Filmschätze - "Flugzeug-Gymnastik" von Oskar Dimpfel beim Mannheimer Flugtag 1927 / Er hing nur an seinen Zähnen

Waghalsige Akrobatik in der Luft

Von 
Peter W. Ragge
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"Flugzeug-Gymnastiker" nannte er sich: Oskar Dimpfel nach der Landung. Von seinen Vorführungen beim "Mannheimer Großflugtag" 1927 gibt es beim Stadtarchiv einen Film, der aber digitalisiert werden muss, um ihn zu erhalten.

© Stadtarchiv

Mannheim. Beim Zuschauen bekommt man fast Zahnweh. Denn der Mann hängt, auch wenn es unfassbar klingt, nur an seinem Gebiss unter einem Flugzeug. Die atemberaubende Show des mutigen Mannheimer Akrobaten Oskar Dimpfel - sie ist die Sensation beim Mannheimer Großflugtag am 29. Mai 1927. Und die Filmaufnahmen davon sind ein weiteres Beispiel, welche ungewöhnlichen Filmschätze im Archiv des Stadtarchivs schlummern und unbedingt digitalisiert werden müssen, um sie vor dem Verfall zu retten.

Die "Badisch-Pfälzische Lufthansa" hat eingeladen an jenem Tag, es gibt den Start eines Freiballons, Luftkämpfe, Loopings, Vorführungen von Segelfliegern und der "Himmelsschrift-Reklame", dazu Fallschirmabsprünge, das alles für 1,50 Mark Eintritt - auf dem "ersten Platz". Wer weiter hinten steht, zahlt nur 50 Pfennige.

Bei einem Programmpunkt aber starren, so heißt es in Chroniken von damals, 50 000 Zuschauer gebannt in die Luft. Es ist die, wie er es nennt, "Flugzeug-Gymnastik" von Oskar Dimpfel. Er hält sich allein mit seinem starken Gebiss in über 500 Metern Höhe freihängend an einem Trapez unter einem Doppeldecker fest, der knatternd über Neuostheim fliegt. Es ist ein "Pelikan" der Flugzeugwerke Raab-Katzenstein-Pelikan. Am Steuerknüppel: der Darmstädter Kriegs- und Kunstflieger Hauptmann Friedrich Jährling. Mit ihm hat Dimpfel schon auf dem Flugplatz Kassel Ende März geprobt. Nun turnt er wieder mutig an dem Gestell, an Ringen und Seilen herum. Der Höhepunkt ist dann, dass er sich bis auf das Trikot die Kleider auszieht, sie zu Boden wirft, während er weiter nur mit den Zähnen in schwindelnder Höhe am Flugzeug hängt. Jahre später beschreibt er es so: "Von 1914 bis 1936, also volle 22 Jahre, arbeitete ich mit meinen Zähnen". Der damalige Leiter des Mannheimer Flugplatzes und der "Badisch-Pfälzischen Lufthansa", Major Gratz, fördert ihn.

Oskar Dimpfel wurde am 17. Februar 1897 in Durlach als Sohn des Schlossers August Dimpfel und dessen Ehefrau Karoline geboren. Da die Familie am 22. Juli 1897 bereits von Durlach nach Mannheim in die Keplerstraße 13 zog, kann man Oskar Dimpfel "zu Recht als Mannheimer bezeichnen", so das Stadtarchiv. Dimpfel besuchte in Mannheim die Volksschule, absolvierte eine Lehre als Werkzeugschlosser und ging auf die Gewerbeschule in C 6. Als Mitglied des Mannheimer Turnvereins und im Athleten- und Artisten-Klub galt seine Leidenschaft aber ganz der Akrobatik. Im Ersten Weltkrieg verwundet, machte er in den 1920er Jahren aus seiner Passion einen Beruf, nahm an Flugtagen im In-und Ausland teil.

Mit seiner spektakulären Flugzeug-Nummer, die er am beim Großflugtag 1927 erstmals präsentierte, gelang ihm aber der Durchbruch als international gefeierter "Held der Lüfte".

Von den Nazis verfolgt

Sein Siegeszug wurde von den Nationalsozialisten durchkreuzt: 1935 durfte er wegen vermeintlichen "Landes- und Hochverrats" seinen Beruf nicht länger ausüben. Hermann Göhring, der Reichs-Luftfahrtminister persönlich, soll das Verbot ausgesprochen haben. Schon im Visier der Gestapo, beschloss Dimpfel 1936 kurzerhand zu fliehen: Mit seinem eigentlich bereits beschlagnahmten Sportflugzeug flog er auf direktem Weg in die Niederlande. Doch auch dort war er nicht sicher: Er wurde mehrfach verhaftet und als "politischer Häftling" im November 1941 schließlich im KZ Sachsenhausen interniert. 1943 gelang ihm die endgültige Emigration nach Belgien. Dort lebte er bis zu seinem Tod. Auf seinem Briefkopf schrieb er stets "Flugzeug-Gymnastiker a. D.".

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"Filmschätze retten": „Flugzeug-Gymnastik“ von Oskar Dimpfel beim Mannheimer Flugtag 1927

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