Mannheim. Fürs Spazierengehen bezahlen? Das kann sich lange keiner vorstellen. Bürger wie Kommunalpolitiker sind sich da einig. Aber dann bekennt Oberbürgermeister Ludwig Ratzel (SPD): „Ich weiß, dass ich nicht der einzige Mannheimer bin, der aus einem Saulus zum Paulus wird.“
Denn vor genau 50 Jahren startet die Lokalredaktion des „MM“ eine Umfrage, und das Ergebnis ist so überraschend wie eindeutig. Die große Mehrheit, nämlich 83 Prozent, sprechen sich dafür aus, dass die Stadtparks auch nach Ende der Bundesgartenschau 1975 eingezäunt bleiben und Eintritt kosten – so wie es bis heute ist.
Das ist anders geplant, anders verabredet. Als die Umbauarbeiten im Luisenpark und im Herzogenriedpark beginnen und sie eingezäunt werden, macht die Stadt die klare Zusage, dass nach dem sommerlangen Fest die Zäune fallen und die Kassenhäuschen wieder verschwinden. Das ist Konsens im Rathaus und im Gemeinderat sowie die klare Erwartung der Bürger.
Mannheims erste Bundesgartenschau entfacht große Euphorie
Aber dann kommt das Jahr 1975. Durch die Bundesgartenschau und all die positiven Veränderungen in der Stadt (Fußgängerzone Planken, Rosengarten erweitert, Fernmeldeturm und Collini-Center errichtet) erfasst die Mannheimer eine unglaubliche Euphorie. Mit der Eröffnung der Bundesgartenschau am 18. April blühen plötzlich nicht nur 30.000 Tulpen auf, sondern gefühlt die ganze Stadt.
Es beginnt ein 185 Tage währender, grandioser Sommer. In Luisen- und Herzogenriedpark gibt es in einem halben Jahr 1500 Veranstaltungen. Für Kinder waren die vielen Spielplätze ein Paradies. Alle Generationen freuen sich an der bezaubernden Blumenpracht und staunen stolz, dass lange vor Erfindung des Werbeslogans „Magnet Mannheim“ ihre Stadt wie ein Magnet wirkte. Insgesamt kommen an 185 Tagen 8,1 Millionen Besucher – so viel wie noch nie und nie mehr bei einer Bundesgartenschau.
Im Sommer sind erste Andeutungen der Stadtverwaltung („Wir erwägen das derzeit“) zu vernehmen, dass man darüber nachdenkt, zumindest am Luisenpark die Zäune zu lassen. Werner Haas, mit Karl Eisenhuth Geschäftsführer der Bundesgartenschau, bekennt offen, dass man bei den Planungen die Zeit nach dem Fest nicht zu Ende gedacht hat. „Es sind nicht mehr die gleichen Parks. Bei ihrem heutigen Ausbau-Niveau können sie nicht ungeschützt ihrem Schicksal überlassen werden“, argumentiert er im August. „Was nichts kostet, ist nichts wert“, plädiert er dafür, weiter Eintritt zu verlangen.
Nach der Buga in Mannheim: Sollen die Mannheimer Parks wieder komplett öffnen?
Die im Aufsichtsrat der Bundesgartenschau-Gesellschaft sitzenden Stadträte unternehmen daher mit der Geschäftsführung Wochenendtrips in Städte, die zuvor Gartenschauen ausgerichtet haben, und fragen nach den Erfahrungen. Dortmund und Essen (Grugapark) verlangen weiter Eintritt, andere schließen abends den Zaun, aber kassieren tagsüber nichts (Hamburg), während etwa Köln sein früheres Gartenschaugelände wieder ganz freigegeben – aber auch weitgehend freigeräumt hat.
Wenn man in Mannheim wieder ganz öffne, sei „nach einem Jahr nicht mehr so viel übrig“, warnt Haas angesichts neuer Spielplätze, Freizeithaus, Gondoletta, Weinstube und Toiletten. Diese Investitionen sollten nicht nur für einen Sommer sein.
Daraufhin ergreift der „MM“ die Initiative. Er veröffentlicht einen Coupon, zum Ausschneiden. Man muss ihn auf eine Postkarte kleben oder in einen Umschlag stecken, seinen Namen angeben, das Ganze frankieren und zum Briefkasten bringen. Es gibt ja noch keine Computer, kein E-Mail, nicht mal Fax.
Das zwölf auf zwölf Zentimeter große Stück Papier löst, so der „MM“ damals, „eine Lawine“ aus. „Das Echo übertrifft alle Erwartungen“, schreibt „MM“-Redakteur MacBarchet, der die Aktion initiiert hat, damals. Er berichtet über „Körbe von Post“ und rechnet vor, dass die Post allein durch das Porto rund 6000 D-Mark verdient habe. 16.391 Leser beteiligen sich an der Umfrage „Was soll nach der Gartenschau werden?“ – bei einer vergleichbaren „MM“-Umfrage zum Wiederaufbau des Wasserturms 1956 waren es nur 4868 Leser.
Entscheidung fällt erst für zwei Jahre zur Probe
Die große Mehrheit, nämlich 13.605 Einsender oder 83 Prozent, sprechen sich vor allem wegen der Furcht vor Vandalismus dafür aus, dass die Stadtparks eingezäunt bleiben und Eintritt kosten, auch das Hundeverbot beibehalten wird. Für offene Parks, ohne Zaun und ohne Eintritt, votierten nur 447 Leser – gerade mal 2,7 Prozent. Für zwar eingezäunte, abends abgeschlossene, tagsüber indes frei zugängliche Anlagen sprechen sich 2183 Einsender oder 13,3 Prozent aus. 83 Prozent wollen aber freiwillig Eintritt zahlen, gerne einen Beitrag zum Unterhalt leisten.
Dabei fragt der „MM“ seinerzeit nur nach dem Luisenpark. Im Herzogenried scheint es lange Konsens, dass der Neckarstädter Stadtteilpark wieder für alle geöffnet wird. Aber dagegen gibt es kräftigen Widerspruch. Beide Parks müssten gleichbehandelt werden, die Neckarstadt wolle nicht „zweitklassig“ sein, so das Votum der Leser. Und generell wollen die Mannheimer nicht, dass „für nur einen Sommer Millionen in die Parks gepumpt werden und danach ist alles für die Katz“, wie es in einem „MM“-Artikel hieß.
Die CDU äußert daraufhin Sympathie für Eintritt nur im Luisenpark, die SPD-Kreisdelegiertenkonferenz votiert für freien Eintritt. Aber es bildet sich eine Bürgerinitiative mit dem früheren OB Hans Reschke, „Weltraumprofessor“ Heinz Haber, Kammersängerin Anneliese Rothenberger, Feuerio-Präsident Franz Biedermann, Alt-Bundestrainer Seppl Herberger und vielen weiteren Prominenten. „Mannheim hat mit seiner Bundesgartenschau Vorbildliches geschaffen. Dies darf nicht wieder verloren gehen“, so ihr Appell.
Der Appell fruchtet. Im Oktober 1975 entscheidet im Gemeinderat eine klare Mehrheit von CDU, ML und einem Teil der SPD, zwei Jahre zur Probe Eintritt zu verlangen. Als für 1976 dann 49.000 Dauerkarten abgesetzt werden, sind auch letzte Zweifler überzeugt. 1977 fällt dann die Entscheidung noch klarer aus, 44 von 48 Stadträten stimmen für die Regel, die bis heute Bestand hat.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Mannheims Bürgern sind ihre Stadtparks etwas wert – das ist klar