Interview

Wie findet man eine gerechte Strafe, Herr Sobota?

Bei der Strafzumessung in Prozessen kann es zu großen Unterschieden kommen, wie jüngst wieder ein Fall aus Mannheim gezeigt hat. Was ein Experte dazu sagt.

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Stefanie Ball
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Sebastian Sobota ist seit Januar 2025 stellvertretender Direktor der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) in Wiesbaden, einer gemeinsamen Forschungseinrichtung des Bundes und der Länder. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem das Sanktionenrecht und Drogenstrafrecht. © Sebastian Sobota

Mannheim. Ein Profisportler wird vom Landgericht Mannheim wegen Vergewaltigung einer jungen Frau sowie sexueller Belästigung weiterer Frauen zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Staatsanwaltschaft wollte den Mann hinter Gittern sehen – sie hatte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten gefordert. Nun wurde seitens der Staatsanwaltschaft Revision eingelegt.

Prozess

Profi-Sportler in Mannheim wegen Vergewaltigung verurteilt

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Stefanie Ball
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Wie kann es sein, dass es bei der Strafzumessung so große Unterschiede gibt? Weil das Strafgesetzbuch weite Strafrahmen hergibt. Das Landgericht hatte nicht infrage gestellt, dass die Frau vergewaltigt worden war, die Strafkammer hatte in ihrer mündlichen Urteilsbegründung aber mildernde Umstände geltend gemacht, etwa eine lange Wartezeit, bis der Prozess losging, sowie dass der Mann stark alkoholisiert gewesen sei. Sebastian Sobota, stellvertretender Direktor der Kriminologischen Zentralstelle in Wiesbaden, sieht den Fall kritisch und fordert allgemein mehr Transparenz, um Ungleichheiten bei der Strafzumessung zu verringern.

Herr Sobota, gibt es eine gerechte Strafe?

Sebastian Sobota: Ob eine Strafe gerecht ist, hängt davon ab, wen man fragt. Im Strafgesetzbuch gibt es die „Antinomie der Strafzwecke“, gemeint ist ihre Gegensätzlichkeit. Einerseits soll es einen Schuldausgleich geben, Vergeltung für begangenes Unrecht, und es soll gegenüber der Allgemeinheit demonstriert werden, dass das Recht gilt. Andererseits haben wir ein Präventionsstrafrecht, dem es immer auch darum geht, künftige Straftaten zu verhindern. Manchmal bräuchte es dafür gar keine Strafe.

Welches Prinzip bekommt am Ende mehr Gewicht?

Sobota: Das hängt vom Einzelfall ab. Ganz entscheidend ist, ob es sich um einen Ersttäter oder Wiederholungstäter handelt. Vorstrafen führen in der Praxis zu einer erheblichen Verschärfung. Wenn ein Straftäter dagegen gut integriert ist, neigen Gerichte eher zu Milde. Bei einer günstigen Prognose kann die Strafe gegebenenfalls zur Bewährung ausgesetzt werden.

Sebastian Sobota

Sebastian Sobota, geboren 1985 in Wiesbaden, ist Rechtswissenschaftler und Kriminologe .

• Nach einer Promotion über Nebenfolgen einer Strafverurteilung war er mehrere Jahre an einem Lehrstuhl für Strafrecht an der Universität Mainz tätig, dann Vertreter der Professur für Kriminologie an der Universität Heidelberg und Rechtsanwalt.

• Seit Januar 2025 ist er stellvertretender Direktor der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) in Wiesbaden, einer gemeinsamen Forschungseinrichtung des Bundes und der Länder. Zu seinen Schwerpunkten zählen unter anderem das Sanktionenrecht und Drogenstrafrecht.

Was ist mit Alkoholeinfluss – wirkt auch der strafmildernd?

Sobota: Nicht zwingend. Die Rechtsprechung hat sich hier geändert. Früher war anerkannt, dass sich eine Alkoholisierung grundsätzlich zugunsten des Täters auswirkt. 2018 hat der Bundesgerichtshof aber entschieden, dass eine Strafmilderung versagt werden kann, weil die enthemmende Wirkung von Alkohol allgemein bekannt ist. Eine selbstverschuldete Trunkenheit führt also nicht mehr zu Strafrabatt. Anders sieht es bei einem Vollrausch aus, der die Schuldfähigkeit vollständig aufheben kann.

Das Landgericht Frankfurt/Oder hat einen Mann, der seine Ex-Frau brutal vergewaltigt hatte, zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Ein anderer Mann wurde wegen Anstiftung zur Kokaineinfuhr zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Wie kann es zu einer so unterschiedlichen Bewertung kommen?

Sobota: Der Strafrahmen war zwar gleich, er liegt in beiden Fällen zwischen zwei und 15 Jahren. Aber bei Drogen werden häufig exorbitante Strafen verhängt, auch dann, wenn wie in dem genannten Fall kein Mensch zu Schaden gekommen ist. Denn hier geht es um abstrakte Gefahren. Im sogenannten „Krieg gegen Drogen“ wird auf Abschreckung gesetzt, der Gesetzgeber will das so, und die Gerichte fühlen sich verpflichtet, dem durch hohe Strafen nachzukommen. Ich sehe das sehr kritisch, weil dieser Ansatz seit Jahrzehnten keinerlei messbaren Erfolg hat, aber dafür sehr viel Leid verursacht.

Der Kampf gegen häusliche Gewalt wird weniger engagiert geführt?

Sobota: Grundsätzlich habe ich nicht den Eindruck, dass deutsche Gerichte etwa in Fällen von Vergewaltigung oder Körperverletzung im häuslichen Umfeld zu milde urteilen. Es gibt aber regionale Unterschiede und vereinzelt Fehlgriffe wie im Fall aus Brandenburg. Dieses Urteil hat der Bundesgerichtshof daher zu Recht aufgehoben. Gerichte orientieren sich normalerweise am „Tarif“ in ihrem Bezirk.

Heißt was?

Sobota: Nicht nur, wenn Richter neu an ein Gericht kommen, schauen sie, was dort so üblich ist. Das grundlegende Problem sind die unheimlich weiten Strafrahmen. Für einfachen Raub, ohne dass eine Waffe zum Einsatz kommt, droht beispielsweise eine Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 15 Jahren. In der Regel bewegen sich Urteile im unteren Drittel, weil sich der obere Bereich kaum rechtfertigen lässt. Aber gut begründet sind durchaus höhere Strafen möglich. Das führt zu den regionalen und deliktspezifischen Unterschieden. Teilweise spielen auch persönliche Einstellungen der Richter eine Rolle.

Hilfe bei sexueller oder häuslicher Gewalt

Egal, ob Sie selbst, Angehörige oder Personen in Ihrem Freundeskreis von häuslicher Gewalt betroffen sind: Es gibt Möglichkeiten für Hilfe. Unter folgenden Telefonnummern und auf folgenden Internetseiten finden Sie Beratung und Unterstützung. 

Bundesweit

Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"

Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist eine anonyme und kostenfreie Beratung für Betroffene, Angehörige, Freunde und Fachkräfte.

Opfer-Telefon des Weissen Rings 

Unabhängig von Geschlecht, Alter, Religion, Staatsangehörigkeit und politischer Überzeugung erhalten Opfer oder Zeugen von Kriminalität bei uns schnelle und direkte Hilfe.

Bundesweit. Kostenfrei. Anonym. Ein Hilfsangebot des WEISSEN RINGS: 7 Tage die Woche von 7 bis 22 Uhr.

Telefon: 116 006

Website: www.weisser-ring.de/hilfe-fuer-opfer/onlineberatung

In der Region

Frauenhaus des Mannheimer Frauenhaus e. V.

Das Frauenhaus bietet Schutz für Frauen und deren Kinder vor Gewalt und Bedrohung in akuten häuslichen Gewaltsituationen. Die Mitarbeiterinnen beraten Betroffene bei der Lösung persönlicher Probleme und der Verarbeitung der Gewalterfahrungen. 

Fraueninformationszentrum des Mannheimer Frauenhaus e. V.

Im Fachinformationszentrum des Mannheimer Frauenhauses werden Frauen zum Wohnungsverweis und Gewaltschutzgesetz nach häuslicher Gewalt, Unterstützung in schwierigen Trennungs- und Scheidungssituationen und bei Stalking beraten.

Frauen- und Kinderschutzhaus Heckertstift des Caritasverband Mannheim e. V.

Hier finden Frauen und deren Kinder Schutz, die sexuelle, körperliche oder seelische Gewalt erlebt haben oder davon bedroht sind, sowie für Frauen, die von einer Zwangsheirat betroffen oder bedroht sind.

  • Telefon: 0621 411068 oder über die kostenlose Hotline 0800 1008121
  • E-Mail: heckertstift@caritas-mannheim.de
  • Website: www.caritas-mannheim.de

Ehe-, Familien- und Lebensberatung Mannheim

Die Familienberatung Mannheim berät bei körperlicher, psychischer, seelischer oder sexualisierter Gewalt. Zudem finden Betroffene hier Hilfe bei Ehe- bzw. Partnerschaftsproblemen oder Familienkonflikten.

Gewaltambulanz am Uniklinikum Heidelberg (Institut für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin)

Opfer von Gewalt können sich hier kostenlos rechtmedizinisch untersuchen lassen. Die Mitarbeiter dort sichern Spuren bei Gewalttaten. Es besteht keine Pflicht, die Täter anzuzeigen. Die Gewaltambulanz ist 24 Stunden erreichbar. 

Weitere Stellen in der Region auf der Seite der Stadt Mannheim.

Aber verstößt das nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz?

Sobota: Auf jeden Fall, das ist ein gravierendes Problem. Deshalb gibt es aus der Wissenschaft seit langem die Forderung, eine öffentliche Urteilsdatenbank einzurichten und Transparenz zu schaffen. Auch über Leitlinien wird diskutiert.

Abstrakt gesprochen – wie funktioniert Strafzumessung?

Sobota: Der Akt der Strafzumessung füllt ganze Bücher. Grob gesagt wird im ersten Schritt der Strafrahmen ermittelt. Also beim Diebstahl zum Beispiel Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Im Anschluss wird die konkrete Strafe bemessen, indem alle relevanten Umstände abgewogen werden, etwa das Motiv und Vorleben des Täters oder die Folgen der Tat. Hier haben die Tatgerichte traditionell einen gewissen Spielraum. Nur wenn es grobe Fehler gibt, unzulässige Erwägungen oder Ausreißer nach oben oder unten, schreiten die Revisionsgerichte, etwa der Bundesgerichtshof, ein.

Welche Rolle spielt der soziale Status des Angeklagten – werden hier Unterschiede gemacht?

Sobota: Es gibt seit jeher den Vorwurf der „Klassenjustiz“. Bei einem Selbstständigen, der jahrelang keine Steuererklärungen abgegeben hat, aber die 50.000 Euro Steuerschuld sofort begleicht, wird das Verfahren zum Beispiel gegen eine Auflage eingestellt. Fährt dagegen ein Obdachloser ohne Fahrschein Bus, muss er im schlimmsten Fall mehrere Monate ins Gefängnis. Dabei werden diese Menschen, die ohnehin schon im Elend leben, nicht aus Spaß oder Uneinsichtigkeit rückfällig. Trotzdem strafen Gerichte hier oft erbarmungslos. Und machen damit alles nur schlimmer.

Freie Autorin

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