Forschende aus Mannheim wollen dem Schmerz auf die Spur kommen. Herta Flor forscht dazu am Mannheimer Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Dass Schmerz komplex ist, weiß sie zu gut: „Auch wenn man organisch nichts beim Patienten findet, stellen wir oft fest, dass Menschen Schmerzen haben“, sagt sie. Und umgekehrt: „Wir sehen Menschen, die haben so eine Wirbelsäule, sie müssten eigentlich furchtbare Schmerzen haben. Sie haben aber keine Schmerzen.“
Wer kann an der Studie teilnehmen?
Die Schmerzen sollten bei Betroffenen seit mindestens drei Monaten regelmäßig vorhanden sein. Gesucht werden Probanden, die etwa an folgenden Schmerzarten leiden: unspezifische chronische Rückenschmerzen, Arthrose (degenerative Gelenkerkrankung mit Knorpelabbau), rheumatoide Arthritis (starke Entzündungen, oft an Gelenken wie Fingern), Fibromyalgie-Syndrom (diffuse Schmerzen an verschiedenen Körperstellen).
Sollten die Schmerzbetroffenen unter einer schweren medikamentös behandelten psychischen Erkrankung, schweren neurologischen Erkrankungen oder schweren körperlichen Erkrankungen (z. B. Krebs) leiden, ist eine Teilnahme leider nicht möglich. Probanden werden gebeten, ein mobiles Studientelefon zu benutzen und werden in einem MRT untersucht. Es gibt eine Aufwandsentschädigung von 60 bis 200 Euro.
Kontakt: Wissenschaftliche Studienkoordinatorin: Stephanie Vock, Telefon 06221 5638 898 oder 0163 15 54 381 und E-Mail-Adresse: Schmerzforschung.MED2@ med.uni-heidelberg.de
Der Zeitaufwand der Studie beträgt circa 15 Stunden. Es besteht außerdem die Möglichkeit, Zugang zu einer von mehreren wirksamen schmerzpsychotherapeutischen Behandlungsansätzen zu erhalten.
Die PerPain-Studie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und von Jonas Tesarz (Uniklinikum Heidelberg) koordiniert. Neben dem Uniklinikum Heidelberg ist das ZI mit dem Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie (Herta Flor) sowie die Abteilung Public Mental Health (Ulrich Reininghaus) vertreten. Zudem ist das UMM Mannheim (Jürgen Hesser) und das Interdisziplinäre Zentrum Klinische Studien der Unimedizin Mainz (Michael Hopp) an der Studie beteiligt. see
Das Hirn „lernt“ Schmerz - leider
Eine Erklärung, mit der sich die Forscher in ihrer Studie beschäftigen: Wenn jemand ständig Schmerzen hat, verändert sich etwas in seinem Gehirn. Flor, die Wissenschaftliche Direktorin des Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie am ZI ist, sagt: „Wir wissen, dass chronischer Schmerz im Nervensystem mit Veränderungen einhergeht. Nämlich mit Lernprozessen, mit einer Art Fehlgewöhnung nach einem Ereignis.“ Viele kennen das als das sogenannte Schmerzgedächtnis. Doch diese Veränderung durch Wachstumsprozesse des Gehirns kann man auch nutzen. Schon zielgerichtete Gedanken können die Synapsennetzwerke wachsen lassen. Und zwar in Richtung „weg vom erlernten Schmerz“. Hier kommt das Thema Psychotherapie ins Spiel, die Baustein der Studie ist.
Herta Flor sagt derweil: „Die Therapie von Schmerzen in Deutschland ist nicht auf den einzelnen Patienten zugeschnitten.“ Es werde etwa nicht beachtet, ob der Mensch großen Stress hat, Probleme in der Beziehung oder etwa einen Verlust eines Nahestehenden erlitten hat. „Wir haben in Studien in den letzten Jahren ganz deutlich gesehen: Menschen die Schmerzen haben, leiden auch oft unter anderen Krankheiten wie Depressionen oder Angststörungen.“
Was ist Ursache, was Wirkung?
Oben genannte Lebensumstände können Körper so unter Stress setzen, dass dieser quasi entflammt, mutmaßen Forscher schon länger. Und dass dann neurobiologische Prozesse in Gang kommen, die Schmerz auslösen oder verstärken. Oder Rückkopplungen auslösen: „Am Ende weiß man nicht mehr, was kommt eigentlich von was“, so Flor.
Am ZI weiß man aber eines: Nicht jede Therapie passt zu jeder Person. In der Studie PerPain am ZI, die in Kooperation mit den Unikliniken in Heidelberg und Mannheim durchgeführt wird, visiert man deshalb personalisierte Therapieansätze an. Auch Psychotherapie spielt dabei eine Rolle. Die Therapieansätze betrachten die Lebenssituation von Menschen einzeln. Teilnehmen können etwa Menschen, die an chronischen Schmerzen der Muskulatur und des Skeletts leiden. Wie etwa Arthrose, die degenerative Gelenkerkrankung mit Knorpelabbau, die weit verbreitet ist und große, manchmal kaum erträgliche, Schmerzen verursacht. „Unsere Hypothese ist, dass die Patienten eben nicht nur von einer Art der Schmerztherapie profitieren. Sondern dass sie je nach ihrer individuellen Lebenslage angepasste Therapien brauchen“, präzisiert die Forscherin.
Keine Kontrolle: Mehr Wehweh
Bei den Probanden wird auch eine MRT- sowie Blutuntersuchung durchgeführt. „Wir schauen uns in das Gehirn der MRT-neuronalen Diagnostik an und versuchen zu verstehen, was ist hier passiert“, erklärt Flor. „Und wir schauen auch auf die Lernsituation des Menschen: Lernt er oder sie negative Dinge schneller, positive Dinge nicht?“ Denn „Verhalten erlernen hat viel mit Schmerz zu tun“, betont sie erneut. Zudem sei es am Ende sehr wichtig für die Menschen zu verstehen, was in ihrem Körper passiert, wenn sie unter Schmerzen leiden. „Denn man weiß, dass keine Kontrolle über den Schmerz zu haben den Schmerz besonders verstärkt“, so Flor weiter. Und das ist nur ein Aspekt von vielen, dem die Forscher weiter auf der Spur sind, um den Schmerz verschwinden zu lassen - oder zumindest erträglicher zu machen.
Der Grund, warum das ZI das Schmerzthema in einer großen Studie angeht, liegt auf der Hand. Es ist nicht nur so, dass viele Menschen chronische Schmerzen haben. Die Deutsche Schmerzgesellschaft gibt an, dass mehr als jeder vierte Erwachsene in Deutschland chronische Schmerzen hat. Die meisten entfallen auf den Bewegungsapparat, allen voran Rücken und Gelenke.
Hallo und tschüss graue Zellen
Die Hoffnung von Flors Forscherteam ist groß. Gerade der Ansatz, mit Psychotherapie Veränderung der Wachstumsprozesse im Hirn zu erreichen, macht Hoffnung: „Das sieht man auch bei Forschungen zum Thema Sucht. In der Forschung waren erst alle so: ,Oh mein Gott, die graue Substanz stirbt ab bei Alkoholkranken.’ Aber sie kann sich regenerieren, sie kann nachwachsen, wenn man nicht mehr trinkt oder ein neues Verhalten trainiert. Das ist nachgewiesen.“
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