Schriesheim - Aus Anlass des morgigen EM-Finales: Herbert Noé erinnert sich ans WM-Endspiel 1954

Beim "Wunder in Bern" dabei

Von 
Konstantin Groß
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Der 94-jährige Schriesheimer Herbert Noé erinnert sich an 1954, als er das WM-Finale in Bern vor Ort verfolgte und im Stadion den Uhr-Turm fotografierte.

© -tin/Noe

EM-Aus im Halbfinale - die Fußball-Seele der Deutschen schmerzt. Vielleicht hilft es ein wenig, das Scheitern besser zu verkraften, indem man sich an glorreichere Meisterschafts-Ereignisse zurückerinnert. Etwa die Weltmeisterschaft 1954; damals holt das Team von Trainer Sepp Herberger den Titel. Das Ereignis geht als das "Wunder von Bern" in die deutsche Geschichte ein.

Und es gibt einen Schriesheimer, der Augenzeuge dieses Ereignisses ist: Herbert Noé, der bekannte frühere Einzelhändler aus der Talstraße und inzwischen im 95. Lebensjahr stehend, ist vor Ort mit dabei, als dieses "Wunder von Bern" geschieht.

Sein Leben steht für jene Generation, für die dieser Sieg mehr ist als nur ein sportlicher Erfolg. Im Krieg Soldat in Russland, kehrt er körperlich und seelisch geschwächt aus der Gefangenschaft heim. 1949 eröffnet er in Schriesheim ein Obst- und Gemüsegeschäft, 1950 heiratet er.

Spontan losgefahren

Freizeitvergnügen sind in jener Zeit rar und bescheiden, Fußball gehört dazu. Am 4. Juli 1954 erfährt Herbert Noé von einem Bekannten, dass ein Sonderzug aus Norddeutschland in Mannheim Halt machen wird - in Richtung WM-Endspiel nach Bern.

Seiner Frau sagt er morgens, er fahre nur mal schnell auf den Großmarkt nach Mannheim. In die Quadratestadt fährt er zwar in der Tat - doch an den Bahnhof Friedrichsfeld, steigt in den Zug, Richtung Schweiz. Erst dort erwirbt er eine Eintrittskarte für das Endspiel - undenkbar heutzutage im Zeitalter schon frühzeitig undurchdringlicher Kontingentierung der Karten und deren frühzeitiger Vermarktung via Internet. Doch einen Schwarzmarkt gibt es schon damals: Vor dem Stadion werden Karten zu erhöhten Preisen angeboten - für ganze zehn Franken.

Platz direkt vor dem Uhr-Turm

In Bern regnet es leicht, herrscht "Fritz-Walter-Wetter", wie man später formulieren wird. Der Besucher von der Badischen Bergstraße ist darauf Mitte Juli nicht vorbereitet. Damit er im Stadion zumindest trocken sitzt, hat er aus dem Zugabteil ein Sitzkissen mitgehen lassen, es sich um den Bauch gebunden und seinen Sommermantel drübergezogen.

Noés Sitzplatz befindet sich vor dem Uhr-Turm. Er hat einen Fotoapparat dabei, macht Bilder vom Spiel und drei Minuten vor dem Ende auch von der Uhr. Sie zeigt drei zu zwei für Deutschland. So wird es auch bleiben. Schließlich der Abpfiff. Sieg!

Noé könnte vor Freude so brüllen, wie es Radio-Kommentator Herbert Zimmermann in seinem legendären Schrei getan hat. Er läuft zu den Spielern, gratuliert ihnen - so etwas ist damals noch möglich. Und der Schriesheimer vergisst dadurch fast seinen Zug, der ihn nach Hause bringt, zurück nach Deutschland.

Ja, die Heimat! Auch Noé ist sich in diesem Moment der Bedeutung für sein Land neun Jahre nach Ende des Krieges bewusst: "Deutschland hat einen Teil seines Selbstbewusstseins wiedergefunden", formuliert er: "Der Krieg war in diesen Momenten für die Menschen vergessen."

Nicht so dieses Ereignis: "Ein sensationelles Erlebnis!" Noch immer denkt Herbert Noé gerne daran. Gerade an Tagen wie diesen.

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