Weihnachten

Was das Besondere an Mannheims Versöhnungskirche ist

Sie gilt als Architekturskulptur, als eine der bedeutendsten Betonkirchen der 1960er Jahre: die Rheinauer Versöhnungskirche. Gebaut hat sie der Architekt Striffler. Warum eine Expertin sie aber für "entstellt" hält

Von 
Peter W. Ragge
Lesedauer: 
Trapezförmiger Grundriss, dreieckiger Glockenturm: Die Rheinauer Versöhnungskirche aus Beton, entworfen von Helmut Striffler, ist eine architektonische Besonderheit. © Christoph Blüthner

Mannheim. „Das Bild einer zerklüfteten Felslandschaft“ - dieser Gedanke kommt Melanie Mertens, wenn sie vor der Versöhnungskirche steht. Die Expertin vom Landesdenkmalamt hat sich intensiv mit ihr beschäftigt, denn das Rheinauer Gotteshaus ist als Kulturdenkmal eingestuft. Ja, mehr noch: „Sie gehört zu den bedeutendsten Betonkirchen der 1960er Jahre in Deutschland“, urteilt sie über den trapezförmigen Bau.

Nun haben diese Betonkirchen nicht immer den besten Ruf. „Vater-Unser-Garagen“ hat man sie teilweise verspottet, auch „Seelen-Reaktor“, „Glaubensbunker“, „Glaubens-Hangars“ oder „Gemeindesilo“. Fast tausend solcher Betonkirchen haben Katholiken und Protestanten zwischen 1960 und 1979 errichtet - in einer Zeit des Babybooms und zahlreicher Neubaugebiete. Rund 150 davon sind inzwischen denkmalgeschützt. Mertens hat sich ausführlich mit ihnen befasst, dazu eine Ausstellung gestaltet und eine Veröffentlichung verfasst.

Versöhnungskirche in Mannheim: Ein Werk von Helmut Striffler

Ihr Urteil ist, dass Mannheim Glück gehabt hat. Hier seien zwar auch viele Gotteshäuser aus Beton, der damals für Modernität, symbolische Abkehr vom Traditionalismus und vom Dritten Reich stehe, entstanden. Aber vielen bescheinigt Mertens eine hohe architektonische Qualität, und die Versöhnungskirche rage da noch heraus.

Geschaffen hat das Rheinauer Gotteshaus der Mannheimer Architekt Helmut Striffler (1927-2015), dessen Versöhnungskirche auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau sein berühmtestes Werk ist. In Mannheim hat er mit dem Landgericht in A 1, dem Bürogebäude der ÖVA am Planetarium, der Schillerschule Neckarau, dem Umbau der Sparkasse in D 1, dem Bildungszentrum der Handwerkskammer, dem Laborgebäude der Hochschule oder der Erweiterung des Jugendstilbaus der Landesbank viele prägende Bauten geschaffen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel ergänzt.

Besonders machte er sich aber einen Namen als Erbauer von Kirchen, beeinflusst vom französischen Architekten Le Corbusier. Nach der Trinitatiskirche in der Innenstadt (1959) und der Jonakirche auf der Blumenau (1961) erhält Striffler den Auftrag für das Rheinauer Gotteshaus, das ab 1963 am Marktplatz anstelle eines Provisoriums entsteht und dann 1965 geweiht wird.

Allein sein Entschluss, einen 24 Meter aufragenden dreieckigen Glockenturm zu bauen, sei damals etwas ganz Besonderes gewesen: „In einer Zeit, in der die Kirchtürme als unnötige Geldausgabe und traditionslastiges Erbe diffamiert wurden, war der hohe Glockenturm ein Bekenntnis zur „sakral“ gestalteten Kirche“, so die Denkmal-Expertin.

Bekannte Künstler arbeiten an der Versöhnungskirche in Mannheim mit

Striffler schart für das Projekt neben seinem Mitarbeiter Detlev Beron zahlreiche bekannte Künstler um sich. Kunstmaler Emil Kiess aus Trossingen entwirft die Fenster. Ausgeführt werden die Glasarbeiten von Gabriel Loire aus Chartres - beide sind zuvor die Partner des Architekten bei der Trinitatiskirche. Hubertus von Pilgrim, Professor an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Braunschweig, kreiert das Altarkruzifix mit Christus als leidender Gestalt aus Bronze. Altartisch, Kanzel und Gestühl entwirft Striffler selbst, die Paramente die Mannheimer Malerin und Grafikerin Lore-Lina Schmidt-Roßnagel.

Denkmal

Mannheims Wahrzeichen: Die Geschichte des Wasserturms

Veröffentlicht
Von
Peter W. Ragge
Mehr erfahren

Aber alles wird doch übermächtig geprägt von grauem Sichtbeton, sowohl das zerklüftet anmutende Äußere der Kirche mit den hohen zugeschnittenen Wandstücken wie auch den hohen trapezförmigen Innenraum mit der raumgreifenden Empore. Mit den schrägen Wänden habe Striffler die Gläubigen auf das liturgische Zentrum im seitlich belichteten Chor ausrichten wollen, so Melanie Mertens.

Durch Anstrich „entstellt“

Der Bau sei einerseits „in seiner Schroffheit abweisend, aber auch Zuflucht verheißend“, meint die Expertin des Landesdenkmalamtes. Innen wirke die Kirche, auch dank der mit Holz verkleideten Decke „weniger dramatisch als der Außenbau suggeriert“, wie sie schmunzelnd sagt. Für den Architekten sei Beton als Baustoffs „in seiner puristischen Strenge besonders geeignet, das sakrale Moment zu versinnbildlichen“, erklärt sie - auch wenn die Expertin findet, dass der Baukörper durch den bei einer Betonsanierung Mitte der achtziger Jahre angebrachten beschichtenden Anstrich „entstellt wurde“.

„Kaum einem anderen Architekten im Südwesten als Striffler gelang eine ebenso ernste wie harmonische Inszenierung von Beton“, lobt Melanie Mertens. Striffler selbst habe vom „heiligen, zum Lobe Gottes tauglichen“ Baustoff gesprochen. Am ehesten reiche noch der für den katholischen Kirchenbau tätige Karlsruher Architekt Rainer Disse an ihn heran. Die Rheinauer Versöhnungskirche habe auch auf zwei nachfolgende Kirchenbauten „sichtlich Einfluss“ gehabt, nämlich die evangelische Gartenstadtkirche Luginsland in Stuttgart-Untertürkheim sowie die Kirche des katholischen Gemeindezentrums St. Stephanus in Filderstadt-Bernhausen.

Versöhnungskirche in Mannheim steht unter Denkmalschutz

Unter Denkmalschutz steht der Rheinauer Sakralbau seit 2008. Maßgeblich daran beteiligt war Andreas Schenk, Architektur-Experte vom Marchivum und seinerzeit noch für das Landesdenkmalamt tätig. Auch er spricht anerkennend von einem „Bauwerk in kraftvoller Architektur mit dynamisch bewegten Fassaden und markantem dreieckigen Glockenturm“ sowie einem „bedeutenden Beispiel moderner Kirchenbaukunst“.

Schenk misst dem Gotteshaus von Striffler „überdurchschnittliche Qualität“ bei, spricht gar von einer „Architekturskulptur“ sowie einem „eindruckvollen, in sich stimmigen Ganzen“. Nicht ohne Grund werde die Versöhnungskirche im 1973 veröffentlichten Standardwerk über den deutschen Kirchenbau des 20. Jahrhunderts aufgeführt.

Redaktion Chefreporter

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke