Mannheim. Die Frau gefällt ihm offensichtlich. Während neun Artgenossen aus ihren durchsichtigen Transportboxen in alle Richtungen schauen, starrt dieser Feldhamster unentwegt durch die Dachluke auf Diana Pretzell. Die neue Umweltbürgermeisterin, es ist ihre erste Auswilderung in Mannheim, blickt lächelnd zurück. Sie legt das Tier auch bei ihrer kurzen Ansprache nicht aus der Hand, in der sie betont, wie wichtig derartige Projekte für die stark bedrohte Spezies seien. Zwischendurch unterbricht sich Pretzell selbst, als sie einen Vogel hört: „Oh, eine Nachtigall!“ Ja, es gibt unschönere Termine als diesen hier in Straßenheim.
Auch während der Redebeiträge von Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder, Feldhamster-Experte Ulrich Weinhold und Projektleiterin Ribana Seliger hält der Nager, den die Bürgermeisterin in der Box trägt, Augenkontakt. Sie habe auch den Eindruck, dass er sie möge, lacht Pretzell. „Aber in der Natur findet er bestimmt bald eine Hamsterfrau.“
Einmal gepaart, dann gefressen
Ihre ersten beiden Lebensjahre haben diese Hamster in einer Aufzuchtstation im Heidelberger Zoo verbracht. In Isolation. Die Tiere seien von Natur aus Einzelgänger, sagt Weinhold. Nach der Paarung blieben sie nur rund drei Wochen zusammen. Dann zögen die Männchen weiter, kämpften mit Nebenbuhlern und befruchteten andere Weibchen. Die Wahrscheinlichkeit sei auch groß, dass sie etwa einem Greifvogel, Storch oder Fuchs zum Opfer zu fielen. „Aber wenn so ein Hamster einmal für Fortpflanzung gesorgt hat und dann gefressen wird, hat er auch seinen Job getan“, lacht Weinhold. Spätestens da endet jeder Neid auf die Nager in Freiheit.
Projekt zur Wiederansiedlung
- Mit dem Bau der SAP Arena gingen 2004 im Bösfeld Lebensräume von Feldhamstern verloren.
- Zum Ausgleich startete die Stadt zusammen mit dem Regierungspräsidium ein Wieder- ansiedlungsprojekt an anderer Stelle im Bösfeld, in Straßenheim sowie zuletzt auch im Mühlfeld und bei Seckenheim.
- Seit 2007 wurden fast 1800 Jungtiere ausgewildert, die Aufzuchtstation ist im Heidelberger Zoo.
Feldhamster hätten in der Regel zwei bis drei Würfe pro Jahr, sagt Weinhold. Doch unter normalen Bedingungen überlebe schon beim zweiten in der Regel keines der bis zu zehn Jungen. Wenn die Äcker abgeerntet seien, böten sie ihnen keinen Sichtschutz mehr. „Dann sind sie leichte Beute für ihre Fressfeinde.“
Wie in der Jugendherberge
Daher bezahlen Stadt und Regierungspräsidium Landwirten Geld, damit sie Getreide und Luzerne länger stehenlassen. Und sie sorgen für beständigen Nachschub: Vergangenes Jahr wurden 100 Hamster hier ausgewildert, dieses Jahr sollen es insgesamt 180 werden. Auf diese Weise wächst die Population allmählich. Das zeigen Markierungsstäbe im Feld, mehr als 130 Bauten (in der Regel bewohnt von Einzeltieren) wurden nach dem Winterschlaf im Frühjahr gezählt.
Die zehn Neuankömmlinge werden ein Stück weiter weg ausgewildert. Man wolle Konflikte vermeiden, sagt Weinhold. Hamster stürmten ein neues Feld „wie eine Schulklasse eine Jugendherberge“. Gebraucht werden weitere Träger (Pretzell und ihr Hamster bleiben natürlich beisammen). Das bietet eine unverhoffte Chance, schon hat man selbst eine Box in der Hand. Auch aus der Nähe sehen die Nager sehr putzig aus. Wie Goldhamster, aber etwa 30 Zentimeter hoch, wenn sie Männchen machen. Dieses Tier ist ein Weibchen. Verliebt wirkende Blicke wirft es einem eher nicht zu.
Apfel zum Abendessen
Dafür ist die Freude umso größer, als wenig später unter Weinholds Anleitung das Dach der Box geöffnet wird. Durch eine hineingehaltene Röhre wird die Hamsterfrau in ein eigens dafür angelegtes Loch geleitet. Drinnen kehrt sie gleich wieder um und steckt neugierig den Kopf raus. Der Biologe empfiehlt, sie mit Anpusten wieder reinzuscheuchen. Aber das Smartphone vor die Schnauze zu halten, geht auch - und ermöglicht prima Nahaufnahmen. Dann lässt Weinhold noch einen Apfel da und versteckt das Loch mit Getreide. Auf dem Rückweg richtet er niedergetrampelte Pflanzen wieder auf: Greifvögeln entgehe nichts.
Das Feld gehört Gerhard Seitz. Seit zwölf Jahren beherbergt er Hamster. Begegnet sei er noch keinem, erzählt er. Die Tiere seien nachtaktiv, er nicht. Umso schöner, sie jetzt für einen kleinen Moment in freier Wildbahn gesehen zu haben. Herzlich willkommen im Leben!
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