Sandhofer Weihnachtsmärchen

Mannheimer Weihnachtsmärchen: Das Wunschzettel-Wirrwarr

Die weihnachtlichen Helfer im Mannheimer Stadtteil Sandhofen sind gestresst. Nur zwei Engel sollen alle Wunschzettel sortieren und die Geschenke ausliefern. Die Bescherung ist gefährdet

Von 
Iris Welling
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Dieses Bild zur Weihnachtsgeschichte hat Sebastian Baumgartner gemalt. Links der Teufel im Wasser, rechts der Wunschzettel-Berg. © Sebastian Baumgartner

Sandhofen. In diesem Jahr, in dem so vieles in der Welt verwirrend war, beginnt die Sandhofer Weihnachtsgeschichte bereits auf dem Adventsmarkt. Handtellergroße Schneeflocken fielen vom Himmel, auf denen zu lesen war: Wegen Personalmangel werden keine Wunschzettel abgeholt. Bitte im Freibad durch das Drehgitter werfen.

Niemand wunderte sich, dass es gerade Sandhofen traf. Nicht einmal mehr einen Drogeriemarkt gab es; ein Freibad mit eingeschränkten Öffnungszeiten trotz 30 Grad … Sandhofen zählte fast zu den ‘lost places’.

Herr Hektisch schlürfte Glühwein, tat entrüstet, ertappte sich aber bei dem Gedanken, es sei eine gute Gelegenheit die Wünsche seiner Frau zu lesen, damit er wusste, was er ihr schenken sollte. Er bot ihr an, ihrer beider Wunschzettel im Freibad abzuliefern, was sie listig lächelnd ablehnte.

Als Frau Hektisch ihren Wunschzettel zum Freibad brachte, folgte er ihr wie ein Schatten und erinnerte sich auch gleich, dass es ein Loch im Zaun gab. Von dort schlich er zum Eingang, wo Freibadschutzengel Felix und der Wunschzettel-Engel MA-Nord vor einem riesigen Berg Papierzettel standen. „Nur wir zwei sollen das alles sortieren“, nörgelte Felix, „das schaffen wir nie!“

„Engel mit mieser Laune sind schlecht für’s Image“, der WZ-Engel schob ihm eine goldene Dose zu. „Hier, das ist FEP: fröhliches Engel-Pulver. Hilft dir entspannt zu bleiben und holdselig zu lächeln! Is’ jetzt sogar legal … aber mich düngt, wir werden belauscht!“

Herr Hektisch lauschte in der Tat und frohlockte. FEP – das war die Lösung all seiner Probleme. Doch Felix entdeckte ihn in seinem Versteck. „Aha, wir zwei kennen uns doch! Wieder Probleme mit Gattin und Geschenk?“ Herr Hektisch nickte stumm.

„Er könnte sich eine Prise FEP verdienen“, schlug der WZ-Engel vor, obwohl er zweifelte, dass es bei Menschen wirkte, „wir brauchen jede Hand, um die Wünsche zu sortieren!“

Freudig stimmte Herr Hektisch zu. Der Weihnachtswunsch seiner Gattin verbarg sich in diesem Papierstapel, doch – beim vertrockneten Spekulatius – Felix schob ihm aus Datenschutzgründen den Stapel von Schönau zu.

Nachdem alles sortiert und die Wünsche an die Geschenke-Zentrale weitergeleitet waren, summte schon bald das Himmelstelefon des WZ-Engels.

„Dein Klingelton ist ‘Last Christmas’“, staunte Felix, woraufhin sich die Flügelspitzen des WZ-Engels rosa färbten, doch gleich darauf ließ er die Flügel traurig hängen und zeigte auf sein Telefon. „Beim vertrockneten Tannenbaum! Da steht, es gibt kein Personal, um die Geschenke auszuliefern. Darum sollen wir uns auch noch kümmern!“

Den WZ-Engel überfiel die Sinn-Krise! Was war nur aus seinem Berufsbild geworden? Er flatterte zum Nichtschwimmerbecken, um sich im Restwasser zu ertränken. Doch Felix zerrte ihn an den Flügeln heraus, machte ihm klar, dass er als Schutzengel verpflichtet war, ihn zu retten. Dabei entdeckte er auch gleich ein schwarz gekleidetes Wesen, das sich unter der gelb-orangenen Rutschbahn versteckte: Ein Teufel-Azubi, der sich abkühlen wollte, da ihm sein Arbeitsplatz in der Hölle zu heiß war. „Ich komm oft ins Freibad, um mich zu erfrischen. Leider war es in diesem Sommer wieder beheizt!“

„Da habt ihr noch einen Helfer“, rief Herr Hektisch, „und wo der herkommt, gibt’s noch mehr!“

„Nicht ohne Genehmigung von meinem Chef“, maulte der Teufel-Azubi.

„Dazu gibt Ludwig Luzifer niemals seine Einwilligung“, mutmaßte Felix, „und wenn doch, wird er Auftrag geben, die Weihnachtsgeschenke zu vernichten statt sie auszuliefern!“ Was wiederum den teuflischen Azubi ärgerte. „Hört, hört, müsstet ihr Engel nicht frei sein von Vorurteilen?“

„Eine Genehmigung für so ein Durcheinander, äh, Miteinander muss ich erst beantragen“, seufzte der WZ-Engel, „die Antwort kommt nicht vor Januar und Weihnachten ist nun mal im Dezember.“

„...um genau zu sein“, korrigierte Herr Hektisch, „am 24. Dezember! Ach, zum Teufel mit der Bürokratie! Pfeif‘ deine Kumpels zusammen“, sprach er kämpferisch zum höllischen Azubi, „und du“, sagte er zum WZ-Engel, „du meldest deinem Chef nix von Teufeln. Sag’ ihm, wir arbeiten mit Robotern zusammen – mit dieser neuen Dingsda, dieser KI!“

Doch ohne Personal kühlte es in den unteren Gefilden schnell ab und alsbald erschien der Höllenfürst persönlich im Freibad. Felix sprang herzu und bestäubte ihn rasch mit FEP … und das Wunder geschah! „Weihnachten in solch üblen Zeiten, da muss man zusammenhalten“, säuselte Luzifer „was wären wir Teufel ohne den Himmel und umgekehrt. So hat alles seinen Platz in der Weltordnung. Hosianna!“

Dank der vielen teuflischen Helfer wurden alle Geschenke pünktlich ausgeliefert.

Nach getaner Arbeit sank Herr Hektisch auf die Bank neben der orange-gelben Rutsche. „Willst du nicht nach Hause“, fragte Felix. „Hab’ kein Geschenk“, seufzte Herr Hektisch.

Felix sah zum WZ-Engel, der vor dem Rückflug noch fröhlich ein paar Runden rutschte und schob Herrn Hektisch schnell einen Zettel zu. „Hier, das ist der zweite Wunschzettel deiner Gattin. Den ersten habe ich vernichtet – nur der hier gilt!“

„Wie beim Testament“, murmelte Herr Hektisch finster. Sicher stand da etwas von Wellness-Hotel oder goldenen Ohrringen. „Lieber Engel, vergiss was ich vorher geschrieben habe“, las Herr Hektisch, „ich wünsche mir nur, dass mein Mann gesund zurückkommt. Wo steckt der nur wieder? Essen ist fertig … wenn mir der Braten anbrennt, kann er was erleben!“ Felix sah Herrn Hektisch staunen und schob ihm ein Tütchen zu. „Hier, dein Lohn und jetzt geh’. Fröhliche Weihnachten!“

Als Frau Hektisch öffnete, brauchte es keinen einzigen Krümel FEP, so glücklich war sie, ihren verlorengeglaubten Gatten wohlbehalten in die Arme zu schließen.

Später am Abend, als Frau Hektisch selig schlummerte, schlich Herr Hektisch noch einmal zurück zum Freibad und flog mit Felix und den Resten des FEP los. Zuerst bestäubten sie das Freibad für eine nächste, friedliche Saison; die restlichen Körner verteilte sie über Sandhofen und Schönau. Nur eine winzige Prise behielt Herr Hektisch zurück. Wenn es Ludwig Luzifer hatte sanftmütig werden lassen, dann … .

Allerseits Frohes und Friedliches Fest!

Freie Autorin

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