Bundestagswahl

Unterwegs in Mannheimer Wahllokalen: Unentschlossenheit bis zur letzten Minute

Die Qual der Wahl war selten so groß wie bei dieser Bundestagswahl. Das sagen auch viele Wählerinnen und Wähler in den Mannheimer Wahllokalen.

Von 
Kilian Harmening
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Zwei Wahlkabinen mitten auf der Verkaufsfläche: Auf dem Scharhof wurde erstmals bei ZG Raiffeisen gewählt. © Kilian Harmening

Mannheim. Es gibt Menschen, die der klaren Meinung sind: Das, was am 23. Februar 2025 passiert, ist die vielleicht wichtigste Wahl in unserem Leben. Diese Einschätzung teilt die Seniorin Inge Daubmann. Sie erlebte bereits viele Bundestagswahlen. „Wer weiß, was kommt, oder? Heute Abend wissen wir mehr“, äußert sie am Sonntagvormittag. Kurz danach gibt sie in ihrem Wahllokal in der Neckarstadt-Ost ihre Stimme ab.

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Marco Pecht
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Die größte Sorge bereitet ihr das Abstimmungsverhalten der Menschen und ein Erstarken der AfD – aber auch die ohnehin komplizierte und sich als langwierig anbahnende Regierungsbildung. Daubmann steht vor der Käthe-Kollwitz-Grundschule im Herzogenried. In diesem Wahllokal fuhr die AfD bereits bei der Bundestagswahl 2017 mit 19,7 Prozent aller Zweitstimmen eines ihrer stärksten Ergebnisse in den Mannheimer Stadtteilen ein.

Stimmungslage in Mannheim: Gespannt, nicht so gut, ganz normaler Tag

Viele Wähler sind am Sonntagvormittag bereit, dem „MM“ gegenüber kurz ihre Gefühlslage zu schildern. Gespannt, nicht so gut, ganz normaler Tag – die Eindrücke am Wahlsonntag sind unterschiedlich. Viele andere lehnen ein Gespräch ab. „Ich will heute nichts sagen“, sagt eine Frau mit russischem Akzent. „Das wissen Sie ja selbst, dass es nicht mehr so schön ist wie früher“, wirft ein anderer Mann im Vorbeigehen ein. „Aber Wahltag ist gut.“ Welches Ergebnis er sich erhofft? „Möchte ich mich nicht äußern, Entschuldigung“, entgegnet er leicht schmunzelnd und läuft davon.

Betritt man das Wahllokal, blicken einem Pinnwände und viele Zahlen entgegen. „Zu den Wahlräumen“, zeigen Pfeile in zwei entgegengesetzte Richtungen. Um 10.45 Uhr stehen bereits nicht wenige Menschen Schlange, die meisten Wahlhelfer sind dauerbeschäftigt. Kirchzeit, erklärt es der Wahlvorsteher im Bezirk.

Viele Zahlen und Informationen sind eine Herausforderung in Mannheimer Wahllokalen

Ruhige Abläufe, gewöhnliche Stimmung. „Der ein oder andere hat eine Frage, die kriegt er erklärt, es wird niemand weggeschickt“, erläutert der Beamte. Neben ihm macht eine Gruppe von Frauen auf sich aufmerksam. Sie suchen hektisch den richtigen Raum zum Wählen und verirren sich an einem Aushang, der die Raumverteilung der Grundschule erklärt. „Klasse 1a“, „1b“, „1c“, prangert an der Wand.

„Geht das nach A, B, C oder was?“, wundert sich eine der Frauen, die sich später im Gespräch als solche entpuppen, die die Meinungsfreiheit in Deutschland anzweifeln. „So geht das nicht. Das hat überhaupt nix damit zu tun!“, muss der Wahlvorsteher sie zurechtweisen und ihr den richtigen Weg zeigen. „Ganz nach da hinten?“, entgegnet die Frau und seufzt.

Die Wahlhelfer an der Johannes-Kepler-Schule stehen bereit, um Fragen zu beantworten. © Kilian Harmening

Zu den Herausforderungen äußert der Wahlvorsteher: „Das ist das Einzige, das Organisatorische.“ Die vielen Zahlen und vielen Informationen auf der Wahlbenachrichtigung würden einige nicht verstehen. „Das ist so, aber dafür gibt es ja uns als Ansprechpartner.“

„Darf man sagen, wen man absolut nicht wählt? Ich würde auf jeden Fall nicht wollen, dass die AfD an die Macht kommt“, bringt die alleinerziehende Altenpflegerin Jessica Schadt ihre Sorgen zur Sprache. „Ich hoffe, dass eine kleine Wende stattfindet“, blickt sie zuversichtlich auf ein mögliches Wahlergebnis. „Aber am Positivsten für uns alle, dass Demokratie gelebt werden kann.“

Viel Betrieb herrschte in einem Wahllokal in der Mannheimer Innenstadt

Viel Betrieb herrscht um 12 Uhr auch an der Johannes-Kepler-Schule in den Quadraten, an der Bürger aus drei Mannheimer Wahlbezirken ihre Stimme abgeben. Die Wahlhelfer eines der drei Bezirke teilen mit: Knapp 280 von 1400 Wahlberechtigten haben den Vormittag über bereits ihre zwei Kreuze gesetzt. Diese Wahlbeteiligung sei für die Uhrzeit vergleichbar mit vergangenen Bundestagswahlen. Üblich ist, dass nachmittags die meisten Wähler kommen.

Schwer fiel die Wahlentscheidung einigen. „Ich weiß immer noch nicht, wen ich wähle, ich entscheide es wirklich kurz davor“, sagt Heike Katzenberger auf dem Schulhof, während sie den Eingang des Wahllokals anvisiert. „Sehr unentschlossen und die Stimmung ist nicht so geil“, ergänzt sie.

Wählerin Heike Katzenberger ist bis kurz vor der Wahl unentschlossen. © Kilian Harmening

Einfluss auf ihre Entscheidung hat auch die neueste Wahlrechtsreform: Künftig wird der Bundestag genau 630 Abgeordnete zählen – deutlich weniger als die derzeit 733. Ausgleichs- und Überhangmandate entfallen vollständig. Neu ist zudem, dass Direktkandidaten trotz Wahlsiegs in ihrem Wahlkreis nicht automatisch ins Parlament einziehen. Entscheidend bleibt die Zweitstimme: Gewinnt eine Partei mehr Direktmandate, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis proportional Sitze zustehen, ziehen die Direktkandidaten mit den schwächsten Ergebnissen dennoch nicht in den Bundestag ein.

Für Heike Katzenberger bedeutet das: „Ich wähle eher eine Partei, die ich nicht gewählt hätte wegen einer Kandidatin, wenn überhaupt.“ Ihre Hoffnung? „Keine CDU und keine AfD, aber das ist sehr unwahrscheinlich.“

Hoffnung auf Fortschritte in der Wirtschafts- und Sozialpolitik

„Auf der einen Seite gelassen, auf der anderen Seite nervt es mich, was auf der Welt los ist“, beschreibt Wähler Uwe Groß seine Stimmung. „Ich hoffe, dass jetzt Leute zusammenarbeiten, egal welcher Partei, die ein bisschen etwas voranbringen.“ Groß wünscht sich den Beschluss neuer Gesetze und Fortschritte bei Wirtschaft und Sozialem. Seine größten Sorgen seien, dass es mit Deutschland bergab gehe oder ein weiterer Krieg in Europa ausbreche. An die demokratischen Parteien hat er eine klare Forderung: Sich mehr zu bewegen. Dabei stellt er klar: „Ich würde niemals die AfD wählen“.

Uwe Groß sagt "Ich würde niemals die AfD wählen." © Kilian Harmening

Eine unangenehme Überraschung erlebten einige Seniorinnen und Senioren bei der persönlichen Stimmabgabe in der Johann-Peter-Hebel-Grundschule in Neuostheim, wie Bezirksbeirat Aljoscha Kertesz mitteilte. Dort war einer der Wahlräume in den ersten Stock verlegt worden, die Benutzung des vorhandenen Fahrstuhls sei nicht möglich gewesen, da dieser offenbar defekt war.

Auch an etwas ungewöhnlicheren Orten wählten die Mannheimer am Sonntag. Auf dem Scharhof wurde das Wahllokal erstmals im Eingangsbereich eines Fachmarkts für Landwirtschaft eingerichtet: Bei der Raiffeisen Mannheim. Hintergrund ist die Sanierung des dortigen Gemeindezentrums.

Das Verantwortungsbewusstsein der Wähler im Mannheimer Norden schmälerte es nicht, neben Werbeschildern für einen Weber-Grill für einen möglichen Politikwechsel zu stimmen: „Ich gehe von mir aus auch in einem Container wählen“, sagt Lukas Heusel. Seine Partnerin Julia Kneiß bringt auf den Punkt, warum ihr die Wahl ein Herzensanliegen ist: „Um sich hinterher nicht beschweren zu können, dass man es nicht getan hätte. Und über die Entscheidungen, die zukünftig getroffen werden.“

Freier Autor

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