Interview

Warum Amalie-Leiterin Astrid Fehrenbach gegen eine Umsiedlung der Lupinenstraße ist

Im Interview spricht die Amalie-Leiterin der Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution über den Kampf vieler Frauen, die aussteigen wollen und erklärt, wieso Burger-Essen mitten im Rotlichviertel keine gute Idee ist

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Lisa Uhlmann
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Bietet Hilfe für Frauen, die aus der Prostitution aussteigen wollen: Astrid Fehrenbach, die Leiterin von Amalie, öffnet die Tür zu ihrer Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution in der Neckarstadt-West. © Lisa Uhlmann

Mannheim. Warum zwar viele Frauen aus der Prostitution aussteigen wollen, es aber nur die wenigsten schaffen, was passiert, wenn die Lupinenstraße umgesiedelt werden würde und wieso Burger-Essen mitten im Rotlichtviertel keine gute Idee ist – im Gespräch gibt Amalie-Chefin Astrid Fehrenbach Einblicke in ihre neue Arbeit in der Beratungsstelle im Rotlichtviertel. Seit knapp einem Jahr leitet Fehrenbach die Beratungsstelle für Frauen in der Prostitution in der Neckarstadt-West und bietet mit ihrem Team Hilfe für Betroffene – von der kostenlosen ärztlichen Untersuchung bis hin zu Aussteigerwohnungen.

Frau Fehrenbach, was halten Sie von den Plänen, das Rotlichtviertel aus der Neckarstadt-West umzusiedeln?

Astrid Fehrenbach: Wenn das Rotlichtviertel an den Rand der Stadt gedrängt und damit ghettoisiert wird, ist das sehr ungünstig. Das wäre dann vergleichbar mit Laufhäusern, die weit draußen im Industriegebiet liegen, wo die Frauen dann komplett isoliert sind von der Gesellschaft. Der Radius von Frauen in der Prostitution in Mannheim ist schon jetzt beschränkt. Es erschreckt uns, dass oft Betroffene zu uns kommen, die es noch nie bis zur Alten Feuerwache geschafft haben. Sie haben starke Probleme, sich zu orientieren, sprechen die Sprache nicht. Manche wechseln oft auch die Stadt und wissen nicht einmal, wo der nächste Arzt ist.

Astrid Fehrenbach

Astrid Fehrenbach ist 59 Jahre alt, in Rastatt geboren und wohnt in Mannheim. Nach dem Abitur in Karlsruhe studiert Fehrenbach Theologie in Freiburg und Fribourg (Schweiz).

Es folgen ein Studium der Sozialen Arbeit in Ludwigshafen, eine berufsbegleitende Ausbildung im Sozialmanagement sowie ein Betriebswirtschaftsstudium und ein Anerkennungsjahr in der Gerichtshilfebei der Staatsanwaltschaft Mannheim.

In Berlin, Mannheim und Freiburg ist Fehrenbach in der Frauenbildungsarbeit tätig, berät und begleitet alleinerziehende Frauen sowie jugendliche Mütter.

Neben einer Mutter-Kind-Kur-Einrichtung im Raum Frankfurt leitet sie fünf Jahre lang ein Frauenhaus der Awo Aschaffenburg. Von 2011 bis 2020 leitet Fehrenbach eine Einrichtung für chronisch psychisch erkrankte Frauen und Männer.

Fehrenbach war von 2020 bis 2021 Hausoberin und Mitglied im Direktorium des Diako Mannheim.

Seit Januar 2022 ist die 59-Jährige Leiterin der Beratungsstelle Amalie in der Neckarstadt-West. lia

Welche Gefahren birgt das für Frauen in der Prostitution?

Fehrenbach: Eine abgelegene Lage erschwert es, sich mit anderen auszutauschen oder ein Netzwerk aufzubauen, das einem hilft, vielleicht eines Tages auszusteigen. Wer also die Lupinenstraße umsiedeln will, der drängt auch die Frauen noch mehr an den Rand der Gesellschaft und verdrängt damit auch das Thema Prostitution. Dabei ist es unser Anliegen, auf die Realität aufmerksam zu machen.

Wie geht es den Frauen aktuell, mit welchen Problemen haben sie am meisten zu kämpfen?

Fehrenbach: Es fällt ihnen nach wie vor schwer, Geld zu verdienen. Als Prostituierte zu arbeiten ist Schwerstarbeit – sowohl körperlich wie mental. Viele haben dazu den Druck, genügend Geld an ihre Verwandten in der Heimat zu schicken und gleichzeitig laufende Kosten sowie Schulden abzubezahlen.

Viele Corona-Beschränkungen sind aufgehoben, spüren das die Frauen jetzt in ihrer täglichen Arbeit?

Fehrenbach: Die Pandemie ist nach wie vor Thema, und die Arbeit im Rotlichtmilieu ist eine auslaugende Tätigkeit. Amalie bietet alle 14 Tage eine kostenlose medizinische Sprechstunde an, die stark genutzt wird – im Schnitt kommen fünf Frauen. Viele haben mit ihrer Gesundheit zu kämpfen. Deshalb ist für die Betroffenen der Zugang zu einer Krankenversicherung auch zwingend notwendig, was aber durch das Prostituiertenschutzgesetz nicht gelöst wurde.

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Bei Ihrem Amtseintritt haben Sie sich vorgenommen, sich selbst im Rotlichtviertel umzusehen. Welche Erfahrungen haben Sie dort mittlerweile gemacht?

Fehrenbach: Ich bin dort regelmäßig unterwegs, das Amalie-Team zieht etwa alle zwei Wochen durchs Rotlichtviertel, spricht dort Frauen an und verteilt mehrsprachige Flyer. Das Ansprechen und Aufsuchen der Frauen ist sehr wichtig, auch wennviele bereits das Beratungsangebot von Amalie kennen. Denn es kommen immer wieder neue Frauen in die Lupinenstraße. Auch im Stadtteil sind die Streetworkerinnen von Amalie unterwegs.

Wie läuft der Kontakt mit den Bordellbetreibern, haben Sie sich angenähert?

Fehrenbach: Wir wissen voneinander. Es herrscht sozusagen eine gewisse Koexistenz.

Seit einiger Zeit gibt es auf der Lupinenstraße einen Burgerladen. Der zieht nicht nur Freier an, sondern auch Kunden, die nicht an den Dienstleistungen in den Bordellen interessiert sind. Hilft so ein Laden, das Rotlichtgewerbe ins Bewusstsein der Gesellschaft zu rücken oder fühlen sich die Frauen, die dort arbeiten, dadurch gedemütigt?

Fehrenbach: Die Lupinenstraße sollte nicht als Zoo oder Sehenswürdigkeit gelten, die man aus Neugier besuchen kann. Für die Frauen ist es so schon schwierig genug, dort täglich ihre Arbeit zu machen. Dabei von Unbeteiligten beobachtet zu werden, ist sicher nicht angenehm. So ein Laden senkt zudem die Hemmschwelle, sich überhaupt ins Rotlichtviertel zu begeben, und vermittelt so das falsche Gefühl, dass Prostitution etwas völlig Normales ist. Vielmehr sollte die Gesellschaft die Anliegen von Betroffenen ernst nehmen, und das jenseits von Klischees, die fälschlicherweise das Bild vermitteln, dass diese Tätigkeit viel Geld bringt und Spaß macht.

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Gibt es neue Pläne für die Beratung bei Amalie?

Fehrenbach: Wir freuen uns sehr über die Zusage für eine dreijährige Förderung für unser Aussteigerinnen-Projekt „Horizonte Plus“ aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds. Dabei wollen wir niemanden bekehren, sondern helfen aufzuzeigen, wie der Ausstieg gelingt. Die Frauen müssen erst einmal ihre Existenz sichern. Um einen Job zu bekommen, braucht es auch Sprachkenntnisse und eine sichere Wohnung. Oft ist das schon der Knackpunkt, weil die Frauen ein Arbeitszimmer angemietet haben, in dem sie gleichzeitig wohnen. Wenn sie dann aufhören wollen, verlieren sie nicht nur das Einkommen, sondern sind obdachlos. Aussteigerinnen bleiben deshalb sehr lange in unseren Ausstiegswohnungen, auch weil es ewig dauert, verlorene oder abgelaufene Papiere zu beantragen und auf dem angespannten Wohnungsmarkt eine Bleibe zu finden.

Wie schwierig ist es denn für die Frauen auszusteigen?

Fehrenbach: Aktuell betreut Amalie gerade 16 Aussteigerinnen. Aber es ist sehr schwierig, davon loszukommen, und ja: Es gibt eine Rückfallquote. Der Wunsch auszusteigen ist bei sehr vielen da, aber nur die wenigsten schaffen es, diesen großen Schritt zu tun. Oft braucht es mehrere Anläufe, dauert es Jahre, bis es gelingt, sich aus Abhängigkeiten zu befreien und eine tragfähige Alternative zu finden. Im vergangenen Jahr haben wir 377 Beratungsgespräche geführt und 63 Betroffene regelmäßig betreut.

Redaktion Seit 2018 als Polizeireporterin für Mannheim in der Lokalredaktion.

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