Mannheim. Wer damals dabei war, vergisst diesen Moment nicht - auch wenn das jetzt 26 Jahre zurückliegt. 1998 ist schon einmal ein Mannheimer Polizeibeamter durch einen heimtückischen Messerstecher ums Leben gekommen. Beim ergreifenden Schweigemarsch zu Ehren des von einem 16-jährigen Einbrecher ermordeten Polizisten Markus Paul spürt man das Entsetzen, jene ohnmächtige Wut und unendliche Traurigkeit, die auch nun wieder nicht nur Einsatzkräfte, sondern darüber hinaus viele Bürger aufwühlt.
Es ist zunächst nur ein Routineeinsatz, der im Dezember 1998 tödlich endet. 15 Mal schon mussten die Beamten des Sandhofener Reviers in dem Jahr wegen Einbrechern zum Sandhofener Real-Supermarkt fahren, doch der Einsatz in der Nacht vom 10. auf den 11. Dezember 1998 entwickelt sich dramatisch. Um 1.08 Uhr trifft der Alarm aus der Amselstraße bei der Polizei ein, zwei Minuten später ist ein Streifenwagen des Reviers da. Auf dem Parkplatz des Supermarkts entdecken die Beamten einen - als gestohlen gemeldeten - Golf mit laufendem Motor, auf dem Rücksitz steht ein Terrarium mit einer Königspython.
Einbruch in Tierhandlung: "Was für ein Tier willst du?"
In dem Wagen sitzt eine junge Frau. Ihr Freund sei in die Tierhandlung in dem Supermarkt eingebrochen, gesteht sie den Beamten. „Was für ein Tier willst Du?“, habe er sie vorher gefragt, sagt sie später. Um den Täter im Supermarkt zu stellen, kommt - wie üblich - eine Streife der Diensthundestaffel dazu. Zwei ihrer Beamten betreten mit entsicherten Waffen, starken Taschenlampen und ihrem Spürhund „Dingo“ das Gebäude, während die Streifenbeamten den Ausgang bewachen.
Später spricht der Täter von einem „Zusammenstoß in der Dunkelheit“ und behauptet, unter der Aufputschdroge Ecstasy gestanden zu haben. Die erste Aussage des überlebenden Beamten ist dagegen: „Der Täter kam von hinten“ - was auch die Einstiche auf den Schutzwesten belegen. Zunächst bringt der Einbrecher dem - zum Aufspüren des Einbrechers frei laufenden - Diensthund drei tiefe Stichwunden bei und tötet ihn, dann sticht er offenbar wie ein Rasender mit einem 40 Zentimeter langen Fleischermesser auf die beiden Polizisten ein. Ein 37-jähriger Beamter übersteht die Attacke dank seiner Schutzweste unverletzt, leidet aber Monate unter dem Schock.
Markus Paul, damals 31 Jahre alt, trägt zwar auch eine solche Weste, wird aber an der Halsschlagader getroffen und verblutet - kann jedoch zuvor noch dem Einbrecher in den Bauch schießen.
Mord an Polizist Markus Paul: Täter hat lange Vorstrafenliste
„Ich bin fassungslos, mit welcher Brutalität das Leben eines jungen Polizisten und Familienvaters ausgelöscht wurde“, reagiert der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Erwin Teufel auf die Tat. Paul, der aus einer bekannten Schriesheimer Polizistenfamilie stammt, hinterlässt eine Frau, ebenfalls Polizistin, und eine damals vier Monate alte Tochter. Die Hinterbliebenen können nicht verstehen, weshalb der Täter den Einbruch überhaupt begehen konnte - denn er ist bereits verurteilter Straftäter.
21 Eigentums- und Gewaltdelikte weist die Gerichtsakte aus: Raub, Autoaufbrüche, Diebstahl. Danach ist er bereits im August 1998 zu einer zweijährigen Haftstrafe mit Bewährung und Therapie verurteilt worden. In Untersuchungshaft sitzt der 16-Jährige nur kurz, da er einen festen Wohnsitz nachweisen kann - beim Opa in der Neckarstadt. Die Eltern lebten, so heißt es, in Amerika. Die Polizei stuft ihn als „jugendlichen Intensivtäter“ ein. Doch das Anti-Aggressionstraining, das er besuchen soll, schwänzt er am Abend der Tat. Das löst eine politische Diskussion um den Umgang mit jugendlichen Intensivtätern aus.
Weil der Schuss des sterbenden Polizisten ihn in die Milz trifft, kommt der Einbrecher ins Krankenhaus. Dort legt er gegenüber Beamten des Morddezernats und dem Haftrichter ein Geständnis ab. Wie es damals heißt, soll er dabei keinerlei Reue gezeigt, sondern sich über die Bewachung des Krankenzimmers beschwert haben.
Der Messerstecher zeigt keine Spur von Reue
Die Polizei erlebt nach dem Mord eine Welle des Mitgefühls. Bürger geben auf den Revieren Spenden für die Familie ab. Einen Tag nach der Beisetzung des ermordeten Beamten folgt eine bewegende Trauerfeier in der völlig überfüllten Konkordienkirche. „Wir empfinden Wut und Zorn über ein grauenvolles, sinnloses und brutales Verbrechen“, bekundet der damalige Innenminister Thomas Schäuble seine Betroffenheit. Zugleich ruft er dazu auf, Gewalt und Verbrechen niemals hinzunehmen. Der Staat müsse aber erkennen, „dass die Resozialisierung auch für jugendliche Straftäter Grenzen hat“.
Er bezieht sich damit auf das große Transparent, das die Familie bei dem Trauermarsch trägt. 3500 Menschen, darunter zahlreiche Polizisten aus ganz Baden-Württemberg, dazu aus anderen Bundesländern, von Bundesgrenzschutz, Justiz und US-Militärpolizei laufen, begleitet von Glockengeläut der Innenstadtkirchen, schweigend vom Ehrenhof des Schlosses zur Konkordienkirche. Und an der Spitze fragt die Familie per Spruchband „Was soll noch alles geschehen? Ihr Herren Vorgesetzten, Richter, Psychologen und Politiker“.
Doch ein vom Vater Volker Paul angestrebtes Verfahren wegen „fahrlässiger Tötung“ gegen die Richter und Sozialarbeiter, denen er Versagen bei der Strafverfolgung und Überwachung des Täters vorwirft, lehnt die Staatsanwaltschaft ab. Der Einbrecher wird 1999 wegen Mordes zu einer Haftstrafe von zehn Jahren verurteilt - die Höchststrafe nach Jugendstrafrecht. Während seiner Haft schließt er eine Ausbildung zum Industrie-Elektroniker ab. 2008 wird er entlassen.
Volker Paul gründet in Erinnerung an seinen Sohn 2000 eine Stiftung, um Opfern jugendlicher Gewalttäter sowie im Dienst verletzten Polizisten zu helfen. Was seinem Sohn passiert ist, hat ihn jedoch nie losgelassen. Erst im April ist er im Alter von 80 Jahren gestorben.
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