Digitalisierung

Wann sollen Kinder das erste Smartphone bekommen? 9 Tipps zur Medienerziehung

Ob beim Kicken oder im Schwimmbad - fast immer haben Jugendliche ihr Handy dabei. Wann sollten Eltern Kindern das erste Smartphone kaufen? Wie stark dürfen sie die Handys kontrollieren? Experten geben Hinweise

Von 
Sebastian Koch
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Das Jugendamt empfiehlt ein Smartphone für Kinder erst ab der fünften Klasse. © istock

Wie lange werden digitale Medien am Tag konsumiert?

Mannheim. Laut Jürgen Held verbringen Menschen am Tag durchschnittlich „weit über vier Stunden“ damit, im Internet zu surfen, Apps zu nutzen oder einfach fernzuschauen. „Wie viele Stunden für Jugendliche gut oder schlecht sind, lässt sich schwer sagen“, erklärt Held von der städtischen Fachstelle Medienbildung und Jugendmedienschutz. Es sei wichtig, wie Medien genutzt werden. „Wenn man anderthalb Stunden nur spielt und konsumiert, hat das andere Auswirkungen als wenn man zum Beispiel als Creator bei TikTok kreative Skills schult.“ Auch komme es darauf an, wie Jugendliche auf Medien reagieren. Werden sie nervös, aggressiv? Sacken Leistungen ab? „Jede Minute, die Jugendliche Medien nur konsumieren, fehlt bei der Entwicklung anderer Fähigkeiten wie der Motorik oder im Sozialen“, sagt Held. „Ich versuche Eltern immer zu sagen: ,Schmeißt eure Kinder raus ins Freie, damit sie Erfahrungen machen und Kompetenzen fördern können’.“

Wie gelingt es, Jugendliche vom Handy zu lösen?

Eine Frage, für die auch Experten keine Musterlösung haben. „Erziehung ist heute schwieriger als in der Zeit, in der es kein Internet gab“, ist Held überzeugt. Weil auch Lehrerinnen und Lehrern die Medienkompetenz oft noch fehle, müssten sich Eltern mit der Mediennutzung stärker auseinandersetzen. „Es ist unser Job als Eltern, uns mit Inhalten zu beschäftigen, die für Jugendliche relevant und für uns eigentlich langweilig sind.“ Diese Einschätzung teilt Teresa Naab, Kommunikationswissenschaftlerin an der Universität. „Für Eltern ist es ein Balanceakt, Jugendliche an Medien heranzuführen und sie gleichzeitig von Gefahren fernzuhalten.“ Held erklärt indes, Eltern müssten spannende Alternativen bieten - nicht nur im Urlaub, auch im Alltag. „Elternsein ist ein Full-Time-Job, der auf den eigentlichen Beruf obendrauf kommt.“ Dazu zähle, das eigene Verhalten zu hinterfragen. „Jugendliche erzählen oft, Eltern würden sie wegschicken und vertrösten, weil sie selbst am Tablet sitzen“, berichtet er. „Wir leben unseren Kindern den Umgang mit Medien vor.“

Sollten Eltern den Zugang für Kinder zu Online-Medien regulieren?

Naab empfiehlt, Verbote nur dezidiert einzusetzen. „Kinder sollten keine Inhalte nutzen dürfen, die für ihr Alter nicht freigegeben sind.“ Allerdings provozierten Verbote auch, diese kreativ zu umgehen. „Es macht Sinn, Kinder durch gemeinsame Nutzung interaktiv und mit gemeinsam abgesprochenen Regeln an Smartphones und andere Medien heranzuführen.“ Dabei sollte man darauf achten, welche Inhalte Kinder suchen und wie sie damit umgehen. „Eltern sollten sich mit Kindern unterhalten, warum sie die Inhalte ausgewählt haben und wie sie darauf gekommen sind.“ Auch empfiehlt sie, mit Kindern darüber zu sprechen, dass Algorithmen Vorlieben bedienen oder was mit Daten passiert, die verwendet werden. „Je früher man mit der Medienerziehung anfängt, desto eher sind Kinder dafür zugänglich.“ Das gelte für digitale Medien generell.

Sind allein Eltern für die Medienerziehung verantwortlich?

Nein. Im Idealfall, sagt Naab, sei das ein Zusammenspiel dreier Gruppen: Eltern, institutionellen Bildungseinrichtungen - und dem Freundeskreis. Letzterer spielt laut Naab eine „große Rolle“, wenn Erwachsene nicht mehr in der digitalen Lebensrealität der Jugendlichen unterwegs sind. „Die Bedeutung des Freundeskreises wird größer je älter Kinder werden.“ Gleichaltrige würden zum Beispiel besser und rascher merken, wenn Freundinnen und Freunde Opfer von Cybermobbing oder anderen gefährlichen Inhalten würden. „Eltern sollten sich natürlich immer für das Medienverhalten ihrer Kinder interessieren und bei Problemen ansprechbar sein.“

Auf welche Gefahren stoßen Kinder bei der Mediennutzung?

Naab spricht von einer „Mediatisierung“ des Alltags. Ob fernschauen, computerspielen oder das Sozialleben: „Fast alles, was wir machen, hat irgendwie mit Medien zu tun - fast in jedem Alter“, sagt sie. „Man kann Kinder von Medien kaum fernhalten.“ Cybermobbing, Hassnachrichten, gewalttätige und pornografische Inhalte oder auch der Umgang mit (Falsch-)Nachrichten, auf die Jugendliche online ungefiltert stoßen - das Spektrum ist breit. „Dazu kommt, dass soziale Medien wie Instagram oft eine verzerrte Realität darstellen“, erklärt Naab und nennt bearbeitete Bilder Anderer, die sich negativ auf Selbstwert oder Essverhalten auswirken könnten. Hinzu kommt die exzessive Nutzung von digitalen Medien, die Schlaf oder Sozialleben raubt.

Wann sind Kinder alt genug, um ein Smartphone zu besitzen?

Held lächelt - eine schwierige Frage. „Ein Smartphone reicht eigentlich ab der fünften Klasse voll und ganz aus.“ Dass die Realität oft eine andere ist, weiß auch der Vater zweier Jugendlicher. Die Geräte werden immer günstiger, Kinder, die sie bedienen, immer jünger. „Solange Eltern den Druck aushalten, sollten sie aber im Grundschulalter auf einen Kauf verzichten.“ Wie schwierig das ist, weiß auch Naab. Schließlich gehört das Internet zum Alltag und zur Lebenswirklichkeit dazu. „Genau wie Erwachsene haben Kinder das Bedürfnis nach leichter Unterhaltung, Entspannung und schneller Informationssuche.“ Auf ein Alter will auch sie sich nicht festlegen. „Das hängt stark von der Persönlichkeit des Kindes ab.“ Zudem sei wichtig, weshalb ein Kind ein Smartphone möchte. „Es ist ein Unterschied, ob das Smartphone als Notfalltelefon gebraucht wird oder Kinder darüber nur unkontrolliert online gehen möchten.“ Wenn Jugendliche ein Smartphone besitzen, beginne die eigentliche Arbeit aber erst, sagt Held. „Eltern können Kindern kein Smartphone kaufen und ihnen sagen, sie sollen sich allein damit beschäftigen“, sagt er. „Eltern müssen Kinder mit Gerät und Technik vertraut machen und erklären, was passieren kann.“

Kinder bewahren auf Smartphones intimste Erfahrungen, Chats oder Bilder auf. Wie tief dürfen Eltern in diese Privatsphäre vordringen und sie kontrollieren?

„Wenn es irgendwie geht, soll die Privatsphäre gewahrt bleiben“, stellt Held klar. Davor stehe aber die Prävention. „Ab der fünften oder sechsten Klasse ist es Alltag, dass Kinder mit jugendgefährdenden Inhalten zu tun bekommen“, sagt Held, der warnt, das zu unterschätzen. Verschicken Jugendliche etwa Darstellungen von Gewalt oder pornografische Inhalte, kann das auch Konsequenzen für Eltern haben. „Das Smartphone gehört rechtlich den Eltern.“ Von Apps, die die Smartphones der Kinder überwachen, rät er aber ab. „Das sollte man nur im größten Zweifel machen.“ Stattdessen komme es auf Prävention an und darauf, in Gesprächen Vertrauen zu pflegen. Auch sei es wichtig zu merken, wenn Kinder verstört wirkten, weil sie etwa gewalttätige oder pornografische Inhalte geschickt bekommen haben. „Eltern müssen wahnsinnig viel Muße aufbringen, sich zu informieren, um vernünftig aufzuklären.“

Gibt es denn auch positive Aspekte, wenn Kinder digitale Medien konsumieren?

Natürlich. Held verweist darauf, dass digitale Medien zur Lebensrealität nun einmal dazugehörten. Sie nur zu verteufeln, mache deshalb wenig Sinn. „Indem Jugendliche Medien nutzen, lernen sie auch, wie man mit ihnen umgeht und wie man über Medien kommuniziert.“ Zudem könne man analoge Kompetenzen mit digitalen Kompetenzen verbinden.

Wo und wie können sich Eltern denn adäquat informieren?

Das Jugendamt informiert auf Elternabenden regelmäßig über Medienerziehung und Mediennutzung, bei dem es auch um Selbstreflexion geht. Held empfiehlt zudem die Webseite klicksafe.de, auf der Informationen für Jugendliche, Eltern oder Lehrkräfte bereitgestellt werden. Weitere Informationen gibt es auch auf medienbildung.majo.de.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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