Alles hier ist vertraut, wir kennen jeden Strauch, alle Häuser und Straßen, ja wir wissen sogar, wo man beim Einkaufen besser aufpasst, weil vor dem Laden eine Gehwegplatte hochsteht. Am besten freilich kennen wir die Nachbarn, die Menschen, die um uns herum wohnen, denen wir schon frühmorgens begegnen, wenn wir die Zeitung aus dem Briefkasten holen. Menschen, Straßen, Wege, Kirchen und Kindergärten – sie alle gehören zu dem, was uns nahe ist: zu unserem Viertel. „In Zeiten, wo so viel Dynamik herrscht, ist die Sehnsucht nach Nachbarschaft immens hoch“, betont Martin Albert (Bild), seit 13 Jahren Experte in Sachen Soziale Stadtteilentwicklung und Quartierarbeit an der SRH Hochschule Heidelberg.
In den kommenden Wochen will der „MM“ auf seinen Stadtteilseiten daher Viertel und ihre Bewohner vorstellen, denn Stadt ist nichts anderes als die Summe dieser Nachbarschaften. Das Viertel und seine Bedeutung für ihre Bewohner würden gerade eine Renaissance erleben, berichtet der Professor von neuesten Studien. „Schließlich sind wir soziale Wesen. Gemütslagen und Einstellungen zum Leben werden vom Umfeld geprägt“, sagt er. Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge sei das Gefühl von Einsamkeit derzeit aber sehr weit verbreitet. Besonders betroffen: die Internet-Generation. Der grenzenlose digitale Raum als Ort des Austauschs werde „maßlos überschätzt“.
Versorgung große Aufgabe
Stattdessen, so Albert, sei das Viertel als Ort der direkten Kommunikation aus drei Gründen besonders wichtig für Menschen: Kinder bräuchten ihr Umfeld als Spiel- und Erfahrungsraum, Ältere als Identifikationshilfe. „Senioren wollen ihren Stadtteil in der Regel nicht verlassen“, sagt Albert, der in deren Versorgung eine große Aufgabe für die Stadtplaner sieht. Wenig mobil seien zudem Arme und Abgehängte: „Auch für sie spielt das Viertel eine immens wichtige Rolle.“ Untersuchungen hätten immer wieder gezeigt: „Gerade diese Leute lieben ihren Stadtteil.“ Grundsätzlich gibt es laut Albert derzeit eine große Sehnsucht nach mehr Miteinander und nach Begegnungsmöglichkeiten vor Ort – wie Parks mit viel Grün, Sitzbänke, Wochenmärkte und Cafés.
„Mein Viertel“, das ist daher der Titel dieser Serie: Wir besuchen Menschen und ihre Umgebung, wir stellen Nachbarn vor, lassen sie ihre Erlebnisse schildern in ihrem Quartier, ihre ganz persönlichen Geschichten, immer verknüpft mit denen ihres Viertels. Damit verschaffen wir uns mehr als nur flüchtige Einblicke in die Lebenswirklichkeit unserer Protagonisten, überblicken sie doch immer auch einen Teil der Historie ihres Teils unserer Stadt. Sie führen uns so eine Entwicklung vor Augen, bewahren sich den Blick für Details, die einem Außenstehenden entgangen wären.
Ihre Viertel werden so auch dem Leser ein gutes Stück vertrauter, wecken im besten Sinn sein Interesse – und verleiten im Idealfall vielleicht sogar dazu, einmal selbst zu einer Entdeckungstour in einen Teil der Stadt aufzubrechen, der ihm bisher gänzlich unbekannt war.
Denn stets nehmen uns die Menschen, die wir vorstellen, mit auf einen Spaziergang durch ihr Viertel, wir zeigen Bilder von ihnen, Aufnahmen aus ihrer Vergangenheit und Fotos von den Quartieren. Dazu veröffentlichen wir die wichtigsten Eckdaten zu den Stadtteilen. Die Artikel erscheinen quer durch alle Stadtteilseiten, das heißt, im Osten stellen wir beispielsweise auch Viertel aus dem Süden vor und erweitern so die Perspektiven aus dem Kleinen heraus aufs große Ganze.
Und immer geht es dabei auch um Emotionen, denn Viertel sind Heimat, und Heimat ist stets auch ein Gefühl. (Bild: Albert)
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