Mannheim. Es ist nur ein altes Tor, das den Zufluchtsort der verwilderten Katzen von der Außenwelt abschirmt. Nur wenige Kilometer entfernt brausen schwere Laster und Autos auf der Schnellstraße in Sandhofen vorbei, fahren ebenfalls einen Katzensprung weiter täglich Hunderte zum Großeinkauf ins Industriegebiet.
Fast schon etwas unwirklich wirkt deshalb die Welt hinter dem Tor: Der verwachsene Innenhof einer stillgelegten Fabrik bietet für aktuell sieben Katzen, eine Maus und einen Igel ein Zuhause - und für ehrenamtliche Tierschützende wie Marco Bernoth einen guten Ort, um die scheuen Tiere regelmäßig zu füttern. „Ich komme eigentlich alle zwei Tage hierher, füttere so zwei Kilogramm“, sagt Bernoth, während er über saftig grünes Gras läuft und einen verwahrlosten Schuppen ohne Türen ansteuert. Im Gepäck hat der Ehrenamtliche viele Dosen Katzenfutter, frische Näpfe und natürlich auch ein paar Leckerlis als Nachtisch.
Die Begrüßung fällt entsprechend herzlich aus: Eine schwarz gestreifte Katze, die Bernoth liebevoll Schnuffi nennt, streicht schnurrend um seine Beine, lässt sich sogar streicheln. So scheinen auch die anderen Katzen, Chef, Ikea, Gismo und Einstein, verstanden zu haben: Wenn Bernoth nicht wäre, würde sich hier sonst niemand um sie kümmern. Werden die Tiere krank oder finden nicht genug zu Fressen, verenden diese verwilderten Haustiere manchmal qualvoll - oder werden von einem Auto erfasst.
„Es ist oft ein trauriges Leben und ein trauriges Ende“, sagt Kristina Stumpf, die sich gemeinsam mit Bernoth und anderen Ehrenamtlichen um die herrenlosen Katzen kümmert. An über 70 Futterstellen, mal geheim, mal öffentlich, versorgen die Tierschützenden die Katzen regelmäßig mit Futter. Die Kosten dafür müssen sie laut eigenen Angaben selbst tragen, Anträge für Gelder aus dem Tierschutzfonds der Stadt seien abgelehnt worden. Nachgefragt bei der Stadt heißt es dort klar: Gelder aus dem Tierschutzfond seien nicht für die „dauerhafte Fütterung wildlebender Tiere im Rahmen ehrenamtlichen Engagements“ gedacht.
Wie viele Streuner es in der Stadt gibt, weiß keiner so genau - aber es gibt realistische Hochrechnungen von rund 6500 bis 8000 Tieren in Mannheim
Vielmehr seien die finanziellen Hilfen für Aufwendungen vorgesehen, die beim Versorgen von verletzten oder erkrankten Tieren oder auch der Kastration von verwilderten Katzen entstehen - und die dann wieder in die Freiheit entlassen werden. Bei ihren Fütterungen finden die Tierschützenden nicht selten auch überfahrene Tiere am Straßenrand, wie zum Beispiel einen getigerten unkastrierten Kater in der Nähe eines großen schwedischen Möbelhauses, aber auch im Scharhof oder entlang des Viernheimer Wegs.
Viel Styroporboxen samt Decken gegen die Kälte
Sind die Katzen noch am Leben oder fällt beim Füttern auf, dass ein Kater unkastriert ist, versuchen die Ehrenamtlichen sie einzufangen und zur Versorgung und Zwangskastration ins Tierheim zu bringen. „Die zu fangen, ist nicht leicht, manchmal tappt einfach die falsche in die Falle“, erzählt Bernoth. Er hat im verwahrlosten Schuppen eine Wildkamera angebracht, um genau zu wissen, wer und wie viele Tiere dort nun wirklich Zuflucht suchen. Neben einer Maus hat Bernoth auf den Schnappschüssen der Kamera auch schon einen Igel entdeckt, berichtet er schmunzelnd. Im hinteren Teil des Schuppens stehen Styroporboxen mit Decken darin. Sie sollen die Katzen an kalten Wintertagen warm halten. Seit Jahren engagieren sich die beiden für das Wohl solcher Katzen.
Auslöser für das Engagement waren jeweils verletzte und zugelaufene Katzen auf den Arbeitstellen - und niemand, der sich für sie zuständig gefühlt hatte. Denn diese Tiere gelten als herrenlose oder verwilderte Katzen, oft auch Streuner genannt. Weil sie entweder keinem Halter zugeordnet werden können - oder hier draußen geboren wurden. Die meisten sind Nachkommen von unkastrierten Freigänger-Katzen und ihren verwilderten Artgenossen. Sie haben nie gelernt, wie Wildkatzen zu jagen.
Wie viele es von ihnen in Mannheim gibt? „Das weiß keiner so genau, aber es gibt realistische Hochrechnungen von rund 6 500 bis 8000 Tieren in Mannheim“, sagt Stumpf. Dieser Einschätzung folgt auch die Stadt, die sich auf wissenschaftliche Erhebungen in Anlehnung an andere Städte stützt. Laut Beschlussvorlage für die neue Katzenschutzverordnung bedeute das bei rund 325 000 Einwohnenden für Mannheim 6 500 bis 8 125 freilebende Tiere. Damit sich die Verwilderten nicht weiter vermehren durch Paarung mit Hauskatzen, soll ab dem 1. Oktober eine Kastrationspflicht für alle freilaufenden Haustiere gelten. Schätzungen zufolge gibt es in Mannheim rund 58 000 Hauskatzen, unabhängig davon ob freilaufend oder nicht.
Was die Ehrenamtlichen von der neuen Verordnung halten? Für beide ist die zwar ein richtiger Schritt. Allerdings löse das nicht die Frage: Wohin mit den verwilderten Tieren? Bislang, berichtet Stumpf, würde das Tierheim oft von den Ehrenamtlichen eingesammelte Katzen ablehnen. „Kein Platz und keine Mittel, das bekommen wir oft zu hören, selbst wenn wir Monate vorher schon anfragen“, sagt Stumpf enttäuscht.
Verwilderte Katzen kaum vermittelbar
Woran das liegt? Beim Anruf im Tierheim erklärt Thomas Gebhardt, Vorsitzender des Tierschutzvereins: „Das Problem bei diesen verwilderten Katzen: Sie sind eigentlich unvermittelbar, können nicht im Haus gehalten werden. Sie bräuchten einen Bauernhof. Wir können sie deshalb nicht im Katzenhaus halten.“ Aktuell seien dort 38 Katzen untergebracht. Und zwar jene, erklärt Gebhardt, die als Fundtiere zählen, also ausgesetzt und von der Tierrettung oder von der Stadt ins Tierheim gebracht werden. Diese ließen sich alle mit der Hand einfangen und seien leicht zu handhaben. Die verwilderten Artgenossen dagegen ließen sich nur mit Fallen fangen. Für sie hat das Tierheim einen ausbruchssicheren Katzengarten eingerichtet. „Aber der ist mit 20 Tieren ausgelastet.“ Ein weiteres Problem: Ähnlich wie andere Tierheime kämpft auch das Mannheimer ums Überleben. Denn laut Gebhardt übernimmt die Stadt nur die Hälfte der Kosten von 1,1 Millionen Euro pro Jahr, muss das Tierheim selbst Geld aus dem Tierschutzfonds für Kastrationskosten beantragen.
Neben dem Katzengarten betreibt das Tierheim auch Futterstellen, fängt dort Tiere ein, kastriert sie und setzt sie wieder dort aus. Im 2023 habe man für 35 000 Euro wilde Katzen kastriert. Zwar ist für Gebhardt die neue Katzenschutzverordnung ein richtiger Schritt, um die Population und damit das Leid der verwilderten Tiere einzudämmen. „Aber es ist nicht die Endlösung“. Der Vorsitzende wünscht sich von der Stadt, hier mehr Aufgaben zu übernehmen. Verwilderte Katzen zusätzlich umzusiedeln oder zu vermitteln, sei fürs Tierheim nicht leistbar. „Wir tun, was wir können. Aber unsere Möglichkeiten sind erschöpft“, sagt Gebhardt.
Ehrenamtliche wie Stumpf versuchen, über Gnadenhöfe, privat oder über Tierschutzvereine ein neues Zuhause für die Tiere zu finden. Denn sie wieder am Fundort auszusetzen und sich selbst zu überlassen - das wollen die Tierschützenden nicht. Zurück im Schuppen trauen sich die scheuen Katzen, ihren Beobachtungsposten zu verlassen. Eine nach der anderen schleicht sich auf leisen Pfoten an die gefüllten Näpfe - aber lässt beim genüsslichen Fressen die fremde Besucherin neben Bernoth nicht aus den Augen. „Ich komme übermorgen wieder!“, ruft der zum Abschied seinen Schützlingen zu, bevor das schwere Tor wieder ins Schloss fällt.
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