Vor vier Jahren war Annalena Baerbock zu Gast. An gleichem Ort, zu gleichem Anlass. Damals noch weit davon entfernt, Außenministerin zu sein. „Ich habe sie gefragt: Schriesheim, soll ich da hingehen?“, bekennt die jetzige Festrednerin. Und Baerbock habe zugeraten. So ist Ricarda Lang nun da. Und verleiht als Bundesvorsitzende der Grünen dem traditionellen Neujahrsempfang ihres Kreisverbandes Neckar-Bergstraße zusätzliche Aufmerksamkeit.
Der Zehntkeller ist denn auch voll besetzt. 200 Interessierte, wie bei anderen Parteien zumeist um die 60; der örtliche Stadtrat Bernd Molitor gehört mit seinen 38 Jahren schon zu den wenigen Jüngeren. Die Grünen, das wird hier optisch deutlich, sind gesetzter geworden, aber dennoch weiter mit dem Willen zu gestalten.
Demonstranten vor der Tür
Das können sie auch, sind sie seit 2021 doch in der Bundesregierung, stellen mit Baerbock und Robert Habeck die beliebtesten Minister. Und dennoch stehen sie unter Druck. Da ist Lützerath, ein Dorf in NRW, das unter einer grünen Vize-Ministerpräsidentin für den Braunkohleabbau platt gemacht wird. Und da ist der Ukraine-Krieg, in dem die Grünen am klarsten für Waffenlieferungen an die Bedrängten eintreten.
Das alles schwebt über diesem Abend. Vor dem Eingang baut sich eine Handvoll Gegner der grünen Ukraine-Politik auf. Laut Einschätzung der Veranstalter keine linken Pazifisten, sondern eher Rechte. „Kriegstreiber!“ ruft man der Bundesvorsitzenden entgegen. „Haben Sie sich schon als Scharfschütze für die Ukraine registrieren lassen?“, wird der Autor dieses Beitrages angegangen. Versuche grüner Parteimitglieder zum Gespräch scheitern. Hier geht es allein um Provokation.
Die Verantwortlichen lassen sich nicht provozieren. „Ich finde es gut, dass sie das können“, sagt Ricarda Lang: „In Moskau könnten sie das nicht.“ Und sie geht in die Offensive: „Ich schäme mich nicht, Feindbild der AfD, das Feindbild von Putin-Treuen zu sein.“ Und ganz still im Saal wird es, als die Grünen-Politikerin berichtet, wohin so etwas mittlerweile führt: „Annalena hat im letzten Jahr bei drei Gelegenheiten eine schusssichere Weste tragen müssen“, berichtet Lang: „Bei ihren Besuchen in der Ukraine und bei der Bundeswehr in Mali - und im Landtagswahlkampf in Niedersachsen.“
Inhaltlich ist Langs Position eindeutig: „Kriegstreiber gibt es nur einen“, sagt die selbst als solche Gescholtene: „Und das ist Wladimir Putin!“ Die Grünen, versichert sie, bleiben Friedenspartei, seien aber vor allem die Partei der Menschenrechte und der Freiheit. „Gerade als Vorsitzende der Friedenspartei Grüne“ stehe sie an der Seite der Ukrainer: „Sie verteidigen unser aller Freiheit.“
Und dann natürlich Lützerath. „Früher waren wir bei solchen Demonstrationen mit dabei“, erinnert Lang: „Plötzlich sind wir Adressat der Kritik.“ So wiederholt sie die bekannte Argumentation: RWE habe einen Rechtsanspruch, sechs Dörfer abzuräumen. Doch man habe erreicht, dass fünf erhalten bleiben und der Ausstieg aus der Braunkohle von 2038 auf 2030 vorgezogen wird.
„Dafür müssen wir uns nicht schämen“, sagt Franziska Brantner. Sie ist nicht nur Bundestagsabgeordnete dieses Wahlkreises, sondern auch Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, ihr Chef Robert Habeck Vizekanzler. Ist der nicht da, dann sitzt sie auf der Regierungsbank statt seiner neben Olaf Scholz.
Lützerath und Ukraine - „für uns ist das keine einfache Sache“, bekennt sie. „Wir müssen täglich Entscheidungen treffen, die schwierig sind.“ Aber: „Wir haben eine andere Rolle. Wir sind Regierungspartei.“
Kein OB-Kandidat in Mannheim
Und das nicht nur im Bund, sondern auch im Land und in vielen Städten: „In 69 Kommunen Baden-Württembergs sind wir die stärkste Fraktion“, erinnert Landesvorsitzender Pascal Haggenmüller, der die Partei auf die Kommunalwahl 2024 einstimmt. Er selbst wohnt in Mannheim, wo demnächst OB-Wahl ist. „Ich bin aber nicht der grüne OB-Kandidat“, sagt er schmunzelnd auf Nachfrage.
Die Gedanken gehen auch an jenen, der die Veranstaltung begründet hat: Uli Sckerl, vor einem Jahr verstorben. Die Anwesenden gedenken seiner in einer Schweigeminute. „Es bewegt uns, dass er nicht mehr da ist“, sagt seine Nachfolgerin Fadime Tuncer: „Denn er fehlt uns.“
Mit der Veranstaltung können die Organisatoren, Tuncer und der Ilvesheimer Michael Haug als Kreisvorsitzende, zufrieden sein. Und die Festrednerin ist es auch. „Wenn ich demnächst gefragt werde, ob man hierherkommen soll“, versichert Lang, „dann sage ich guten Gewissens: Ja!“ Zumal: Die letzte Festrednerin wurde bald darauf Kanzlerkandidatin und Außenministerin.
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