Festnahmen am Wochenende

Was die regionalen EU-Abgeordneten über die Korruptionsaffäre denken

Alle sagen, es sei normal, bei der Arbeit als EU-Parlamentarier Lobbyisten zu treffen. Keiner, sagen die fünf in ihren Parteien für Mannheim zuständigen Abgeordneten auch, hat den Korruptionsskandal kommen sehen

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Stefan M. Dettlinger
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Der Wind für die flatterige EU dürfte schärfer werden: Fahnen der Mitgliedstaaten. © dpa

Die Europäische Union ist in ihren Grundfesten erschüttert. Mit der Festnahme von Vizepräsidentin Eva Kaili und weiteren fünf Verdächtigen am Wochenende ist einer der größten Korruptionsskandale in der Historie des Europaparlaments in Straßburg aufgedeckt worden. Er wird Auswirkungen auf die Glaubwürdigkeit des Gremiums haben, das Gesetze für rund 450 Millionen EU-Bürger ratifiziert, mehr: auf die Glaubwürdigkeit der Staatsform Demokratie insgesamt. Die Fraktionsvorsitzenden im Europaparlament haben nun Kaili als Vizepräsidentin abgesetzt. Die griechische Sozialdemokratin soll von Katar dafür bezahlt worden sein, politische Entscheidungen zugunsten des Golfstaates zu steuern.

Ist das erst der Anfang einer Sache, die noch größer wird? In Brüssel arbeiten 25 000 Lobbyisten daran, Politiker zu manipulieren. Treffen sind anzeigepflichtig. Doch diejenigen mit Vertretern von Drittstaaten nicht. Was denken die fünf in ihren Parteien für Mannheim zuständigen Europaabgeordneten über den Skandal? Eine Umfrage.

René Repasi (SPD)

René Repasi (SPD) © Arndt

Er habe nichts von der Korruption gewusst, sagt der Karlsruher SPD-Politiker und EU-Abgeordnete René Repasi, der sich selbst als „gläserner Abgeordneter“ bezeichnet. „Die Grenze zwischen zulässigem Lobbying und verbotener Korruption ist jedoch fließend und nur schwer trennscharf zu ziehen“, fügt er auf Anfrage hinzu. Das Annehmen von Geld oder Geschenken für das Einnehmen einer bestimmten politischen Position sei jedoch klar und erkennbar falsch. Er habe sich noch nie in einer solchen Situation befunden. Repasi: „Derartige Korruption habe ich nicht erwartet, im Europäischen Parlament anzutreffen. Das ist beschämend.“

Dass Parlamentarier Lobbyisten treffen, sei normal. Lobbyisten würden „die Interessen von Bevölkerungsgruppen und Unternehmen“ vertreten. Es gebe teils „mehrere Treffen pro Woche“, die bei „sehr technischer Gesetzgebung“ wichtig sein könnten - wegen der hohen Detailkenntnis der Lobby-Gruppen. „Für mich persönlich ist es zudem interessant zu hören, wo gegensätzliche Lobby-Interessen miteinander kollidieren“, sagt Repasi. Wenn beim EU-Lieferkettengesetz etwa „Brot für die Welt“ und der Sparkassen-Verband heftig miteinander streiten, dann weiß ich, dass dieser Punkt auch bei der Gesetzgebung ein besonders wichtiger sein wird.

Dass Treffen mit Vertretern von Drittstaaten nicht meldepflichtig sind, hält Repasi für falsch: „Drittstaaten sind genauso Interessenvertreter wie die klassische private Lobby.“ Er selbst veröffentliche seine Treffen auch freiwillig auf seiner Homepage. Für Repasi ist Korruption „das größte Übel in einer Demokratie“. Am schlimmsten sei es, wenn Abgeordnete korrupt sind. Das unterwandere das Vertrauen in die repräsentative Demokratie. „Als Europäisches Parlament muss man besonders hart um das Vertrauen der Bürger kämpfen“, so Repasi. Durch das Verhalten von Eva Kaili seien Jahre und Jahrzehnte des Vertrauensaufbaus in die sprichwörtliche Tonne gekloppt worden. In der Katar-Debatte sei Repasi für eine deutlich schärfere Resolution eingetreten. „Jetzt müssen wir aber bis ins Detail durchleuchten, wer da noch beteiligt war oder hätte sein können. Wir müssen unsere Lobby-Regeln noch mehr verschärfen, Drittstaaten als Lobbyisten aufnehmen und dem Transparenzregister echte Ermittlungsbefugnisse geben“, sagt Repasi. Und alle müssten sich „an die eigene Nase fassen“, wenn es um den Umgang mit Lobby-Vertretern gehe und noch kritischer und zurückhaltender mit ihnen umgehen.

Lars Patrick Berg (LkR)

Lars Patrick Berg (LkR) © Eric VIDAL

Der ehemalige AfD-Politiker Lars Patrick Berg (heute Liberal-konservative Reformer) habe ebenfalls nichts von angeblichen Korruptionen gewusst. Lobbyisten zu treffen, das komme „häufiger vor, das mache ich auch“, sagt Berg auf Anfrage. Das könne durchaus bereichernd sein, was detaillierte Informationen betrifft für bestimmte Themen. „Aber“, so Berg, „es gibt eben auch die feine rote Linie, das bedeutet, dass Einladungen zu Essen oder Treffen im Ausland einfach nicht angenommen werden dürfen.“ Aber Treffen in Brüssel und Straßburg sind gang und gäbe, „und ich betrachte das auch als wichtig“. Berg ist ebenfalls dafür, dass Drittstaaten beziehungsweise deren Lobby-Gruppen und Organisationen künftig auch ins Lobby-Register aufgenommen werden. Er selbst nehme nie Geschenke an, „bis auf einen Kaffee, wenn man sich trifft, den dann meist ich übernehme“.

Berg hält den Vorfall für die Reputation und die Glaubwürdigkeit des EU-Parlamentes für „sehr, sehr schädlich“. Deswegen sei es wichtig, die Lobby-Regularien weiter zu verschärfen. Doch wenn jemand mutmaßlich kriminelle Energien an den Tag lege, „dann helfen natürlich die strengsten Regeln nicht“. Er sei im Auswärtigenausschuss. Da treffe er etwa Botschafter oder Vertreter anderer Organisationen von Drittstaaten. Es wäre sinnvoll, bei Gesetzesvorhaben oder Resolutionen nachvollziehen zu können, „wer wann wie viel Kontakt mit wem hatte“.

Andreas Glück (FDP)

Andreas Glück © Glück

„Der Fall Kaili empört mich, macht mich traurig und zugleich stinksauer“, sagt der aus Münsingen (bei Reutlingen) stammende Andreas Glück. „Sollten sich die Anschuldigungen bestätigen, dann steht Frau Kaili gegen alles, für was ich politisch und menschlich stehe.“ Auch FDP-Abgeordnete habe nichts von Korruption im EU-Parlament gewusst. Lobbyisten zu treffen, sei ein wichtiger Teil der Abgeordnetentätigkeit. „Insbesondere der EU wird berechtigterweise immer wieder vorgeworfen, dass deren Gesetzgebung praxistauglicher werden müsse. Dazu ist der Austausch mit denjenigen, die von einer Gesetzgebung betroffen sind, wichtig.“

Im Rahmen seiner Abgeordnetentätigkeit handele es sich häufig um Hersteller von Medizinprodukten oder den entsprechenden Verbänden, aber auch um Vertreterinnen und Vertretern der Ärzteschaft, die auf zu lösende Probleme bei der Medizinprodukteverordnung hinweisen. Glück: „Würde dieser Austausch nicht stattfinden, würden wir damit die zukünftige Versorgung mit Medizinprodukten für medizinische Behandlungen riskieren.“

Einen Versuch der unlauteren Einflussnahme hat Glück noch nie erlebt, Geschenke, die über „eine Tüte Weihnachtsgebäck oder einen Blumenstrauß“ hinausgehen, nehme er nicht an: „Dies entspricht einer nochmals deutlich strengeren Praxis, als das der Verhaltenskodex für Europaabgeordnete vorsieht.“

Für Glück ist ein Korruptionsfall in einem Parlament Gift für die Demokratie und Europa. „Der Fall muss vollständig aufgeklärt und juristisch verfolgt werden. Des Weiteren muss der Verhaltenskodex bezüglich Kontakten zu Drittstaaten erweitert werden. Nur so lässt sich verhindern, dass aufgrund Verfehlungen einiger weniger ganz Europa in Geiselhaft genommen wird“, sagt Glück abschließend.

Daniel Caspary (CDU)

Daniel Caspary (CDU) © Lahousse

Er wusste nichts, sagt der CDU-Politiker Daniel Caspary, „leider kann man nicht ausschließen, dass es unter 705 Mitgliedern des Europäischen Parlaments auch schwarze Schafe gibt“. Treffen mit Vertretern von Mitgliedstaaten, Drittstaaten, Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen, Verbänden und Nichtregierungsorganisationen gehörten zur Meinungsbildung dazu, sagt er. Demokratie lebe davon, „unterschiedliche Ansichten und Meinungen zu kennen und sich dann zu entscheiden“. Bei Treffen mit Vertretern von Staaten „bringen auch Staaten ihre Interessen vor und werben um Unterstützung“, so Caspary. „Mir wurde meiner Erinnerung nach jedoch noch nie eine Gegenleistung angeboten.“

Caspary sagt, „wir müssen grundsätzlich erst mal nicht öffentlich machen, mit wem wir uns treffen“. Eine solche Verpflichtung gebe es derzeit „nur für einen bestimmten Personenkreis, in der Regel diejenigen Abgeordneten, die mit einem bestimmten Dossier besonders betraut sind“. Er halte Meldepflichten von Abgeordneten für nur schwer mit dem freien Mandat vereinbar. „Ich kann mir auch nicht vorstellen“, so Caspary, „dass die sozialistische Kollegin im Falle einer Verpflichtung ihre Kontakte der Parlamentsverwaltung genannt hätte. Den derzeit diskutierten Fall bekommen wir mit keiner Transparenzpflicht verhindert, sondern die mir bekannten Vorwürfe lauten auf einfach illegale Korruption.“ Er selbst nehme keine Geschenke von Lobbyisten an, die über „ein übliches Getränk, ein Mittag- oder Abendessen“ hinausgehen. Alles andere sei veröffentlichungspflichtig.

Sollten sich die im Raum stehenden Vorwürfe bewahrheiten, dann erwarte er „einen umgehenden Rücktritt aller beteiligten Personen“. Caspary: „Ich baue auf die Arbeit der unabhängigen Justiz in Belgien. Korruption ist inakzeptabel, undemokratisch, durch nichts zu entschuldigen und schadet dem Ansehen des Parlaments und aller rechtschaffenen Abgeordneten.“

Michael Bloss (Grüne)

Michael Bloss (Grüne) © Haermeyer

Korruption ausschließen könne man nie, sagt der Stuttgarter EU-Abgeordnete und klimapolitische Sprecher der Grünen. Korruption widerspreche jeglichen Grundsätzen der Arbeit im Parlament und in einer Demokratie. Seine Fraktion treffe Entscheidungen aufgrund der Grünen-Programmatik und der Debatte innerhalb der Fraktion. Sich mit Interessensvertreterinnen und Interessensvertretern zu treffen, sei natürlich, „jedoch vertrete ich als Abgeordneter die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und nicht einzelne Partikularinteressen“, sagt Bloss, der selbst noch nie um Gefälligkeiten gebeten worden sei.

Als Delegationsmitglied zur Klimakonferenz COP27 sei er regelmäßig im Austausch mit Staaten, deren Menschen und Gebiet von der Klimakatastrophe besonders betroffen seien, auch mit Partnerstaaten wie der Ukraine oder den USA pflege er Kontakt. „Hierbei kam es aber nie zu Versuchen der Bestechung, Korruption oder sonstigen Gefälligkeiten“, so Bloss, der für eine Offenlegung aller Treffen ist und das bereits selbst praktiziere. Als Abgeordneter erhalte er viel Post und vor Weihnachten „auch den einen oder anderen unfreiwillig zugeschickten Adventskalender“. Die sind Bloss zufolge „streng genommen ebenso als Lobby-Geschenke anzusehen wie die besondere Uhr“. Um einem organisatorischen Arbeitsmonster zu entgehen, hätten sich die Abgeordneten in der Fraktion Greens/EFA verständigt, „alles, was einen Wert über 150 Euro hat, zurückzuschicken“.

Diese Korruptionsaffäre erschüttere die ganze EU. Korruption zerstöre Demokratie und zersetze das Vertrauen in die Politik, sagt Bloss: „Jetzt brauchen wir eine lückenlose Aufklärung und einen starken Rechtsstaat, um Europa weiter aufzubauen. Vertrauen ist der Grundsatz eines repräsentativen demokratischen Systems. Ein derartiger Vorfall schwächt das Vertrauen in eine Institution, die sowieso von rechten Kräften attackiert wird. Für alle, die für eine starke und demokratische Europäische Union kämpfen, ist dieser Vorfall ein Schlag ins Gesicht. Jetzt liegt es an uns, das Vertrauen zurückzugewinnen und unsere Transparenzregeln weiter zu stärken.“

Ressortleitung Stefan M. Dettlinger leitet das Kulturressort des „MM“ seit 2006.

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