Stadtgeschichte

Was Mannheimer Auswanderer in Amerika erlebten

"American Dreams" heißt eine Ausstellung im Stuttgarter Haus der Geschichte Baden-Württemberg. Vier der Auswanderer-Schicksale sind aus Mannhem - mit ganz unterschiedlichen Geschichten

Von 
Peter W. Ragge
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Vorbild für Monopoly-Mann: Otto Herbert Kahn, von Mannheim ausgewandert und reich geworden. © Haus der geschichte BaWü (2)/Library of Congress/Marchivum

Mannheim. Ein Mannheimer als Präsident und größter Mäzen der Metropolitan Opera in New York? Ein reicher Mann also, der sogar weltweit als Vorlage für die Comiczeichnung vom „Monopoly Man“ dient und dessen Haus in dem legendären Spielfilm „Citizen Kane“ gezeigt wird? Das ist Otto Herbert Kahn. In Mannheim weitgehend vergessen, würdigt ihn - ebenso wie andere Mannheimer - derzeit das Haus der Geschichte Baden-Württemberg Stuttgart in seiner Sonderausstellung „American Dreams“. Denn es handelt sich um eine höchst spannende Biografie.

„American Dreams“ zeigt beispielhaft das Leben von Auswanderern aus dem heutigen Baden-Württemberg nach Amerika. Über 1,5 Millionen waren es binnen 200 Jahren, 32 werden in der grafisch wie inhaltlich sehr ansprechend gemachten Sonderschau beispielhaft herausgehoben. Dabei heißt die Ausstellung bewusst „Dreams“. „Der Plural ist das Entscheidende“, sagt Rainer Schimpf, der Projektleiter der Sonderschau. Es geht um Träume, die sich erfüllen oder zu Albträumen werden - oder sich zu Albträumen für die Ureinwohner entwickeln.

Der Mannheimer Otto Hermann Kahn reist per Dampfschiff nach New York

Denn das „Gelobte Land“ oder auch „Unberührte Land“, wie die englischen Kolonien und späteren Vereinigten Staaten genannt werden, „ist nicht leer“, bekräftigt Schimpf: Es leben hier Ureinwohner, die oft vertrieben, ja getötet werden. Wie heute Migranten von einem besseren Leben träumen, so hoffen viele der damaligen Auswanderer, in Übersee bessere wirtschaftliche Chancen, religiöse Freiheit oder Rettung vor politischer Verfolgung zu finden oder schlicht bessere Chancen im Leben. Mancher hat sie genutzt - aber nicht jeder.

Kahn - der Name ist in Mannheim bekannt als Namensgeber der Bernhard-Kahn-Bücherei in der Neckarstadt. Schließlich hat nach seinem Tod 1905 seine Witwe Emma 60 000 Mark für eine „Volkslesehalle“ in der Mittelstraße gestiftet - sie war einer der vielen jüdischen Mäzene in Mannheim. Als Teilnehmer der 1848er-Revolution verfolgt und in die USA geflüchtet, war Kahn 1857 nach Mannheim zurückgekehrt und machte hier gute Geschäfte als Bettfedernfabrikant und Bankier.

Besucher-Tipps

  • Die Sonderausstellung „American Dreams – Ein neues Leben in den USA ist noch bis 28. Juli zu sehen. Führungen am 30.6. und 14.7., jeweils 14.30 Uhr.
  • Die DauerausstellungLandesgeschichte(n)“ läuft unbefristet.
  • Das Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Konrad-Adenauer-Straße 16, 70173 Stuttgart, ist ab Hauptbahnhof in ca. 20 Minuten Fußweg durch den Schlosspark leicht zu erreichen.
  • Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 21 Uhr.
  • Eintritt: fünf Euro, Donnerstag ab 18 Uhr und Jugendliche frei. pwr

 

Hier ist als viertes seiner acht Kinder 1867 Otto Hermann Kahn geboren. Er besucht das Karl-Friedrich-Gymnasium. 1893 reist er mit dem Dampfschiff „Havel“ von London nach New York. Eigentlich wird er nur von der jüdischen Bank, für die er arbeitet, vorübergehend nach New York entsandt - aber er bleibt, heiratet die Tochter eines Investmentbankers, steigt bei dieser Bank ein und spezialisiert sich auf Eisenbahnfinanzierungen. Kahn hilft mit, das Militär der Alliierten im Ersten Weltkrieg beim Kampf gegen die Deutschen und danach den Wiederaufbau in Deutschland zu finanzieren. „Widersprüche gehören bei ihm dazu“, sagt Schimpf, aber er sei einer der einflussreichsten und reichsten Männer der USA seiner Zeit gewesen.

In Stuttgart zu sehen ist neben Bildern und Dokumenten sein Rauchset. Das vermittelt ein bisschen, was Kahn ist - ein Mann mit Stil, dazu reich, unermesslich reich für damalige Verhältnisse. „Er hat die ganzen großen Namen der Musikwelt nach New York an die MET geholt“, weiß Schimpf. Besonders eindrucksvoll sind die Fotos des Anwesens, das sich Kahn 1914 bis 1919 auf Long Island baut, OHEKA genannt, nach den Initialen von Otto HErbert KAhn. Es umfasst 179 Hektar, einen 18-Loch-Golfplatz und eine Villa mit 127 Zimmern, Tennisplätze, Pferdeställe und einen der größten Gewächshauskomplexe der USA. Und wer sich die Luftbilder anschaut, wird bei der Anordnung der riesigen Villa und der Gestaltung des Gartengrundstücks ein bisschen an den Schwetzinger Schlossgarten oder die Augustaanlage bei der Jubiläumsausstellung 1907 erinnert.

Jedenfalls hat Kahns Anwesen Filmgeschichte geschrieben. Orson Welles verwendet Luftaufnahmen von OHEKA als Darstellung der Residenz Xanandu in „Citizen Kane“, OHEKA dient auch als Vorbild für die Villa in dem Roman „The Great Gatsby“, und ein Foto von Kahn selbst mit feinem Anzug, Stock, Melone und Schnauzbart soll den Zeichner von Mr. Monopoly inspiriert haben.

Viel bekannter sind die Namen von anderen Mannheimern: Amalie Struve und Friedrich Hecker, zwei herausragenden Vertretern der Revolution von 1848/48. „Da war Mannheim ja ein Kristallisationspunkt“, hebt Schimpf hervor. Hecker gelingt es, schneller als alle anderen Auswanderer in die USA zu kommen - per Segeldampfer schafft er es in 15 Tagen nach New York. Amalie Struve dagegen braucht auf dem normalen Segelschiff 28 Tage, andere Auswanderer sind gar mehrere Monate unterwegs.

Revolutionär und Mannheimer Gemeinderat Friedrich Hecker: Über die Schweiz in die USA 

Hecker, 1811 in Eichtersheim bei Sinsheim geboren, verteidigt als Rechtsanwalt in Mannheim Anhänger der liberal-demokratischen Opposition. Er wird zu einem ihrer Wortführer, Mannheimer Gemeinderat und Mitglied der Herrengesellschaft „Räuberhöhle“. Der gute Redner gelangt schnell an die Spitze der badischen Revolution. Als seine Versuche scheitern, im Vorfeld der Paulskirchenversammlung die Monarchie in eine demokratische Gesellschaft umzubauen, ruft er am 12. April 1848 in Konstanz die Republik aus, zieht mit bewaffneten Freischärlern („Heckerzug“) durch den Schwarzwald und will in Karlsruhe den Großherzog stürzen. Aber er scheitert bereits am 20. April bei Kandern.

Er flieht erst in die Schweiz, dann in die USA. Für ihn erfüllt sich der amerikanische Traum auf besondere Weise, kämpft er doch im Bürgerkrieg ab 1861 als Oberst auf der Seite der Republikaner, wirbt für die Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten.

Mit Hecker Seite an Seite kämpfen in der badischen Revolution Amalie und Gustav Struve. Dabei stellen die Stuttgarter Ausstellungsmacher bewusst die Frau heraus. „Sie war absolut gleichberechtigt und verdient viel mehr Aufmerksamkeit“, findet Rainer Schimpf. Denn nicht nur ihr Mann, auch die 1824 geborene Mannheimerin schreibt revolutionäre Texte, nimmt am „Hecker-Zug“ teil, will Frauen für die demokratische Idee mobilisieren und landet dafür im Gefängnis, ehe sie mit ihrem Mann auswandert.

In Amerika bleibt sie kämpferisch, überreicht 1861 dem New Yorker Freiwilligenregiment eine Fahne - auf der einen Seite Stars and Stripes, auf der anderen Seite die Streifen in Schwarz-Rot-Gold. Dieses Exponat hätte Schimpf gerne gezeigt, aber das Haus der Geschichte hatte es schon einmal ausgeliehen und es dann zurückgeben müssen.

Sehr gerne hätte Schimpf auch die Geschichte des Mannheimer Arztes Johann Adam Hammer dargestellt, der ebenso im Zuge der gescheiterten 1848-er-Revolution ausgewandert ist. 1847 ist er der erste Arzt in Mannheim, der mit Narkose operiert. In St. Louis übernimmt er von seinen Brüdern eine kleine Brauerei, gerät aber damit in wirtschaftliche Schwierigkeiten und holt einen Anteilseigner herein: Eberhard Anheuser. 1879 wird das Unternehmen in Anheuser-Busch umbenannt und Keimzelle der dank „Budweiser“ weltberühmten Firma. Doch dazu habe man keine passenden Exponate erhalten, bedauert er.

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Dafür kann Schimpf noch eine besondere Geschichte aus der Nachkriegszeit präsentieren - die von Peter Grammer. Da gibt es genug Fotos und Exponate, sogar seinen Kinderpass mit der Anschrift Arndtstraße 26. Es ist eines der vielen Häuser im Westteil von Feudenheim, das die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem Bau der US-Siedlung Benjamin-Franklin-Village beschlagnahmt haben und bewohnen („Residential Area“). 1947 als Kind eines dunkelhäutigen US-Soldaten und einer Deutschen in Heidelberg geboren, zählt Peter zu den vielen sogenannten Mischlingskindern, die in der Nachkriegszeit zur Welt kommen und unter Diskriminierung leiden, und er kommt ins Kinderheim St. Josef Käfertal.

Dort sieht ihn die Journalistin und Bürgerrechtlerin Mabel Grammer, die sich für Adoptionen solcher afro-amerikanischer „Besatzungskinder“, wie es damals heißt, einsetzt. Ihr Mann Oscar ist Offizier in den Sullivan-Barracks, sie schreibt für eine amerikanische Zeitung als Journalistin. Beide adoptieren erst Peter, dann zehn (!) weitere Kinder. 1954 fliegen sie in die USA zurück, werden sogar vom Papst für ihr humanitäres Engagement geehrt.

Ihr jüngstes Kind Nadja kehrt 2010 zeitweise in den Rhein-Neckar-Raum zurück - nach Heidelberg, als ranghöchster US-Sanitätsoffizier in Europa. 2015 wird sie die erste schwarze Frau, die den Rang eines Generalleutnants der US Army erreicht. Manche „American Dreams“ werden eben doch wahr.

Redaktion Chefreporter

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