Mannheim. Sie wird, wie es damals heißt, „mit himmlischem Wasser getauft“: Strömender Regen, ein Wald von Regenschirmen, viele Ehrengäste mit nassen Hosenbeinen, wegen des Wetters gekürzte Festreden und dennoch Tausende zwar pitschnasse, aber unverzagte neugierige Bürger – das alles ist vom 28. Juni 1972 überliefert. An diesem Tag, also vor 50 Jahren, wird die Kurt-Schumacher-Brücke und damit die zweite Verbindung zwischen Mannheim und Ludwigshafen eingeweiht. Kinder beider Städte bekommen dafür sogar eigens schulfrei. Und manches, was da gesagt wird, ist heute noch – oder wieder – aktuell.
Der Weg bis zur Einweihung ist schwierig. Gefordert wird diese zweite Rheinbrücke bereits 1953, also noch ehe die Konrad-Adenauer-Brücke steht. 1962, so wird damals die Verkehrsbelastung prognostiziert, brauche man den zweiten Übergang. 1959 sagen die Ministerpräsidenten der beiden Bundesländer Zuschüsse zu. Es dauert aber bis 1972, bis diese „Erleichterung an vielen völlig überlasteten Knotenpunkten“, wie es der damalige Mannheimer Baudezernent Wolfgang Borelly bei der Einweihung formuliert, realisiert wird. „Dass die Lage der Nordbrückenzufahrten, welche unmittelbar auf das Herz Mannheims gerichtet sind, vom Grundsatz her nicht günstig ist, soll nicht verschwiegen werden“, ahnt Borelly offenbar schon 1972 die später häufigen Staus auf dem Luisenring voraus.
Chronik der Rheinübergänge
- Nach der Gründung der Festung Friedrichsburg ab 1606 verkehren allein Holzkähne zur gegenüberliegenden Rheinschanze.
- Ab 1669 gibt es die „Fliegende Brücke“, eine auf Booten ruhende Plattform, die an einem langen Seil gezogen wird.
- Nach 1720 wird eine Schiffsbrücke errichtet, eine Art Pontonbrücke. Sie muss immer dann geöffnet werden, wenn ein Schiff den Rhein passieren will.
- 1867 entsteht die erste feste Brücke, zunächst nur für die Eisenbahn, erst später wird sie für Autos und Straßenbahn erweitert.
- 1932 wird die neue Rheinbrücke fertiggestellt, im März 1945 aber von deutschen Truppen gesprengt. Die amerikanischen Truppen schaffen aber sofort provisorisch Ersatz. Ab 1955 gibt es eine neue Eisenbahnbrücke, ab 1959 die neue Rheinbrücke, 1967 Konrad-Adenauer-Brücke getauft.
Dem Bau der Schumacher-Brücke gehen laut Borelly „viele Hemmnisse und nicht leicht zu überwindende Schwierigkeiten“ voraus. Ludwigshafen muss seinen alten Hauptbahnhof abreißen, Mannheim Lösungen für einen Bau finden, der das Hafengebiet durchschneidet und Kräne tangiert. „Zeitraubende Verhandlungen“ habe das gegeben, so Borelly, der auch mit Blick auf die Finanzierung wie auch bauliche Herausforderungen davon spricht, dass die Situation „nicht selten kritisch zu werden drohte“.
Die Eröffnung verschiebt sich um mehr als ein halbes Jahr, und manche Anschlüsse sind bei der Einweihung nicht fertig. Zwei Arbeiter kommen während der dreijährigen Bauzeit ums Leben – einer beim Sturz von einer Leiter, einer beim Sturz von einer Kaimauer beim Einweisen eines Krans. Und von Dezember 1969 bis Mai 1970 müssen die Bauarbeiten zu einem wichtigen Teil eingestellt werden, „ohne dass es der Öffentlichkeit erfreulicherweise aufgefallen ist“, wie Borelly im als Original überlieferten Text seiner Rede zur Einweihung verrät, den er aber wegen des strömenden Regens nicht ganz vorträgt.
Darin schildert er auch, welch besondere Ingenieurleistung hinter dem 130 Millionen Mark (heute ca. 75 Millionen Euro) teuren Bauwerk steckt. Einmal ist ihr Anschluss an das Verkehrsnetz der jeweiligen Städte kompliziert, weil auf geringem Platz viele Auf- und Abfahren geschaffen werden müssen – wofür sich bald der Begriff „Schneckennudel“ einbürgert.
Der Neubau ist schließlich mit über 1,8 Kilometern enorm lang und umfasst eigentlich drei Brücken, überspannen sie doch den Mannheimer Handelshafen mit Verbindungskanal (Länge 296 Meter) und den Mühlauhafen (287 Meter), dann erst den Rhein (433 Meter).
Wegen der Schifffahrt dürfen in den Strom keine Pfeiler gebaut werden. Also kommt man auf die Idee, dass die Fahrbahn an Schrägseilen an zwei 84 Meter hohen Pylonen aus Stahlbetonpfeilern aufgehängt wird. Es ist, wie Borelly hervorhebt, die erste Brücke in Europa mit vorfabrizierten Paralleldrahtbündeln, ein „Fortschritt zur Weiterentwicklung der Brückenbautechnik“ und daher vom Bundesverkehrsministerium maßgeblich mitfinanziert. Erstmals werden Paralleldrahtbündel mit 295 Einzeldrähten und jeweils einem Durchmesser von sieben Millimeter und einer zulässigen Tragkraft von etwas über 800 Tonnen je Bündel verwendet. Um die Tragfähigkeit zu testen, lässt man 20 amerikanische Panzer aus der Spinelli-Kaserne – zusammen 1500 Tonnen Stahl – auf die Brücke rollen. Sie hält.
In den Hohlraum und als Ummantelung der Drahtbündel kommt eine Kunststoffschicht. „Die aggressiven Bestandteile, welche sich auf Grund der nahe gelegenen chemischen Industrien noch mit sehr starken Anteilen in der Luft befinden, machen es erforderlich, für die hochfest gezüchteten und gegen Korrosion sehr anfälligen Stahldrähte einen besonders wirksamen Schutz zu schaffen“, formuliert Borelly 1972. Aber er fügt schon damals an, „dass kein Wissenschaftler den Beweis erbringen kann, dass nicht im Kunststoff nach mehreren Jahrzehnten Alterserscheinungen auftreten“. So passiert es. Schon 20 Jahre später müssen die Drahtseilbündel wegen Rost für knapp zehn Millionen Mark in einem aufwendigen Verfahren saniert werden, indem in die Hülse aus Edelstahl Stickstoff gefüllt wird. Und 1995 machen diese Schrägkabel wieder Schlagzeilen, weil plötzlich bedrohlich aussehende Schwingungen auftreten. Seither reißen die Meldungen über Schäden, nun aber am Beton, nicht ab.
Hoffnung auf dritte Brücke
Ehe der damalige Bundesverkehrsminister Georg Leber (SPD) die Brücke zu Böllerschüssen und Musik der „Kurpfalzjäger“ freigibt, werden Reden gehalten, deren Inhalt auch heute noch aufhorchen lässt. Schon Leber bezeichnet die Brücke als „Symbol für die Zusammengehörigkeit von Mannheim und Ludwigshafen“, ehe er das Band in den Farben der beiden Städte durchschneidet.
Mannheims Oberbürgermeister Hans Reschke, dessen Amtszeit kurz darauf endet, bezeichnet die Brücke als „weiteren Schritt im Sinne der Bemühungen um ein politisches Zusammenwachsen dieses Raumes“. Auch dieser Brückenschlag rühre an die Frage der Landesgrenzen: „Möge er ihre Beseitigung beschleunigen“, wünscht sich Reschke.
Noch weiter geht Ludwigshafens Oberbürgermeister Werner Ludwig. Er fordert: „Die Ländergrenze muss fallen, wir brauchen einen einheitlichen Rhein-Neckar-Raum, Ludwigshafen und Mannheim müssen zu einer Stadt zusammenwachsen.“ Baden-Württembergs Ministerpräsident Hans Filbinger spricht zumindest davon, dass die Region am Rhein „nach Überbrückung strebe“.
Auch Helmut Kohl, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, findet in seiner Rede, dass die Landschaft rechts und links des Rheins zusammengehört. Jeder müsse dazu seinen Beitrag leisten. Die neue Brücke rühmt er als „Werk auf der Höhe der modernen Ingenieurbaukunst“. Und er äußert den Wunsch, dass es „nicht wiederum 13 Jahre dauern möge, bis die nächste Brücke in unserem Raum zwischen Altrip und Speyer dem Verkehr übergeben wird“. Doch daraus wird nichts – bis heute nicht.
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