Meinungsfreiheit

Warum Correctiv in Mannheim ausgezeichnet wird

Die baden-württembergische Carlo-Schmid-Stiftung hat Correctiv für seinen Beitrag zur Stärkung der Demokratie ausgezeichnet. Die Macher aus dem Medienhaus mahnen: Wir müssen mehr auf die Menschen hören

Von 
Stefanie Ball
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Das Foto zeigt Schüler während eines Workshops bei der Suche nach Falschnachrichten im Netz. © Christoph Blüthner

Mannheim. Spätestens seit dem 10. Januar dieses Jahres ist Correctiv einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland und darüber hinaus bekannt. An dem Tag veröffentlichte das Recherchezentrum einen Bericht über ein Geheimtreffen in der Nähe von Potsdam, auf dem AfD-Politiker, Rechtsextremisten und Rechtskonservative einen „Masterplan“ für die massenhafte Abschiebung aus Deutschland geschmiedet haben sollen, auch Menschen mit deutscher Staatsbürgerschaft sollten von der „Remigration“, so der beschönigende Begriff, betroffen sein. Das Entsetzen war groß, wochenlang gingen die Menschen zu Hunderttausenden gegen rechts auf die Straße. Nun ist das Medienhaus von der baden-württembergischen Carlo-Schmid-Stiftung für seinen Beitrag zur Stärkung der Demokratie ausgezeichnet worden.

Preisverleihung in Aula der Uni Mannheim

Der mit 5000 Euro dotierte Preis, bei dem in diesem Jahr mit Blick auf das 75. Jubiläum des Grundgesetzes die Verteidigung des Rechtsstaats und der Demokratie besonders im Fokus standen, wurde am Samstag in der Aula der Universität Mannheim verliehen. „In Zeiten, in denen der öffentliche Diskurs zunehmend weniger auf Fakten basiert, ist die Stärkung der Qualitätsmedien von besonderer Bedeutung“, hatte Peter Kurz, Mannheims ehemaliger Oberbürgermeister und Vorsitzender der Carlo-Schmid-Stiftung, die Auswahl des diesjährigen Preisträgers begründet.

Renommierter Staatsrechtler und Mannheimer Abgeordneter

Carlo Schmid (1896-1979) gilt als politische Ausnahmeerscheinung; er war als renommierter Staatsrechtler unter anderem maßgeblich an der Ausarbeitung des Grundgesetzes beteiligt. Von 1949 bis 1972 war Schmid, der eigentlich Karl Johann Martin Heinrich hieß, Mitglied des Deutschen Bundestags und vertrat dort als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Mannheim I. Die Carlo-Schmid-Stiftung wurde 1987 ins Leben gerufen.

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In seiner Laudatio würdigte Heribert Prantl, langjähriger Politikchef der Süddeutschen Zeitung, Correctiv als eine herausragende Initiative zur Qualitätssicherung der Medien: „Guter Journalismus ist ein Journalismus, bei dem die Journalisten wissen, dass sie eine Aufgabe haben - und dass diese Aufgabe mit einem Grundrecht zu tun hat: Artikel 5 Grundgesetz, die Pressefreiheit.“

Correctiv-Gründer nimmt Auszeichnung entgegen

Stellvertretend für das 150 Mitarbeiter umfassende Team nahmen David Schraven, Gründer von Correctiv, sowie Reporter Marcus Bensmann den Preis entgegen. „Wir müssen mitkriegen, was die Menschen beschäftigt, wir müssen hören, was los ist“, unterstreicht Schraven in einem Gespräch vor der Preisverleihung. Er selbst sei jeden Samstag - „ich kann wegen der kaputten Knie nicht mehr Fußball spielen, also muss ich samstags was anderes machen“ - mit einem Kaffeewagen auf dem zentralen Marktplatz in Bottrop. Schraven stammt aus der Ruhrgebietsstadt und wohnt dort auch mit seiner Familie. Dort sitze er dann und quatsche mit den Leuten. „Zum Beispiel über das, was in der Stadt schiefläuft.“ Dass die Menschen nicht interessiert seien, sich nicht einbringen wollten, glaubt Schraven nicht.

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Sie bräuchten aber Räume, um das zu tun, und die schaffe Correctiv. Indem sich etwa im Crowd-Newsroom viele Menschen an Recherchen beteiligen könnten. Auf der digitalen Plattform könnten Menschen berichten, was ihnen auf den Nägeln brenne, und Informationen sicher und vertraulich teilen. Auf diese Weise sei es etwa gelungen, die Preistreiber auf dem Hamburger Wohnungsmarkt ausfindig zu machen. „Es war die Gewerkschaft der dänischen Lehrer“, so Schraven. Pensionsfonds beziehungsweise Rentenfonds unter anderem aus Dänemark investierten in den Hamburger Mietmarkt, um die zugesagten Renditen für ihre Versicherten zu erwirtschaften. Das hätte die Mietpreise nach oben geschraubt.

Um Demokratie kämpfen

Dass Probleme wie diese und andere viele Menschen überforderten und sie so womöglich empfänglich machten für antidemokratische Strömungen und rechte Thesen, sieht Reporter Bensmann. „Vieles, was Demokratie bietet, wird als gegeben angenommen: dass ich nicht einfach aus meiner Wohnung geschmissen werden kann; dass ich nicht einfach verurteilt werden kann; dass Behörden nicht tun können, was sie wollen.“ Doch Demokratie sei ein großes Wort, das müsse runtergebrochen werden auf die Menschen und die Verhältnisse vor Ort.

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Correctiv will Menschen ertüchtigen

Journalismus auf Augenhöhe - das sei das Ziel von Correctiv, das in diesem Jahr sein zehnjähriges Jubiläum feiert. „Wir wollen Menschen ertüchtigen, mitzumachen, jeder kann Journalist sein.“ Früher seien die Redaktionen in den Zeitungshäusern und Rundfunkanstalten die „Gatekeeper“ gewesen, die entschieden, was wird zur Nachricht, was wird aussortiert. In Zeiten, wo jeder alles in den Sozialen Medien schreiben und teilen könne, gehe es vielmehr darum, die Menschen durch die Flut der Informationen zu lotsen - und vor allem zu verhindern, dass immer mehr Gerüchte und Fake News, Falschnachrichten, dort Eingang und Verbreitung fänden.

Faktenchecks für die Verunsicherten

Schraven ist überzeugt: Das kann gelingen - durch Medienbildung in Schulen und durch Faktenchecks. Mit seinem Projekt „Salon5“ beispielsweise gehe Correctiv in die Schulen, um Jugendlichen das journalistische Handwerk beizubringen, die dann selbst Journalismus in Form von Podcasts, Instagram-Beiträgen und Tiktok- sowie Youtube-Videos betreiben könnten. Mit Correctiv-Faktencheck betreibt Correctiv zudem eine eigenständige Redaktion, die gegen Desinformation im Netz vorgeht. „Den harten Kern der Verschwörungstheoretiker werden wir nicht erreichen, wir erreichen aber die Verunsicherten, und dafür braucht es nur die eine Person, die als Multiplikator für die Fakten dient“, sagt Schraven. Er bezweifelt, Faktenchecks könnten nach hinten losgehen und Menschen sich bevormundet fühlen. "Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Faktenchecks Wirkung haben."

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Aggressive Verbreitung von Falschnachrichten

Mit die größte Gefahr sieht der Journalist im Kurzvideodienst Tiktok, der vom chinesischen Unternehmen Bytedance betrieben und seit langem als Spionagewerkzeug des kommunistischen Regimes in Peking kritisiert wird. In vielen Ländern ist die Nutzung der App inzwischen zumindest eingeschränkt. „Abschalten“, fordert auch Schraven und kritisiert, dass es keine politische Führung in Deutschland gebe, die in der Lage sei, das Problem, das von Tiktok ausgehe, zu adressieren, nämlich die gezielte Manipulation und Desinformation vor allem von Kindern und Jugendlichen. „Wie Jungwähler über Tiktok politisiert werden, haben wir bei der Europawahl gesehen“, warnt Bensmann. Bei der Wahl im Juni hatten viele junge Menschen ihre Stimmen Parteien im extrem rechten Spektrum gegeben. Die Algorithmen auf Plattformen wie Tiktok würden gezielt eingesetzt, um Falschnachrichten, wie sie etwa die AfD verbreite, nach oben zu spülen. „Die Gegenseite hat eine feindliche Waffe geschmiedet“, so Schraven.

Abhängig auch von Stiftungsgeldern und der Bundesregierung

Dass das gemeinnützige Medienhaus in Teilen von der deutschen Bundesregierung, nicht unumstrittenen Konzernen wie Google sowie Stiftungen, hinter denen beispielsweise der Milliardär und Ebay-Gründer Pierre Omidyar steht, finanziert wird, sieht Schraven unproblematisch. „Der Großteil unseres Geldes stammt auch von Einzelspendern.“ Der Finanzierungsmix und Transparenz führe zur Unabhängigkeit. Beispielsweise investiere die Stiftung Luminate von Omidyar aufgrund eines strategischen Wandels in Zukunft nicht weiter in den Journalismus in Europa. "Das Geld fällt also weg, aber wir sind nicht davon abhängig, das ist entscheidend."

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