen Stefan Bernauer für die BgS.
Erste wichtige Aufgabe des Gremiums; die Wahl des Ortsvorstehers. Als stärkster Fraktion steht das Vorschlagsrecht den Freien Wählern zu. Der bisher von ihr gestellte Ortsvorsteher Herbert Kraus, gerade 80 geworden, hat nicht mehr kandidiert. Bereits vor der Wahl beschließen die Freien Wähler, dass Carsten Junghans sein Nachfolger werden soll.
Stimmenkönig macht gute Stimmung kaputt
Doch die gute Stimmung bei den Freien Wählern ist schnell dahin. Anfang Juli meldet Rats-Neuling Stefan Wilhelm seinen Anspruch auf den Ortsvorsteher-Posten an; denn er ist Stimmenkönig, nicht nur bei den Freien Wählern, sondern von allen Kandidaten, bei der Kerwe aktiv, aber politisch ein frisches Gesicht - während Junghans bereits dem Gremium angehört, das unter einem persönlich belasteten Klima leidet.
In einem am 18. Juli veröffentlichten Offenen Brief zieht Wilhelm seine Kandidatur aber plötzlich wieder zurück. So scheint alles gelaufen, als in der konstituierenden Sitzung des Ortschaftsrates am Montagabend der scheidende Ortsvorsteher Herbert Kraus die Wahl seines Nachfolgers aufruft; der Stadt- und Ortschaftsrat der Freien Wähler, Hans Beckenbach, schlägt Junghans vor.
Der Paukenschlag folgt sofort: Karin Malmberg-Weber, Stadt- und Ortschaftsrätin der SPD, ergreift das Wort. „Wir brauchen einen Ortsvorsteher, der vermittelt und verbindet“, fordert sie und schlägt Wilhlem vor. „Wenn ein Neuling bei einer Wahl alle bisherigen Mandatsträger überholt, kann dies nicht übersehen werden“, argumentiert sie messerschaft: „Es ist einfach nicht vermittelbar, dass der Stimmenkönig nicht zum Tragen kommt.“ Lauter, lang anhaltender Beifall des Publikums.
Kraus unterbricht die Sitzung, was auf heftige Kritik im Publikum stößt: „Hier soll wohl neuer Klüngel geschaffen werden“, schimpft ein Bürger: „Das hat doch nichts mehr mit Demokratie zu tun.“ Die Sorge ist grundlos: Kraus stellt beide Bewerber zur Wahl, jedoch ohne Wilhelm zu fragen, ob er überhaupt antritt. Er könnte natürlich von sich aus ablehnen, macht er aber nicht.
Ergebnis der geheimen Wahl: sechs Stimmen für Junghans, vier für Wilhelm. Das gleiche Verhältnis bei der Wahl zum Vize: nur sechs Stimmen für Karl Reidinger. Im Vorfeld hat er als Ziel formuliert, im Ortschaftsrat „die Kräfte wieder zu einen.“ Mehr denn je ist das Illusion.
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