Geschichte

Wie eine Gerüstbaufirma auch kranken Menschen hilft

Das Besondere ist, dass sie einer Stiftung gehört, die Menschen mit Hepatitis oder HIV hilft: die Firma RJ Gerüstbau wird 50 Jahre alt. Welche markanten Gebäude sie eingerüstet hat und wann sogar ein Hubschrauber im Einsatz war

Von 
Peter W. Ragge
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Binnen kürzester Zeit höchst vorsichtig aufgebaut: 6100 Gerüstteile haben Mitarbeiter der Firma RJ im Rittersaal montiert. © Thomas Tröster

Mannheim. Er hat mal nachgerechnet. An 20 Prozent aller Mannheimer Gebäude, so Geschäftsführer Hans-Peter Restle, sind seine Gerüste schon gestanden, darunter an nahezu allen prominenten Denkmälern vom Wasserturm über den Fernmeldeturm und viele Kirchen bis zum Schloss. 50 Jahre alt wird jetzt die Firma RJ Gerüstbau, wobei sie eigentlich viel älter ist und auf das Jahr 1929 zurückgeht. Das Besondere an ihr ist, dass sie einer Stiftung gehört.

„Verträge sind Leitz-Ordner-dick, die gibt es nun statt einem Händedruck. Mails werden in unendlicher Menge geschrieben statt Probleme gelöst“ – Restle sieht nicht nur positiv, wie sich das Geschäftsleben gewandelt hat. 35 der 50 Jahre leitet der 66-jährige Diplom-Kaufmann und promovierte Volkswirt nun das Unternehmen, in dem er bereits parallel zum Studium Lagerhelfer und Gerüstbauer war. Erste Erfahrungen als Selbstständiger sammelte der frühere Pfadfinder ab 1981 als Inhaber eines Reisebüros, ehe er 1983 Montageleiter und dann Chef wurde. Er sieht sich als „Bewahrer von Bewährtem, aber offen und neugierig auf Neues“, wobei ihm die Arbeit mit und an Denkmälern ganz besonders am Herzen liegt.

Lieblingsobjekte: Wiederaufbau von Konkordienkirche und Wasserturm. © RJ Gerüstbau

Mut zur Selbstständigkeit in schwieriger Zeit

„Bingert & Co.“ steht zunächst auf den Schildern der Gerüste, die heute für das orangefarbene Quadrat mit den schwarzen Buchstaben „RJ“ bekannt sind. Als der Zweite Weltkrieg überstanden und der Wiederaufbau gemeistert ist, übernimmt 1954 Mannesmann das Unternehmen, wandelt es in eine Niederlassung um. In die tritt Restles Vater Karlfriedrich 1952 als junger Bauingenieur ein und wird 1959 Niederlassungsleiter. In dieser Zeit steht die Firma für eine Innovation, setzt sie doch erstmals Aluminiumrohrgerüste statt Stahl ein.

1974 droht das Aus, denn Mannesmann will sich aus der Branche zurückziehen. Karlfriedrich Restle hat den Mut, sich trotz der damaligen Rezession selbstständig zu machen. Mit dem bisher dort angestellten Techniker Herbert Jakobi übernimmt er das Unternehmen: „RJ Stahlgerüstbau“ entsteht – mit 50 Mitarbeitern und einem Materialpark von 2000 Tonnen in der Edisonstraße in Käfertal, unweit des heutigen Sitzes in der Fraunhoferstraße.

Anfangs ist die Firma deutschlandweit, ja sogar international tätig: Gleich im Gründungsjahr rüstet sie eine Raffinerie auf den Bahamas ein, erstellt ein Gerüst an der Twistetalbrücke bei Kassel mit 1000 Metern Länge in 50 Metern Höhe. Wobei diese Höhe übertroffen wird vom Fernmeldeturm oder Kaminen bei BASF und Großkraftwerk mit jeweils über 200 Metern.

Gerüstbauer mit Promotion: Hans-Peter Restle auf der Veste Otzberg im Odenwald. © RJ Gerüstbau

In den 1970er und 1980er Jahren wird in Mannheim viel gebaut, und oft stehen Maurer oder Maler auf Gerüsten von RJ: In D 3, K 1 und N 6, bei der Sanierung von Wasserturm und Kirchtürmen, beim Neubau von Bilfinger + Berger, bei der Erweiterung des Rosengartens und der Errichtung mehrerer Hochregallager, beim Bau des Fernmeldeturms 1974 und bei der Reparatur, nachdem 1989 ein Rettungshubschrauber der Bundeswehr an der Spitze hängen geblieben war. Manchmal baut die Firma Gerüste, um Kommunalpolitikern zu zeigen, welche Dimension ein Neubau haben wird – etwa am Planetarium, der Kunsthalle, der „grünen Brücke“ Waldhof.

Ab 1989 steht „RJ“ für „Restle Junior“. Jakobi scheidet aus, Hans-Peter Restle übernimmt mehr Verantwortung und folgt, als 1990 sein Vater stirbt, als Geschäftsführer. Es ist die Zeit der Deutschen Einheit, die Zeit des Baubooms, aber auch technischer Innovationen. Nun war für RJ Gerüstbau „nie lediglich Stahlrohre zusammenstecken“, wie Restle sagt. „Nichts war unmöglich“, beschreibt er indes jene Zeit, man habe „alles, was es gab, gebraucht wie neu“ gekauft, um der Nachfrage Herr zu werden. Da denkt er zurück an Herausforderungen wie „Schwarze Pumpe“, das alte DDR-Braunkohlekraftwerk in Cottbus, dessen Kraftwerksblock er in 160 Metern Höhe einrüstet, oder an Kunstprojekte auf Planen, die an Gerüsten hängen. Gerne erinnert er sich daran, dass er ab 1996 frei stehende Konstruktionen für Open-Air-Kinos in Mannheim und fünf weiteren Städten hochgezogen hat – „zehn Sommer lang, bis das Wetter unberechenbar wurde“, seufzt er.

30 Flüge am Tag: Gerüstbau per Hubschrauber 1996 am Collini-Center. © RJ Gerüstbau

Schlösser und Kirchen der Region sind ein Schwerpunkt

Nach dem Bauboom kommt der Absturz in den Nullerjahren und 2000 der Insolvenzantrag. Ein anderer hätte den Kopf in den Sand gesteckt“, doch Restle schafft den Wiederaufstieg, legt den Schwerpunkt auf Mannheim und die Region, besonders auf denkmalgeschützte Objekte. Der Wormser Dom, zuvor der dortige Nibelungenturm, die Veste Otzberg, Kirchen, das Heidelberger Schloss – das sind derzeit seine Lieblingsbaustellen, besonders aber das Mannheimer Schloss.

Mal muss es ganz schnell gehen wie nach dem Wasserschaden im Rittersaal, als Restles Leute binnen weniger Stunden mit höchster Vorsicht 6100 Gerüstteile von zusammen 60 Tonnen Gewicht montiert haben. Und manchmal wählt der Chef ungewöhnliche Wege: Bei der Sanierung des Collini-Wohnturms 1996 hat ein Hubschrauber 24 Tonnen Gerüststangen und Arbeitsbühnen vom Neckarvorland aufs Dach geflogen – mit 30 Starts.

So ungewöhnlich ist auch die Konstruktion mit der Stiftung, der die Firma gehört. Restles Großmutter Hedwig Buselmeier hatte 2001 die nach einem Zweig ihrer Familie benannte Löffler von Puxhausen Stiftung gegründet, die sich der Erforschung und Unterstützung von Patienten mit Infektionskrankheiten wie Hepatitis und HIV verschrieben hat. Damit die sich erholen können, erwarb die Stiftung einen denkmalgeschützten, baufälligen Bauernhof in Ichenheim (Ortenau). Restle hat ihn mit viel persönlichem Einsatz saniert und dort Räume für Rehabilitation eingerichtet. Alle Erträge der Firma fließen in diese Arbeit.

Redaktion Chefreporter

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