Mannheim. Dave Tomlinson greift im Überschwang der Gefühle zu einer Eisenstange und befestigt sein Trikot mit der Rückennummer 11 daran. Er lässt das, was jetzt wie eine Fahne aussieht, durchs Rund kreisen - immer und immer wieder. Der ehemalige Eishockey-Mittelstürmer, dem von 1996 bis 2002 die Herzen der Adler-Anhänger zuflogen, ist längst selbst ein Fan geworden - ein Fan der Stadt Mannheim, seiner ehemaligen Teamkollegen und dieses altehrwürdigen Eisstadions, in dem der heute 54-jährige Kanadier die DEL-Meisterschaften 1997, 1998, 1999 und 2001 feierte.
„Jedes Mal, wenn ich hierher zurückkehre, habe ich Gänsehaut. Es gibt einfach zu viele schöne Erinnerungen an dieses Gebäude“, sagt Tomlinson. Sein Blick will gar nicht vom Friedrichspark loslassen, alles soll sich in sein Hirn einbrennen. Niemals will er die Zeit vergessen, die sein späteres Leben prägen würde - dabei wollte der 1996 aus Cincinnati nach Mannheim gewechselte Angreifer eigentlich nur kurz bleiben, vielleicht sogar nur ein Jahr.
Reise in die Vergangenheit
„Ich wollte ein bisschen Zeit in Europa verbringen, einen richtigen Plan hatte ich allerdings nicht“, betont Tomlinson, der am Samstagnachmittag mit der Meistermannschaft von 2001 Abschied vom Friedrichspark nimmt und am Sonntag beim Champions-League-Spiel der Adler gegen Salzburg eine für die Fans durchaus wichtige Rolle spielt: Vor der Partie schreibt er sich bei der Autogrammstunde die Finger wund, später steht er Spalier, als die aktuelle Adler-Mannschaft das Eis betritt.
Viele Helden von damals sind gekommen. Jackson Penney mit Oberarmen wie Dampfhammer sieht so aus, als könnte er immer noch die Pucks in schöner Regelmäßigkeit in die gegnerischen Maschen zimmern. Manche wie Kölns Co-Trainer Ron Pasco oder Eisbären-Manager Stéphane Richer sind dem deutschen Eishockey in unterschiedlichen Positionen verbunden geblieben, andere sind extra aus Nordamerika angereist.
Am liebsten wären wohl alle gekommen. Wie auch der legendäre Torhüter Mike Rosati, doch der ist in die Organisation der Vegas Golden Knights aus der nordamerikanischen Profiliga NHL eingebunden und konnte nicht freimachen. Chris Straube, Michael Bakos und Steve Junger sind da. Offensivverteidiger Andy Roach, der schon damals für viel Torgefahr sorgte, spielt immer noch in einer AH-Mannschaft Eishockey - als Stürmer.
Der Mann, der nach dem DEL-Titelgewinn 2001 die größte Karriere folgen ließ, ist Dennis Seidenberg. 2011 gewann er mit den Boston Bruins den Stanley Cup, die Einladung nach Mannheim nutzt er für einen kurzen Besuch in der Heimat. Auch wenn er es damals noch nicht richtig einschätzen konnte, so weiß er heute doch im Rückblick: Die für ihn nicht ganz so einfache Saison 2000/01 sollte für ihn noch eine große Bedeutung haben. „In Mannheim habe ich die Einstellung gelernt, die mir in den USA zum Erfolg verholfen hat“, sagt der heute 42-Jährige und erklärt: „Die ersten 30 Spiele werde ich nie vergessen, denn die habe ich mit einem dicken Pulli unter dem Trikot auf der Spielerbank verbracht.“ Seidenberg musste Trainer Bill Stewart erst davon überzeugen, dass er sich auf ihn verlassen konnte.
Denkwürdige Play-offs: Stewart täuschte Kreislaufkollaps vor
Tomlinson war damals schon ein gestandener Spieler. Drei Titel hatte der Kanadier damals mit den Adlern bereits geholt, nach der missratenen Saison 1999/2000 startete der Club einen neuen Angriff. „Wir haben schnell gemerkt, dass dieses Team alles hatte, um am Ende ganz oben zu stehen“, sagt Tomlinson über die Meister-Adler 2001.
Nach einem holprigen Start griffen vor 22 Jahren die Rädchen relativ schnell ineinander. Auf die Hauptrunde sollten denkwürdige Play-offs folgen: Stewart lieferte sich einen Faustkampf mit dem damaligen Berlin-Capitals-Coach Pavel Gross, und im vierten Finale in München klappte Stewart plötzlich zusammen. Wie sich im Nachhinein herausstellte, täuschte er einen Kreislaufkollaps vor. Der Grund: Bei den Schlittschuhen einiger Spieler passte der Schliff nicht. Der Materialwart benötigte Zeit, um das wieder in Ordnung zu bringen.
„Manche Storys sind auf den Tisch gekommen, die einige von uns noch gar nicht kannten“, berichtet Tomlinson von einem aufschlussbringenden Wiedersehen. Dem Eishockeysport ist er nach dem Ende seiner Profikarriere treu geblieben. „Zuerst wollte ich etwas anderes machen, dann habe ich festgestellt, dass es gar nicht schlecht ist, wenn Eishockey mein Leben bleibt und ich das weiter zu meinem Beruf mache.“
In den vergangenen beiden Spielzeiten hat Tomlinson für einen Radiosender über die NHL-Partien der Seattle Kraken berichtet, für die Disney-Serie „Mighty Ducks: Game Changer“ arbeitete er als Hockey-Koordinator. Er erlebte viel in seiner bisherigen Karriere, allerdings prägte ihn nichts so sehr wie die Zeit im Friedrichspark. Wenn die Kultstätte im nächsten Jahr tatsächlich abgerissen wird, um für die Uni-Erweiterung Platz zu machen, ist er sich sicher: „Ich werde wiederkommen, wenn das hier nur noch ein Loch ist.“
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