Stadt blockt bisher ab

Wieso Naturschützer in Mannheim eine Wildtierpflegestation fordern

Menschen, die etwa Vogelküken oder Igelbabys auf der Straße finden, sind oft ratlos. Naturschützer beharren daher darauf, die Stadt Mannheim solle eine zentrale Wildtierpflegestation einrichten

Von 
Steffen Mack
Lesedauer: 
Rita Fiedler zeigt zwei Zwergfledermäuse, die sie gerade aufgepäppelt hat. Anfangs mussten die Tiere alle zwei Stunden gefüttert werden, auch nachts. © Steffen Mack

Mannheim. Man soll Tiere ja nicht vermenschlichen. Aber als Rita Fiedler den Deckel ihrer Transportbox öffnet und das Geschirrtuch darin vorsichtig anhebt, ist der erste Gedanke schon: Die kleinen Racker haben offenbar viel Blödsinn im Kopf. Es sind zwei Zwergfledermäuse, wenige Wochen alt. Jetzt sind sie geweckt, balgen sich und klettern aufeinander herum. Dann versuchen sie aber auch erfolgversprechend, die Wände hochzukommen. „Vorsicht!“, warnt Paul Hennze. „Fledermäuse sind wie Mäuse, die lässt man nicht in der Wohnung rumlaufen.“ Fiedler hat die Gefahr schon erkannt, Geschirrtuch und Deckel sind wieder drauf.

Die beiden balgen miteinander herum und versuchen, die Wände hochzukommen. © Privat

Haben die beiden Kleinen Namen? „Nein“, sagt Hennze, „das machen wir normalerweise nicht.“ Die Tiere würden ja nur aufgepäppelt, um sie auszuwildern. Der 81-Jährige ist - gemeinsam mit Gerhard Rietschel - ehrenamtlicher Naturschutzbeauftragter der Stadt. Beide sind Wildtier-Experten, sehr viele Bürgeranfragen landen bei ihnen. Manchmal sitze er zwei, drei Stunden pro Tag am Telefon, berichtet Hennze. Derzeit gehe es vor allem um Mauersegler, die aus Nestern fielen und Hilfe bedürften. „Im Herbst sind dann wieder eher die Igel dran.“

Eichhörnchen-Retter als Anlass

Sind die Finder junger, notleidender Wildtiere überfordert, was bei den allermeisten so ist, kann Hennze mitunter Ehrenamtliche zum Aufpäppeln vermitteln. Beim Naturschutzbund (Nabu) Mannheim, dessen Präsident er ist, gibt es für einige Spezies Expertinnen, die ihrerseits Freiwillige kennen. So hat Fledermaus-Fachfrau Gabi Parthenschläger ihre Bekannte Rita Fiedler ins Boot geholt, die jetzt mit ihrer Tierbox in Hennzes Wohnung sitzt. Da sie ebenfalls hier in Friedrichsfeld wohnt, ist sie auch zum Treffen mit dem „MM“ gekommen.

Der Anlass war ein Artikel vor Wochen, in dem es um den Retter dreier Eichhörnchenbabys ging. Der Mann fühlte sich nicht nur von öffentlichen Stellen alleingelassen. Weil er die Tiere zum Auswildern kurzzeitig in einem Käfig auf seinen Balkon stellte, hätte das Ordnungsamt gegen ihn sogar fast ein Bußgeld von mehr als 500 Euro verhängt.

Mehr zum Thema

Tiere

Füchse im Heidelberger Zoo müssen gejagt werden

Veröffentlicht
Von
Till Börner
Mehr erfahren
Natur

Was Wildtierbeauftragte und Stadtjäger in Heidelberg tun

Veröffentlicht
Von
Redaktion
Mehr erfahren

Dadurch sahen sich einige Naturschützer in ihrem Anliegen bestätigt, die Stadt möge eine Wildtierpflegestation einrichten. Diese Idee erhielt beim Beteiligungshaushalt 2022 viele Stimmen und war auf dem besten Weg, unter die ersten Fünf zu kommen. Doch dann lehnte sie die Verwaltung als nicht umsetzbar ab. Begründet wurde dies mit Kosten von weit mehr als 100 000 Euro jährlich, weil mehrere Tierpfleger eingestellt werden müssten sowie ein Gelände und Gebäude benötigt würden.

„Das kam für mich überraschend“, erinnert sich Sabine Meßmer-Luz vom Mannheimer Umweltforum, die den Vorschlag eingebracht hatte. Anfangs habe sie dafür von der Stadt eher wohlwollende Signale bekommen. Sie verstehe nicht, warum die Wildtierpflegestation dann einfach aus dem Verfahren herausgenommen worden sei. „Wir hätten uns doch an einen Tisch setzen können und überlegen, wie wir das gemeinsam angehen.“

Was Meßmer-Luz ebenfalls nicht überzeugt, ist der Verweis auf die Leitstelle des Ordnungsamts, der unter 0621/293 2933 montags bis freitags von 7 bis 24 Uhr sowie samstags von 10.30 bis 24 Uhr Wildtiere gemeldet werden können. Im Winter ist das Telefon bis 22 Uhr besetzt. „Außerhalb dieser Zeiten können Anliegen auch an 31leitstelle@mannheim.de gemeldet werden“, so auf Anfrage Stadtsprecherin Désirée Leisner. Über die Funde würden dann - je nach Art - Veterinärdienst, Tierrettung Rhein-Neckar, Nabu oder Jäger informiert.

Jetzt für MM+ Abonnenten: Das E-Paper am Sonntag



Für MM+ Abonnenten: Lesen Sie kostenfrei unser E-Paper am Sonntag - mit allem Wichtigen aus Mannheim und der Region, dem aktuellen Sport vom Wochenende sowie interessanten Verbraucher-Tipps und Reportagen. Das Geschehen in Deutschland und der Welt ordnen unsere Korrespondenten für Sie ein.

Hier geht es zum E-Paper - ab dem frühen Sonntagmorgen für Sie verfügbar

Sie haben noch kein MM+ Abo? Dann sichern Sie sich den MM+ Kennenlernmonat  

„Ich habe das Gefühl, in jedem zweiten Fall rufen die mich an“, berichtet Hennze. Er helfe ja auch, so gut er könne. Doch auf Dauer sei das keine Lösung. Es brauche bei der Stadt eine feste Anlaufstelle, die sich auch selbst um Tiere kümmere. Seiner Vermutung nach wäre das auch nicht teurer als all das, was die Verwaltung schon in den jetzigen Strukturen für Tierschutz ausgeben müsse. Die Kosten beziffert Leisner mit 1,1 Millionen Euro im vergangenen Jahr und 850 000 in 2021.

Kooperation mit dem Rhein-Neckar-Kreis?

Andere Kommunen seien da schon weiter, sagt Hennze. So habe Frankfurt eine Mauerseglerklinik. Er halte auch eine engere Kooperation mit dem Rhein-Neckar-Kreis und eventuell der Stadt Heidelberg für sinnvoll. Ansiedeln könne man die Wildtierstation etwa im Luisen- oder im Herzogenriedpark, in dem es früher schon mal so etwas für Igel gegeben habe. Nach der Buga sei sicher auch Spinelli sehr geeignet. Einen entsprechenden Antrag hat gerade die LI.PAR.Tie in der Debatte um die Zukunft der U-Halle gestellt.

Auch den Personalaufwand hält Hennze für weniger hoch, als von der Verwaltung dargestellt. Nötig sei eine feste Stelle für jemanden, der sich um all das Organisatorische kümmere. Zusätzlich müssten nicht mehrere Tierpfleger eingestellt werden, da genüge zur Not eine wechselnd besetzte Teilzeitstelle. Je nach Jahreszeit mal mit einem Experten für Mauersegler, mal für Igel und mal für Fledermäuse. Und natürlich würden sich da auch viele Ehrenamtlichen gern weiter engagieren.

Wobei das für die durchaus recht aufwendig sein kann. Rita Fiedler berichtet, anfangs habe sie ihre Zwergfledermäuse alle zwei Stunden mit der Pipette füttern müssen, auch nachts. Aber schon als Kind hätten sie diese Wildtiere faszinierend. Bald seien die beiden groß genug, um erste Flugversuche zu starten. In einem eigens dafür ausgestatteten Raum in Heppenheim, nicht in Fiedlers Wohnung. Wie gesagt: Fledermäuse sind wie Mäuse - nur dass sie sogar noch Flügel haben.

Redaktion Steffen Mack schreibt als Reporter über Mannheimer Themen

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen