Mannheim. Er hatte seine kleine Tochter auf dem Arm und stand zuhause in Neckarau am Fenster. „Ich weiß es heute noch genau“, erinnert sich Heinz Scheidel an den 14. Juli 1974. Er sieht einen Polizeihubschrauber, der über dem Großkraftwerk fliegt, „und plötzlich ist er abgeschmiert“. Drei Beamte kommen bei dem Absturz der Maschine mit dem Funkrufnamen „Bussard 800“ ums Leben. Das ist jetzt genau 50 Jahre her.
Hubschrauberabsturz – bei dem Wort denken viele Menschen in Mannheim an den 11. September 1982, als 46 Menschen sterben, weil anlässlich der Luftschiffertage eine amerikanische CH-47C Chinook in der Nähe vom Flugplatz Neuostheim auf der Autobahn 656 aufschlägt; an Bord viele Fallschirmspringer.
In den Morgenstunden des 5. Dezember 1994 zerschellt ein Rettungshubschrauber der Bundeswehr an der Spitze des Fernmeldeturms. Am Fuße des Turms erinnert ein kleines Denkmal mit Basaltsteinen an die vier getöteten Besatzungsmitglieder. Am Flugplatz gibt es auch ein Denkmal für die Opfer des Unglücks von 1982.
An den Absturz des Polizeihubschraubers mit dem Kennzeichen D-HIFE erinnert dagegen nichts. Auch zum 50. Jahrestag ist nichts vorgesehen, erklärt das Polizeipräsidium Einsatz in Göppingen, dem die Hubschrauberstaffel untersteht, auf Anfrage. Der damalige „Vorfall“, wie es dort heißt, sei bekannt. Jährlich finde eine Gedenkfeier für die im Dienst getöteten Polizeibeamten des Landes mit Innenminister Thomas Strobl (CDU) statt und eine landesweite Schweigeminute. Dabei werde auch der damals getöteten drei Beamten gedacht.
Die Polizisten beobachten Verkehr rund um den Hockenheimring
Polizeihauptmeister Waldemar Böhm als Pilot und Polizeihauptmeister Herbert Erlewein als Bordmechaniker haben an jenem Sonntagmorgen den Auftrag, die Verkehrsüberwachung und Verkehrslenkung anlässlich des Südwest-Pokal-Rennens auf dem Hockenheimring aus der Luft zu unterstützen. Dazu steigt Polizeioberkommissar Wolf-Dittmar Hinke zu, der Sachbearbeiter Verkehrswesen bei der Landespolizeidirektion Karlsruhe.
Die Besatzung will die Maschine vom Typ „Alouette“, Baujahr 1965, nach zwei Zwischenstopps auf dem Hockenheimring in Neuostheim auf dem Flugplatz auftanken – aber der öffnet sonntags erst um 9 Uhr. Also hat der Hubschrauber offenbar noch Kreise gedreht und gewartet. Zeugen sagen später, dass sie ihn entlang des Rheins zwischen Strandbad und Schwetzingen beobachtet haben.
Hubschrauber stürzt aus etwa 200 Metern Höhe ab
Gegen 8.30 Uhr stürzt „Bussard 800“ aus etwa 200 Metern Höhe ab. „Ich weiß es heute noch genau“, erinnert sich Heinz Scheidel, der damals als junger Bauingenieur und Familienvater dort wohnt, wo heute der Unternehmenssitz von Diringer & Scheidel ist. Die einmotorige Maschine sei „genau über dem großen Kamin vom Großkraftwerk“ gestanden und dann „plötzlich abgeschmiert, einfach runter“. Er zieht sich schnell an, eilt an die nahe gelegene Unfallstelle und will helfen.
Allerdings kann niemand mehr helfen: Die drei Besatzungsmitglieder sind tot. Im damaligen Städtischen Krankenhaus, heute Klinikum, werden Schädel- und Hirnverletzungen festgestellt. Die Feuerwehr muss die Besatzung teilweise aus der Maschine herausschweißen. Das Wrack liegt auf dem nordwestlichen Firmengelände des Großkraftwerks, nur etwa 30 Meter neben den Tanks des Öllagers, auf einem unbefestigten Fahrweg längs der Umzäunung. Die Rotorblätter sind stark deformiert, ein in der Nähe befindlicher Obstbaum ist beschädigt. Etwas weiter von der Absturzstelle entfernt liegen ein Pilotenhelm und die in einem Segeltuchfutteral verwahrte Maschinenpistole.
Absturz des Hubschraubers wohl aufgrund einer Rauchgasfahne
Neben Rettungskräften und einem Löschzug der Feuerwehr sowie zehn Streifenwagen der Polizei kommt auch die gesamte damalige Polizei-Prominenz an die Unglücksstelle. Landespolizeipräsident Alfred Stümper, der Mannheimer Polizeipräsident Willi Menz, Schutzpolizei-Chef Rudolf Grentrup, Kriminalrat Siegfried Klopsch, eine Sonderkommission, zahlreiche weitere Ermittler und leitende Beamte. Sie alle rätseln, ob die Maschine zu wenig Benzin im Tank gehabt oder ob sie den Schornstein berührt hat. Denn die Beamten sind erfahrene Piloten, heißt es schnell, weshalb eher ein Triebwerksschaden vermutet wird.
Gegen Nachmittag treffen die Experten vom Luftfahrtbundesamt aus Braunschweig ein, um die Unfallursache zu untersuchen. Heinz Scheidel und weitere Mitarbeiter von Diringer & Scheidel helfen mit einem Bagger und einem Tieflader, das Hubschrauberwrack zum Polizeikraftfahrthof in der Hochuferstraße zu bringen, damit es dort noch einmal begutachtet und schließlich von der Bundeswehr nach Braunschweig gebracht werden kann.
Schnell stellt sich heraus: Treibstoffmangel kann nicht die Ursache gewesen sein. Eine am Schornstein entdeckte Kerbe, die eigens noch von einem anderen Polizeihubschrauber aus untersucht wird, erweist sich als Gussfehler im Beton – der Rotor der verunglückten Maschine hat den Schaft also nicht berührt. Knapp ein Jahr nach dem Absturz stellen die Experten des Luftfahrtbundesamtes fest, dass es „keinen Hinweis auf eine technische Ursache gibt“, aber „den zwingenden Verdacht, dass das Triebwerk ausgefallen war“ – ohne dass ein Defekt aufzufinden ist.
„Mit hoher Wahrscheinlichkeit kann gesagt werden, dass die Rauchgasfahne das Triebwerk zum Erlöschen brachte“, heißt es in dem Bericht aus Braunschweig an die Polizei, in den diese Redaktion Einblick nehmen konnte. In der – für den Piloten unsichtbaren – Abgasfahne des Kraftwerks habe es einen „plötzlichen Abfall des Sauerstoffgehaltes“ gegeben, und auf diese atmosphärischen Bedingungen sei das Triebwerk nicht ausgelegt. Der Stillstand der Rotoren habe zur Steuerlosigkeit und daher zum harten Aufschlag geführt.
Der Pilot habe die von der Rauchgasfahne ausgehende Gefahr offenbar nicht gekannt. „Bis zu dem Unfall war sie auch international wenig bekannt“, heißt es in dem Gutachten. Es empfiehlt daher, alle Halter von Hubschraubern – Behörden, Bundeswehr und Betriebe – darüber zu informieren.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-warum-vor-50-jahren-ein-polizeihubschrauber-ueber-mannheim-abstuerzte-_arid,2225001.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim/neckarau.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html