Mannheim. Herr Grunert, die Stadtverwaltung arbeitet aktuell an den Planungen für den Neubau der Stadtbücherei im Quadrat N 2. Auf der Leserbriefseite des „MM“ gehört das Projekt zu denen, die am meisten diskutiert werden. Deshalb wollen wir mit Ihnen über Fragen sprechen, die dort häufig aufgeworfen werden. Ein Argument lautet zum Beispiel, in Zeiten von Digitalisierung brauche man keinen teuren Aufbewahrungsort für Bücher mehr. Warum ist der Neubau aus Ihrer Sicht trotzdem nötig?
Dirk Grunert: Früher hat man tatsächlich Büchereien gebraucht, also einen Ort, an dem viele Bücher waren, die man sich ausleihen konnte. Aber wir sprechen heute ja eigentlich auch kaum noch von Büchereien, sondern von Bibliotheken. Das sind Orte für Menschen und nicht für Bücher. Natürlich gehören auch Bücher und viele andere Medien dazu. Aber eine Bibliothek ist in erster Linie ein Ort, wo sich Menschen ohne Konsumzwang treffen und austauschen können.
Was wird in dieser neuen Bibliothek konkret geboten sein?
Grunert: Bücher, Comics, CDs, DVDs, alle möglichen Datenträger – also all das, was wir jetzt schon in der Bibliothek haben. Aber es soll natürlich auch ganz neuartige Dinge geben, wie zum Beispiel 3D-Drucker, die Besucher nutzen können. Oder sogenannte Makerspaces, also Orte, an denen die Besucher Dinge kreieren können.
Dirk Grunert
- Dirk Grunert ist seit November 2019 Bürgermeister für Bildung, Jugend und Gesundheit. Davor saß der gebürtige Niedersachse zehn Jahre für die Grünen im Gemeinderat, fünf als Fraktionsvorsitzender.
- Grunert hat in Mannheim Betriebswirtschaftslehre studiert und danach das Zweite Staatsexamen fürs Lehramt absolviert. Anschließend arbeitete er als Berufsschullehrer in Neckargemünd.
Wie muss man sich das vorstellen? Steht da eine Nähmaschine, und ich kann mir eine Hose nähen?
Grunert: Wenn man sich die skandinavischen Stadtbibliotheken anschaut, die uns ja als Vorbild dienen, dann gibt es dort tatsächlich auch Nähmaschinen. Aber auch alle möglichen anderen technischen Gerätschaften sind denkbar: Musikinstrumente, Synthesizer, Kameras, Aufnahmegeräte, Schnittcomputer – zum Produzieren von Musik, Filmen oder Podcasts. Das alles ist für junge Menschen total attraktiv. Es soll dann auch immer wieder Termine geben, bei denen unsere Mitarbeiter erklären, wie die Geräte funktionieren. Einen Teil der Angebote haben wir ja schon in unserer bestehenden Bibliothek, wir veranstalten regelmäßig sogenannte Maker Days. Aber wir haben das Angebot nicht in dem Umfang, wie es eine Stadt von der Größe Mannheims benötigt. Und noch ein anderer Aspekt ist mir bei der neuen Bibliothek wichtig …
Nämlich?
Grunert: Wir wollen räumliche Möglichkeiten schaffen, dass junge Menschen auch gemeinsam arbeiten und lernen können, zum Beispiel ein Referat für die Schule vorbereiten oder zusammen Hausaufgaben machen. In unserer Stadt gibt es gerade auch ganz viele junge Menschen, bei denen dafür in der Wohnung zuhause kein Platz oder zu wenig Ruhe ist. Bibliotheken sind heute Treffpunkte für alle Bürgerinnen und Bürger und keine Bücherlager mehr. Diese neuen Bibliotheken mit hoher Aufenthaltsqualität wie in Düsseldorf, Oslo oder Helsinki sind heute voll, und die Menschen haben Sehnsucht nach diesen schönen Orten. Man nennt das „Dritter Ort“. Ein „Dritter Ort“ ist ein Ort jenseits von Zuhause und Arbeit, der Menschen die Möglichkeit bietet, sich zu treffen, Kontakte zu knüpfen, Ideen auszutauschen und Gemeinschaft zu erleben. Kurz gesagt: ein neutraler, offener und einladender Ort für Begegnung, Austausch und gemeinschaftliches Leben.
Wie lange wird die neue Bibliothek täglich offen sein?
Grunert: Natürlich so lange wie möglich, das wäre der Wunsch. Bei so einer Zentralbibliothek kann ich mir schon Öffnungszeiten bis in den späten Abend vorstellen. Und es gehört natürlich auch eine Sonntagsöffnung dazu – auch wenn das in Baden-Württemberg im Moment leider rechtlich nicht möglich ist. Es gibt aber aktuell eine Initiative, die eine Sonntagsöffnung für Bibliotheken auf Bundesebene ermöglichen möchte. Wir haben uns daran auch aktiv beteiligt.
Um die neue Bibliothek in N 2 zu bauen, muss das dortige Parkhaus abgerissen werden. Viele fragen sich deshalb, warum die von Ihnen beschriebene Bibliothek nicht in einem umgebauten Stadthaus entstehen könnte.
Grunert: Das kann man mit einem Wort beantworten: Denkmalschutz. Nicht nur die Außenhülle des Stadthauses steht unter Denkmalschutz, auch verschiedenste Elemente des Innenausbaus sind als schützenswert eingestuft und dürfen nicht verändert werden.
Aber sicher doch nicht jede Innenwand.
Grunert: Nein, natürlich nicht. Aber zum Beispiel der gesamte Ratssaal steht unter Denkmalschutz, und auch die große, offene Rotunde im hinteren Bereich. Die Aufteilung des Stadthauses passt überhaupt nicht zu einer modernen Stadtbibliothek, und sie kann nur sehr bedingt angepasst werden. Ganz abgesehen davon, dass wir natürlich einen gewissen Flächenbedarf für das geplante Angebot brauchen, den das Stadthaus nicht bietet. Wir dürfen ja nicht vergessen, dass zukünftig auch die Kinder-und Jugendbibliothek und die Musikbibliothek aus dem Dalberghaus ausziehen müssen und in eine neue Zentralbibliothek mit einziehen sollen. Dafür brauchen wir mehr Platz. Außerdem gibt es noch ein bauliches Problem im Stadthaus: Es hat ja jede Menge Eingänge – eine Stadtbibliothek dagegen braucht einen zentralen Eingang, der dann auch ein Stück weit kontrolliert werden kann.
Eingänge könnte man doch zumauern, und der Ratssaal könnte zu einem Lesesaal werden.
Grunert: Eingänge kann man nicht einfach zumauern, weil es da auch um das Thema Brandschutz geht. Und der Ratssaal muss laut Denkmalschutzvorgaben in seiner Form erhalten und als Ratssaal zugänglich bleiben. Mit den Sitzen und der Dezernentenbank vorne eignet er sich auch nicht wirklich für einen Lesesaal.
Aber die Tische und Stühle dort werden ja nicht unter Denkmalschutz stehen, oder?
Grunert: Das weiß ich jetzt tatsächlich nicht im Detail, aber ausschließen würde ich das nicht. Die Stühle im Opern- und Schauspielhaus stehen zum Beispiel unter Denkmalschutz und sind aktuell eingelagert, um nach der Sanierung des Nationaltheaters wieder eingebaut zu werden. Daran sieht man, wie weit der Denkmalschutz im Einzelnen geht. Eigentlich ist es praktisch unmöglich, eine qualitativ gute Stadtbibliothek, die modernen Ansprüchen gerecht wird, im Stadthaus einzurichten, wo so viele Elemente unter Denkmalschutz stehen.
Wenn der Denkmalschutz so rigide ist, dann dürfte aber auch die Idee kaum funktionieren, das Stadthaus in Zukunft vielleicht zum Rathaus umzufunktionieren. Das hatte der frühere Oberbürgermeister Peter Kurz ja vor dem Ende seiner Amtszeit noch in die Diskussion gebracht.
Grunert: Das kann ich nicht beurteilen. Ich war an diesen Überlegungen nicht beteiligt. Mein Ziel als Bildungsbürgermeister ist es, eine gute Stadtbibliothek für diese Stadt zu schaffen und nicht eine bestehende Problemimmobilie zu füllen.
Die Mannheimer Liste hatte kürzlich vorgeschlagen, ob man die neue Bibliothek nicht im Sparkassen-Neubau unterbringen könnte.
Grunert: Am Projekt Stadtbibliothek-Neubau arbeiten wir jetzt schon viele Jahre. Wir haben alles Mögliche geprüft und auch schon einen siebenstelligen Betrag in den Architektenwettbewerb und in die Entwurfsplanung investiert. Wir haben außerdem mehrere Gemeinderatsbeschlüsse, und die sind für uns bindend. Ganz abgesehen davon bleibt bei diesem Vorschlag der Mannheimer Liste die Frage, ob die Nutzungsvorstellungen der Sparkasse mit den Erfordernissen einer Stadtbibliothek zusammenpassen würden. Unsere Erfahrung mit Immobilienprojekten ist: in einer Immobilie am besten immer einen Nutzer mit seinen Bedürfnissen – und nicht verschiedene. Denn sonst gibt es immer Reibereien.
Vorschläge wie der von der ML kommen ja auch deswegen, weil es um günstigere Alternativen zum eigenen Neubau geht. Die neue Bücherei kostet Stand jetzt 75 Millionen Euro, der Betrag wird bis zu einem Baubeginn garantiert noch steigen. Finanzbürgermeister Volker Proffen von der CDU hat kürzlich im „MM“-Interview mit Blick auf den Neubau gesagt: „Ein Projekt in der bisher verfolgten Dimension wäre sicher herausfordernd, hier müssen wir alle Optionen prüfen.“ Wie soll der Neubau finanziert werden?
Grunert: Wir brauchen ähnliche Summen, wenn wir neue Feuerwachen bauen. Und wir brauchen noch mehr Geld, wenn wir ein Fußballstadion bauen. Die Frage der Finanzierung stellt sich bei allen Projekten. Sie wird aber eigentlich fast nur bei der Stadtbibliothek diskutiert. Und deswegen frage ich mich, ob es da wirklich um die Frage der Finanzierung geht – oder ob von manchen die Sinnhaftigkeit einer neuen Stadtbibliothek generell bestritten wird.
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Ich glaube, dass auch ein Stadion-Neubau kontrovers diskutiert würde.
Grunert: Eine Bibliothek hat keine so lautstarken und zahlreichen Fan-Clubs wie der Waldhof, und von daher ist es umso wichtiger, dass sie Fürsprecher hat, die dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche solche tollen Ermöglichungsräume bekommen. Letztlich geht es um eine Priorisierung, über die der Gemeinderat entscheiden muss. Und der hat sich bislang mit einer großen Mehrheit von Grünen, SPD, LI.PAR.Tie und FDP/MfM zu einer neuen Bibliothek bekannt.
Was bei vielen für Kritik sorgt, ist die Tatsache, dass für den Neubau ein beliebtes Parkhaus weichen muss, das auch noch eine Fassadenbegrünung hat. Wie sehen Sie das als Grünen-Politiker?
Grunert: Natürlich ist Fassadenbegrünung grundsätzlich etwas Tolles, und wir brauchen davon auch mehr in der Stadt. Und natürlich ist es generell sinnvoll, bei jedem Bauvorhaben zu prüfen, ob bestehende Substanz erhalten werden kann. Aber immer wieder wird es auch Fälle geben, bei denen man sich für einen Neubau entscheidet – weil wir heute einfach andere Bedürfnisse an Gebäude haben oder weil ein neues Gebäude wesentlich weniger Energie benötigt. Auch Letzteres wäre übrigens ein weiteres Argument gegen das Stadthaus.
Ursprünglich war ja vorgesehen, dass der Bibliothek-Neubau auch eine Tiefgarage hat. Die wird es jetzt aus Kostengründen aber nicht geben. Wie wollen Sie die knapp 500 Parkplätze ausgleichen, die durch den Abriss des Parkhauses wegfallen?
Grunert: Man muss sich einfach mal die Belegungszahlen unserer Parkhäuser vornehmen und schauen, an welchen Tagen das Parkhaus in N 2 wie belegt ist. Und dann wird man sehen, dass es eine wirkliche Auslastung dieses Parkhauses wahrscheinlich lediglich an sechs bis acht Samstagen gibt. Wenn das Parkhaus wegfällt, müssen wir den Verkehr auf die anderen Parkhäuser in der Innenstadt verteilen. Das kann man organisieren, das ist bei der Auslastung der anderen Parkhäuser in der Innenstadt durchaus möglich. Vor allem beim Parkhaus von Q 6/Q 7 sehe ich da noch Kapazitäten.
Wie geht es nun konkret weiter mit den Planungen für den Neubau?
Grunert: Wir arbeiten im Moment ja an der sogenannten Entwurfsplanung, aus der hervorgeht, wie das Gebäude genau aufgeteilt ist und vor allem, was es genau kostet. Diese Entwurfsplanung ist dann auch die Voraussetzung dafür, dass der Gemeinderat im Haushalt Geld für den Bau einplanen und den endgültigen Baubeschluss fassen kann. Ich gehe davon aus, dass die Entwurfsplanung Anfang 2025 vorliegt.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Neue Stadtbibliothek in Mannheim: Extrem teuer, aber extrem lohnend