Mannheim. Sie sind alt-katholisch, aber nicht altmodisch, nicht veraltet und nicht überaltert. Die drei kleinen Buchstaben machen aber einen großen Unterschied: Die Alt-Katholiken, deren Mannheimer Gemeinde am Samstag ihr 150-jähriges Bestehen feiert, sind eine selbstständige christliche, katholische Kirche, allerdings unabhängig von der römisch-katholischen Kurie und stark in der Ökumene engagiert.
150 Jahre seien natürlich „für kirchliche Verhältnisse, die ja bekanntermaßen in Ewigkeiten denkt, eine verhältnismäßig kurze Zeit“, räumt Alexander Wischniewski ein, ehrenamtlicher Priester der Gemeinde. Er hat die Festschrift zusammengestellt und betreut das üppige Archiv der Gemeinde, die sich als kleine Gemeinschaft mit großem Gemeinschaftsgefühl von Lampertheim bis Brühl erstreckt und rund 550 Mitglieder zählt.
Entstanden ist sie letztlich, weil die Gläubigen sich emanzipieren, als dieses Wort noch gar niemand kennt. Der Auslöser zur Gründung ist das erste Vatikanische Konzil von 1870, als in der Ära von Papst Pius IX. das Dogma der päpstlichen Unfehlbarkeit sowie der obersten richterlichen Gewalt des Papstes über die gesamte Kirche und alle Bischöfe beschlossen wird. Dem wollen sich einige Gläubige nicht unterwerfen, sondern am Glauben der alten Kirche festhalten.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
1873, also vor 150 Jahren, wählen die Alt-Katholiken mit Joseph Hubert Reinkens ihren ersten Bischof und werden damit zu einer eigenständigen Konfession, wo das Pflichtzölibat nicht gilt. Frauen dürfen zu Pfarrerinnen, ja sogar zu Bischöfinnen geweiht werden; Geschiedene und Wiederverheiratete sind nicht vom Empfang der Sakramente ausgeschlossen. Die gleichgeschlechtliche Ehe ist juristisch und liturgisch gleichgestellt, und alle Amtsträger werden von den Mitgliedern der Gemeinde gewählt. Mit der evangelischen Kirche besteht eine gegenseitige Einladung zum Abendmahl – mit den Katholiken nicht.
Die älteste alt-katholische Kirche, schon seit 1723 von Rom unabhängig, stellt die Alt-Katholischen Kirche der Niederlande dar. Vom Erzbistum Utrecht empfangen auch alle anderen alt-katholischen Kirchen die Bischofsweihe. Mannheim zählt in Deutschland zu den ersten Städten, wo sich schon 1871 ein „Altkatholikenverein“ gründet. Aus ihm entsteht am 11. März 1874 mit der Wahl des ersten Kirchenvorstands unter Vorsitz von Johannes Bauer die Kirchengemeinde. Am 5. April 1874, dem Ostersonntag, hält sie ihren ersten Gottesdienst in der Schlosskirche ab, die ihnen der Großherzog seither zur Verfügung stellt, und es singt ein zu diesem Anlass eigens gegründeter ökumenischer Chor – damals fast revolutionär.
Der Mannheimer Morgen auf WhatsApp
Auf unserem WhatsApp-Kanal informieren wir über die wichtigsten Nachrichten des Tages, empfehlen besonders bemerkenswerte Artikel aus Mannheim und der Region und geben coole Tipps rund um die Quadratestadt!
Jetzt unter dem Link abonnieren, um nichts mehr zu verpassen
Viele Mitglieder der Gemeinde beteiligen sich an der Badischen Revolution oder prägen das Stadtleben gesellschaftlich oder industriell, etwa die Familien Giulini und Vögele oder Carl Eckhard, Gründer der Rheinischen Creditbank und Aufsichtsratsvorsitzender der BASF.
Von Mannheim geht die Initiative aus, dass die Synode der Alt-Katholiken 1877 die Abschaffung des Zwangszölibats beschließt. 1890 wird von hier die Bildung einer Gemeinde in Ludwigshafen angestoßen, und durch Gründung eines eigenen Kirchenchores, eines „Vereins junger Alt-Katholiken“ sowie 1904 eines Frauenvereins durch Fanny Boehringer wächst die Gemeinde weiter. 1919 kann sie daher ein Anwesen in M 7,2 kaufen, das seither als Pfarr- und Gemeindehaus mit Jugendkeller dient. Wenn auch im Zweiten Weltkrieg zerstört, so wird das Haus wieder aufgebaut und 1953 erneut eingeweiht.
Stark präsent sind die Alt-Katholiken im Mannheimer Norden. Im Juni 1936 legen sie den Grundstein für ein zweites Gotteshaus, nämlich in der Gartenstadt. Zunächst soll es „Auferstehungskirche“ heißen, aber da die Evangelische Kirche ebenso eine Auferstehungskirche ganz in der Nähe, am Kuhbuckel, plant, fällt die Wahl auf den Namen „Erlöserkirche“. Nach – heute unfassbar – nur einem halben Jahr Bauzeit wird sie am 3. Januar 1937 von Bischof Erwin Kreuzer geweiht, 1959 um ein Gemeindehaus und 1962 um ein Wandfresko von Malerin Ruth Kohler ergänzt. Seit über zehn Jahren ist der Bau an der Waldstraße durch den himmelblauen Anstrich ein markanter Blickfang.
Das Herz der Alt-Katholiken schlägt aber in erster Linie in der Schlosskirche – und auch für die Schlosskirche. Im Zweiten Weltkrieg fast komplett zerstört und ausgebrannt, gelingt es, den Barockbau ab 1952 wieder aufzubauen und 1956 neu zu weihen. Die Gemeinde nutzt ihn nicht nur zu Gottesdiensten, sondern macht ihn auch zu einem wichtigen kulturellen Kristallisationspunkt Mannheims. Sie ruft 1996 die Internationalen Schlosskonzerte, 2008 die „Mannheimer Sommermusik“ und 2009 einen eigenen Gospelchor ins Leben.
Seit 2011 erinnert ein Relief des Künstlers Flavio Orellano unter der Orgelempore daran, dass Wolfgang Amadeus Mozart hier musiziert und den Gottesdienst besucht hat. Immer wieder pflegt die Gemeinde die Erinnerung an die Zeit des großen Komponisten in Mannheim. Sie veröffentlicht 2015 einen Kirchenführer und ermöglicht der Öffentlichkeit Einblicke in die Gruft, wo die Gebeine von Kurfürst Carl Philipp ruhen – das einzige Grab eines Herrschers in Mannheim. Da gilt besonders Wischniewski als hervorragender Kenner, der auch eine kleine Ausstellung zu Mozart und jetzt zur Gemeindegeschichte und ihrer Gottesdienstorte gestaltet hat.
Aber bei aller Liebe zur Pflege der Geschichte ist die Gemeinde zugleich modern. Mit Pfarrerin Sabine Clasani gibt es hier seit 2016 erstmals eine Pfarrerin, und längst ist die Gemeinde ein bekanntes Zentrum der queeren Community.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-was-das-besondere-an-alt-katholiken-in-mannheim-ist-_arid,2222383.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/lampertheim.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html