Mannheim. Bürgermeisterin Diana Pretzell (Grüne) über Mannheims ehrgeiziges Ziel, 2030 klimaneutral sein zu wollen, die Kritik an der Erarbeitung des entsprechenden Aktionsplans – und warum er später fertig wird.
Frau Pretzell, was machen Sie persönlich, damit Mannheim klimaneutral wird?
Diana Pretzell: Oh, einiges: Ich habe kein Auto, sondern fahre Fahrrad oder laufe. Ich trage soweit möglich nachhaltige Kleidung und achte bei den Produkten, die ich kaufe, auf die Lieferketten. Zudem esse ich überwiegend Bio-Lebensmittel.
Das alles wird nicht reichen, um Mannheim bis 2030 klimaneutral zu machen. Deshalb wird gerade ein sogenannter Klimaschutzaktionsplan erarbeitet. Was müssen wir uns darunter vorstellen?
Pretzell: Der Plan wird das Ergebnis eines umfassenden Prozesses sein, der Mannheims Weg in die Klimaneutralität aufzeigt. Darin werden zahlreiche einzelne Maßnahmen aufgelistet und konkret dargelegt, wie viel CO2 sich durch diese jeweils einsparen lässt. Auf dieser Grundlage können wir entscheiden, welche Maßnahmen wir umsetzen müssen und werden.
Was für Maßnahmen werden das sein?
Pretzell: Der Plan ist noch nicht fertiggestellt. Aber sicherlich werden dabei Gebäudesanierungen eine Rolle spielen, Begrünung von Dächern und Entwicklung von Grünflächen, ein Maßnahmenbündel im Bereich der Mobilität sowie Renaturierung. Zudem wird er aufzeigen, wie wir alternative Verkehrsmittel statt des Autos attraktiver machen ebenso wie alternative Antriebsmethoden.
Mannheims Maßnahmen in Sachen Klimaschutz und Nachhaltigkeit
- Die Stadt Mannheim versucht auf vielerlei Wegen, das Klima zu schützen. Zu den wichtigsten Maßnahmen zählen folgende Instrumente:
- Klimaschutzaktionsplan: Diesen lässt die Stadtverwaltung zurzeit unter Einbeziehung von Bürgern und bedeutenden Institutionen sowie mit Hilfe der Forscher des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie erarbeiten. Darin werden konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, mit denen die Stadt bis zum Jahr 2030 das Ziel der Klimaneutralität verfolgt.
- 100 klimaneutrale Städte: Zur Umsetzung der in ihrem Green Deal festgehaltenen Ziele hat die Europäische Union (EU) als eine der ersten konkreten Maßnahmen eine Ausschreibung gestartet. Sie sucht 100 Städte in Europa, die bis 2030 klimaneutral werden wollen. Diese werden finanziell unterstützt und sollen als Modellstädte zeigen, welche Maßnahmen gut umsetzbar sind und wo es noch hakt. Mannheim hat sich Ende Januar neben 376 Kommunen beworben. Welche Städte ausgewählt worden sind, soll Ende April feststehen.
- Local Green Deal: Er soll das Mannheimer Pendant zum Green Deal der EU sein: Bei diesem geht es nicht nur um Klimaschutz, sondern um Nachhaltigkeit insgesamt – also etwa auch in den Bereichen Lebensmittel, Bauen, natürliche Vielfalt oder Schadstoffbelastung. Das Ziel: eine grüne, saubere und gesunde Stadt. In einer eigenen Geschäftsstelle werden dazu Ideen, Projekte und Akteure koordinierend zusammengebracht. Es geht also um die konkrete Umsetzung auf lokaler Ebene. Im ersten Schritt steht vor allem die Stadtverwaltung im Fokus. In der nächsten Phase sollen weitere Akteure einbezogen werden.
- CO2-Emissionen: In die grafisch dargestellte Bilanz Mannheims fließt die in der Stadt verbrauchte Energie, also Wärme und Strom, ein. Damit tauchen hier etwa nicht alle Emissionen des GKM auf – sondern nur die, die Mannheim zuzurechnen sind.
Wann wird der Plan fertig sein?
Pretzell: Unser Ziel ist es, den Klimaschutzaktionsplan vor der Sommerpause dem Gemeinderat vorzulegen. Die Berechnung durch die Forscher des Wuppertal-Instituts dauert aufgrund der Pandemie ein bis zwei Monate länger.
Warum drückt die Stadt beim Klimaschutz eigentlich so aufs Gas?
Pretzell: Weil wir eine echte Dringlichkeit haben, dem Klimawandel entgegenzuwirken! Eine Analyse von Daten des Deutschen Wetterdienstes zeigt, dass Mannheim deutschlandweit die heißeste Großstadt ist. Wir wollen Mannheim unbedingt lebenswert erhalten und die Stadt genau so an unsere Nachkommen übergeben.
Europa will 2050 klimaneutral sein, Deutschland 2045, Baden-Württemberg 2040 – und selbst das gilt als ambitioniert. Ist es da realistisch, dass Mannheim als Industriestadt dieses Ziel 2030 erreicht?
Pretzell: Ich weiß, dass unsere Ambitionen hoch sind. Ich weiß aber auch, dass sie hoch sein müssen, um der Erderwärmung zu begegnen – und dass wir alles dransetzen werden, unser Ziel zu erreichen.
Was genau heißt für Sie eigentlich klimaneutral?
Pretzell: Klimaneutralität bedeutet so viel wie Treibhausgasneutralität, nicht nur CO2-Neutralität. Wir orientieren uns beim Monitoring am international anerkannten Greenhouse Gas Protocol: Wir wollen unseren realen CO2-Ausstoß von heute bis 2030 um 80 Prozent reduzieren. Die übrigen 20 Prozent, die sich nicht vermeiden lassen, gleichen wir durch CO2-senkende Maßnahmen aus.
Welche werden das sein?
Pretzell: Klimapositive Maßnahmen wie Aufforstung von Wäldern werden im Mittelpunkt stehen. Doch werden wir auch den technischen Stand und die Realisierbarkeit von CO2-Speichertechnologien prüfen.
Wann hat der Gemeinderat eigentlich das Ziel beschlossen, dass die Stadt 2030 klimaneutral sein soll?
Pretzell: Schon 2019 hat der Gemeinderat mit dem „Dringlichkeitsplan zur Beschleunigung der Klimaneutralität“ entschieden, Richtung 2030 klimaneutral sein zu wollen. Die Vision 2030 wurde dann im vergangenen Sommer gefällt mit dem Beschluss zur Bewerbung Mannheims bei der EU für die Auswahl von einer der 100 klimaneutralen Städte.
Grüne Umweltbürgermeisterin
- Diana Pretzell ist seit Januar 2021 Umweltdezernentin.
- Zuvor war sie Direktorin für Bio-diversitätspolitik sowie Leiterin Naturschutz Deutschland beim WWF.
- Sie ist Mitglied der Grünen und gehört dem baden-württembergischen Landesvorstand der Partei an.
- Sie hat Forstwissenschaft und Journalismus studiert und ist Honorarprofessorin an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde.
Die Stadt lässt sich bei der Erarbeitung ihres Klimaschutzaktionsplans vom Wuppertal-Institut, einer Denkfabrik in Sachen Nachhaltigkeit, beraten. Bei der Vorstellung der ersten Studie des Instituts im Frühjahr 2021 ist es noch als Erfolg verkündet worden, dass die Stadt es schaffen kann, bis 2050 klimaneutral zu werden. Wie kam es in so kurzer Zeit zu solch einem Sinneswandel?
Pretzell: Diese Studie hat gezeigt, dass die entscheidenden Maßnahmen ohnehin in diesem Jahrzehnt umgesetzt werden müssen. Sie hat uns also bestärkt, das Jahr 2030 in den Fokus zu nehmen.
Welche Maßnahmen meinen Sie?
Pretzell: Die Stilllegung des Grosskraftwerks Mannheim, GKM, in 2030 ist ein sehr weitreichender Schritt in Richtung Klimaneutralität. Aber auch beim Thema Gebäudesanierungen hat die erste Wuppertal-Studie gezeigt: Wenn wir hier auf eine höhere Rate kommen, können wir schneller klimaneutral werden.
Welche Rate schwebt Ihnen da vor?
Pretzell: Allein bei den städtischen Gebäuden sollten wir statt aktuell knapp zwei Prozent künftig drei bis vier Prozent jährlich energetisch sanieren.
Gibt es dafür genug Handwerker?
Pretzell: Das ist eine der großen Herausforderungen. Dazu stehen wir im Austausch mit der IHK und der Handwerkskammer. Deren Ausbildungsoffensive kann hier unterstützen und im doppelten Sinn Chancen für die kommende Generation bieten.
Ein anderes Problem ist die Finanzierung: Sanierungen kosten viel Geld und werden von Privatleuten höchstens umgesetzt, wenn es entsprechende Förderungen gibt.
Pretzell: Das stimmt. Unsere Klimaschutzagentur und die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW, bieten zwar schon Unterstützung an. Aber wir sehen, dass diese Anreize nicht reichen, um schnell genug zu sein. Darum brauchen wir zusätzliche finanzielle Offensiven der EU und des Bundes.
Das heißt aber auch: Mannheim ist auf externe Hilfe angewiesen, um seine Klimaschutzziele zu erreichen. Aus eigener Kraft ist die Stadt dazu nicht in der Lage.
Pretzell: Wir als Stadt sind zwar sehr ambitioniert. Aber wir sind Teil der Weltgemeinschaft. Und die entscheidenden Rahmenbedingungen werden anderswo gesetzt. Auf unserer Ebene findet jedoch die Umsetzung statt. Und dafür brauchen wir nicht nur die Unterstützung der gesamten Stadtgesellschaft, sondern auch der anderen politischen Ebenen. Alleine schaffen wir das nicht, dafür sind die Maßnahmen zu kostspielig.
Wo wir schon beim Geld sind: Was wird es Mannheim kosten, klimaneutral zu werden?
Pretzell: Genau können wir das nicht sagen, da die Kosten so vielschichtig sind. Setzen wir sie aber gegen die Summen, die durch den Klimawandel auf uns zukommen werden – steigende Gesundheitsausgaben beispielsweise oder steigende Wasser- und Pflegekosten durch Hitze und Trockenheit – sind sie vergleichsweise gering. Zudem ist klar, dass die Kosten steigen werden, je länger wir warten.
Gibt es einen Etat, um die Maßnahmen aus dem Klimaschutzaktionsplan umzusetzen?
Pretzell: Nein, wir haben aber etwas, was viel mehr wert ist: Schon 2019 hat der Gemeinderat mit dem neuen Leitbild beschlossen, dass der gesamte Haushalt der Stadt den Nachhaltigkeitszielen entsprechend priorisiert wird.
Soweit die Theorie, in der Praxis haben Sie damit aber noch keinen einzigen Euro bewilligt. . .
Pretzell: Der Aktionsplan beschreibt ja zunächst Maßnahmen. Dann liegt es in unserer Verantwortung und der der gesamten Stadtgesellschaft, diese auch umzusetzen. Natürlich müssen und werden wir das mit dem Gemeinderat dann ausführlich diskutieren.
Kritiker werfen Ihnen vor, dass die Diskussionen zur Erarbeitung des Plans viel zu abstrakt ablaufen. Gibt es keine konkreten Zahlen über Mannheims CO2-Ausstoß?
Pretzell: Doch, die gibt es. Allerdings sind sie relativ alt, da die Berechnungsgrundlagen umfänglich ermittelt werden. Das bedeutet, dass wir jetzt, 2022, mit Zahlen aus dem Jahr 2018 arbeiten. Das Monitoring ist in der Tat eine große Herausforderung. Hier benötigen wir neue, bessere Tools, mit denen wir wesentlich schneller und einfacher unseren Fortschritt ermitteln können. Bisher fehlen hier allen Kommunen weltweit diese schnellen Instrumente dazu.
Warum können dann einzelne Unternehmen wie etwa die MVV ihre Emissionen genau benennen?
Pretzell: In einer geschlossenen Organisation mit einer definierten Produktionskette ist es klarer, was ins System reinkommt und was ausgestoßen wird. Für ein so komplexes System wie einer Stadt muss ein schnelles Berechnungstool erst entwickelt werden.
Wissen Sie, wie hoch die Emissionen der Stadtverwaltung sind?
Pretzell: Die Erstellung dieser Bilanz erfordert umfangreiche Datensammlungen und Bewertungen. Ein entsprechender Auftrag für eine CO2-Bilanz der Stadtverwaltung für das Jahr 2020 ist in Arbeit. Aufgrund der Komplexität und der großen Anzahl zu analysierender Objekte wird diese Bilanz erstmalig in der zweiten Jahreshälfte fertig gestellt.
Hat Mannheim sein selbstgestecktes Ziel erreicht, 2020 die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren?
Pretzell: Das wissen wir erst im Sommer, wenn die Zahlen vorliegen. Aktuell sind wir verhalten optimistisch, dass es in den Bereichen Industrie und Gewerbe sowie bei den privaten Haushalten geklappt hat.
Zuletzt hieß es selbst in städtischen Vorlagen, dass das Ziel wohl verfehlt wird.
Pretzell: Zum einen sehen wir, dass die Aktivitäten der Unternehmen und der Haushalte wirksam sind, zum anderen erwarten wir einen Sondereffekt aufgrund der Corona-Pandemie. Den Schwung dieser Entwicklung müssen wir fortsetzen und beschleunigen.
Bei der Erarbeitung des Klimaschutzaktionsplans sind Klimagruppen, die Handwerkskammer, die Industrie- und Handelskammer, Gewerkschaften, Gemeinderäte, für einen Bürgerrat ausgewählte Bürgerinnen und Bürger beteiligt. Vordergründig zumindest – viele, die hier beteiligt werden sollen, kritisieren, dass das Thema komplex ist, es aber pro Arbeitsgruppe erst ein oder zwei Sitzungen gegeben habe, es also kaum möglich sei, sich kritisch mit den Fragen auseinanderzusetzen. Ist das so?
Pretzell: Wir haben schon mehr als 20 Veranstaltungen mit rund 180 Teilnehmern durchgeführt. Und im März wird es eine weitere Beteiligungsrunde geben, bei der die berechneten Maßnahmen besprochen werden sollen. Danach gehen wir dann in den Lenkungskreis und Gemeinderat. Es ist uns also wichtig, hier transparent und partizipativ voranzugehen. Zugleich haben wir auch nicht zu viel Zeit zu verlieren, bei der Komplexität des Themas ist das ein ständiger Abwägungsprozess.
Machen Sie den Klimaschutzaktionsplan eigentlich nur, weil Mannheim sich bei der EU als eine von 100 klimaneutralen Städten beworben hat?
Pretzell: Den Klimaschutzaktionsplan müssen wir ohnehin alle zehn Jahre fortschreiben. Für die EU-Mission „100 klimaneutrale Städte“ haben sich 377 Städte beworben. Sollten wir Ende April ausgewählt werden, werden wir durch die EU deutlich mehr Hilfe für den Klimaschutzaktionsplan erhalten als dies aus eigener Kraft möglich wäre. Das war und ist eines unserer wichtigsten Ziele.
Der Umbau einer Stadt in Richtung Klimaneutralität ist eine Herkulesaufgabe: Wird es Ihnen angesichts dieser Herausforderung manchmal angst und bange?
Pretzell: Natürlich ist das eine große Herausforderung, die wir als Stadt gemeinsam meistern müssen. Aber diese Stadt hat auch schon vieles andere gemeinsam gemeistert! Der Klimaschutz und die damit einhergehende Transformation wird unsere Gesellschaft verändern. Je mehr wir das als Chance begreifen, umso mehr werden wir das aktiv mitgestalten. Entscheidend wird dabei sein, dass wir die Transformationen so gestalten, dass sie sozial gerecht vonstattengehen und diese wie auch die nächste Generation als Gewinner daraus hervorgeht.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-wie-soll-mannheim-in-acht-jahren-klimaneutral-sein-frau-pretzell-_arid,1918240.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html