Mannheim. Zwei Sicherheitsschleusen und eine Polizeibegleitung bis zur Türschwelle, dann steht man mitten im Büro von Peter Oechsler. Vom neuen Leiter des Innenstadt-Reviers fehlt aber für wenige Minuten jede Spur – dabei gibt es viele Fragen an den 41-Jährigen. Allen voran: Was bewegt einen Polizeioberrat dazu, seinen Dienstsitz im beschaulichen Ladenburg ausgerechnet für die berühmt berüchtigte „H 4-Wache“ in der Mannheimer Innenstadt zu verlassen?
Schließlich liegt das Revier mitten in den Quadraten, ist zuständig für die Planken, Marktplatz, Paradeplatz, das Schloss sowie den Jungbusch samt Hafengebiet. Diejenigen, die hier täglich an die Tür klopfen, spiegeln die gesamte Stadtgesellschaft wider – deren Sorgen und Nöte. Auch der Kontakt zu den Religionsgemeinden spielt eine wichtige Rolle, Gotteshäuser wie die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee, die Synagoge oder die Citykirche Konkordien liegen im Einzugsgebiet. Es sind die Einsatzkräfte der H 4-Wache, die etwa die Synagoge bewachen oder ausrücken, wenn die Videoüberwachung an den Kriminalitätsschwerpunkten Ungewöhnliches entdeckt.
„Die H 4-Wache ist komplett anders als Ladenburg und genau das, was ich gesucht habe: Eine neue Herausforderung“, fasst Oechsler seine Gründe zusammen, nachdem er sich mit sportlicher Dynamik hinter seinen Schreibtisch gesetzt hat. Seit sechs Monaten leitet der 41-Jährige das Innenstadt-Revier.
So richtig angekommen sei er zwar noch nicht ganz. Eine Idee davon, was alles täglich auf ihn einstürmt, hat er schon: Wegen der hohen Anzahl an Einsätzen gilt sein neuer Dienstsitz als Brennpunktrevier. Mehr als 10 000 Einsätze, allein ausgelöst durch den Polizeinotruf, verbucht die H 4-Wache pro Jahr. Das sind 27 Einsätze am Tag. Obendrauf kommen noch Anliegen der „Laufkundschaft“ sowie direkte Anrufe beim Revier.
Das ist rund um die Uhr besetzt. Mehr als 4000 Anzeigen haben die Ordnungshüter im Vorjahr hier aufgenommen und 70 Prozent davon aufgeklärt. Zu den häufigsten Straftaten zählen Laden- und Fahrraddiebstahl, aber auch Fälschungsdelikte wie Kreditbetrug sowie Körperverletzung. Peter Oechsler stellt auch fest: Während der Lockdowns war die Stimmung in der Stadt gereizt. Begeisterung dafür, dass die Polizisten die Corona-Regeln durchsetzen, schlage den Beamten selten entgegen.
Wirklich überrascht hat den Polizeioberrat bis auf die hohe Schlagzahl an Einsätzen bislang wenig. Offenbar scheint den Familienvater, der im Landkreis Karlsruhe wohnt, nur wenig aus der Fassung zu bringen. Das könnte daran liegen, dass er Konfrontationen in brenzligen Situationen nicht scheut, schließlich hat Oechsler nach seinem ersten Job bei der Verkehrspolizei viele Großeinsätze miterlebt: 13 Jahre lang eingesetzt bei den Spezialeinheiten der Polizei Baden-Württemberg hat er etwa Castortransporte bewacht, war beim G 8-Gipfel in Heiligendamm 2007 sowie beim Natogipfel 2009 in Straßburg im Einsatz und hat beim Besuch von Papst Benedikt XVI. 2011 in Freiburg für Sicherheit gesorgt. Bis heute ist der 41-Jährige gerne bei Großeinsätzen dabei, auch in Mannheim. Hier führt er im Wechsel zusätzlich die sogenannten Hundertschaften des Polizeipräsidiums, die bei Großlagen ausrücken.
Bleibt also festzuhalten: Gerade die Abwechslung reizt den gebürtigen Heidelberger beruflich. Weshalb er auch kein Geheimnis daraus macht, dass die H 4-Wache nicht sein letzter Arbeitsplatz bleiben wird. Vielmehr will er – ähnlich wie in Ladenburg – das Revier so aufstellen, wie er es sich wünscht – und dann weiterziehen zur nächsten Herausforderung. Was das für die H 4-Wache bedeutet? „Das heißt nicht, alles auf den Kopf zu stellen, wir haben hier eine sehr eingespielte Truppe“. Wie gut ihm der Aufbau seines letzten Dienstsitz in vier Jahren gelungen ist, beweist das einzige Bild, dass Oechsler bislang in seinem Büro aufgehängt hat: ein sogenanntes Wimmelbild von Ladenburg, ein Geschenk von Bürgermeister Stefan Schmutz persönlich.
Das Geschenk ist für Oechsler ein Zeichen von Wertschätzung seiner Arbeit in der Römerstadt, wo oft ein direkter Anruf beim Bürgermeister den Dienstweg verkürzte. Zwar sind die Wege in der Stadt zum Einsatz deutlich kürzer als auf dem Land. Seinem anfänglichen Vorsatz, immer ansprechbar zu sein und aktiv auf die Menschen zugehen zu wollen, jage er aber mittlerweile hinterher, gibt Oechsler zu. Zwischen dem Austausch mit anderen Revierleitern, Lagebesprechungen zu Demos, Rundgang mit der Nachtschicht im Jungbusch und Besuchen im Gemeinderat bleibt kaum Zeit für Streifzüge durch die Innenstadt.
Was dem Schutzmann bei all den Aufgaben am wichtigsten ist? „Mich vor die Kollegen zu stellen, nicht dahinter“, sagt Oechsler überzeugt. Auch er kennt den dunklen Schatten, der seit dem Skandal in den 1990er Jahren auf der H 4-Wache liegt. Damals hatte eine Schicht von Beamten verhaftete Prostituierte zu sexuellen Handlungen gezwungen, Obdachlose misshandelt. Die Taten von Polizisten, die zu Straftätern wurden und die Wache deutschlandweit in Verruf brachte, bleiben im Polizeigedächtnis wohl unvergessen.
Heute, 30 Jahre später, findet Oechsler, dass der Ruf der Wache längst nicht mehr gerecht wird, sei Mannheim ein angesehener Dienstort. Dass der Großteil seiner Truppe aus 95 Beamten nicht älter als 26 Jahre ist, sieht Oechsler als Vorteil, die Motivation sei hoch. Ein weiterer Pluspunkt: Weil manche selbst aus Einwandererfamilien stammen, können sie Sprachbarrieren auf der Straße leicht überwinden, egal ob in Türkisch, Polnisch oder Bulgarisch – aus Oechslers Sicht eine extrem wertvolle Eigenschaft in einer Stadt wie Mannheim.
Schönreden will der H 4-Chef den Einsatz im Brennpunktrevier aber nicht. Schließlich hatte die Aufklärungsarbeit nach dem Skandal Führungskräfte dafür sensibilisiert, dass die ständige Arbeit in Brennpunkten so manchen verroht und stark belastet. Daher liegt es wohl in der Natur der Sache, dass jeder H 4-Wache-Leiter besonders auf seine Mannschaft achtet – Oechsler ist da keine Ausnahme.
Nicht selten würden seine Beamten mal zu einem Hilfseinsatz für eine Seniorin gerufen, danach zum Verkehrsunfall und müssten im Anschluss eine Messerstecherei entschärfen. „Da muss man drauf achten, dass der Ton unter den Kollegen nicht rauer wird, sich Stereotypen nicht verfestigen“, sagt Oechsler.
In seinen Reihen, egal ob persönlich oder in Chatgruppen, duldet der Polizist kein rechtes Gedankengut. Und verlangt von seinen Einsatzkräften, respektvoll mit den Mannheimerinnen und Mannheimern umzugehen, so zu sprechen, dass sie verstanden werden. „Und aufs Duzen zu verzichten, um Distanz zu wahren.“
Was auf den Straßen und in seinem Revier so passiert, darüber ist Oechsler immer informiert – weil er seine Einsatzleiter angewiesen hat, ihn über die Lage aktuell zu halten, auch am Wochenende. Also ein 24-Stunden-Job, oder? „Na ja, das ist für die meisten von uns kein Beruf, sondern Berufung“, hebt Peter Oechsler hervor.
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