Mannheim. „Nein, ich musste nicht groß überlegen“, sagt Ingrid Heinzmann-Groth und fügt hinzu: „Ich bin gern auf der Welt und möchte meine beiden Enkelkinder so lange es geht erleben.“ Die 67-Jährige hat im Universitätsklinikum die tausendste Stammzelltransplantation erhalten.
Drei Jahrzehnte ist es her, dass im damals ausgelagerten Waldhof-Domizil der „III. Med.“ eine solche Übertragung erstmals in Mannheim erfolgte – seinerzeit mit Eigenzellen des Patienten. Die erste allogene Transplantation mit gespendeten fremden Zellen sollte im Klinikum 2010 kommen. Eine Erfolgsgeschichte. Bei den inzwischen 60 bis 70 Übertragungen jährlich wird dieses Verfahren besonders häufig angewandt.
Als die Mittsechzigerin vor zweieinhalb Wochen mit der Journalistin ein Gespräch führt, hat sie die Infusion mit dem gesunden Blutzellgemisch gerade einen Tag hinter sich. Heinzmann-Groth erzählt, dass sie sich bereits jahrelang angeschlagen gefühlt hatte, als ihr 2013 beim Schwimmen im See bedrohlich die Luft wegblieb. Die spätere Diagnose sei für sie „ganz schlimm“ und „so gar nicht greifbar“ gewesen. Es sollte sich eine Kombination von zwei seltenen Krankheiten, einer Mastozytose mit Myelofibrose, herausstellen.
Oberarzt Stefan Klein, der den Bereich Transplantation von Knochenmark und Stammzellen leitet, erläutert: Dieser chronisch leukämieartige Prozess führt zunehmend zu einer Verfaserung des Knochenmarks, was die Blutbildung bis hin zu deren kompletten Verlust beeinträchtigt – mit dem Risiko eines Übergangs in eine akute Leukämie (im Volksmund Blutkrebs genannt). Zunächst ist Heinzmann-Groth an einem hochspezialisierten Zentrum der „III. Med.“ medikamentös behandelt worden. Aber dann rutschte das Krankheitsgeschehen in „einen anderen Zustand“. Glücklicherweise gelang es innerhalb von sechs Wochen, eine junge Spenderin mit passenden Gewebemerkmalen zu finden. „Ein Riesengeschenk, für das ich dankbar bin“, kommentiert die Patientin.
Im Krankenhauszimmer: Fahrrad-Ergometer, Hanteln und Therabändern gegen den Muskelabbau
Es folgte „die ausführliche Vorbereitung“: Die Mittsechzigerin wurde von Kopf bis Fuß untersucht, um eventuell schlummernde Infektionsherde auszuschließen. In dieser Phase spiele „Reden über alles Mögliche“ eine wichtige Rolle, betont Klein. Bei der anschließenden „Konditionierung“ orientieren sich die Zusammensetzung der Chemo und die Art der Bestrahlung beziehungsweise Antikörpertherapie an der jeweiligen Erkrankung sowie dem Patientenalter.
Heinzmann-Groth bekam zusätzlich eine besondere Bestrahlung der Milz, weil diese auf die Größe einer länglichen Melone angewachsen war. Auch wenn die „Konditionierung“ individuell festgelegt wird, geht es grundsätzlich darum, bösartige Blutzellen weitgehend zu zerstören und Abstoßungsattacken gegen gespendete Blutstammzellen zu verhindern.
Ich bin gern auf der Welt und möchte meine beiden Enkelkinder so lange es geht erleben.
Die eigentliche Transplantation gespendeter Stammzellen läuft eher unspektakulär ab – vergleichbar einer Bluttransfusion. Hingegen fordert jenes Zeitfenster heraus, in dem das bisherige Immunsystem nicht mehr und das neue noch nicht richtig funktioniert – mit dem Risiko, dass sich Bakterien, Viren und Pilze ungehindert ausbreiten können.
Deshalb ist es so immens wichtig, dass die Station „9-3“ größtmöglichen Schutz vor Erregern bietet. Als der Neubau 2017 eröffnet wurde, setzte dieser mit seinem innovativen Keim-Sicherheitskozept, das Luft und Leitungswasser nebst Abwasser einbezieht, international Maßstäbe. Und damit sich Betroffene auch bei langer isolierter Unterbringung fit halten können, sind die acht Einzelzimmer neben Überwachungstechnik mit Fahrrad-Ergometer, Hanteln und Therabändern für ein individuelles Training gegen Muskelabbau ausgestattet, das Physiotherapeuten unterstützen.
Universitätsklinikum Mannheim: „Oberflächen-Tarnkappe“ kann Immunsystem austricksen
Erfreulicherweise sind bei Heinzmann-Groth in der kritischen Infektionsphase keine Komplikationen aufgetreten und gespendete Stammzellen im Knochenmark messbar „angewachsen“. Deshalb darf die Patientin rechtzeitig zu ihrem Geburtstag nach Hause – natürlich mit engmaschiger Nachsorge. Die Mittsechzigerin weiß sehr wohl, dass viel geschafft ist – aber noch nicht alles. Als „größter Feind“, so Klein, gilt ein Rückfall. Denn manchmal schaffen es verbliebene bösartige Blutzellen, unterm Radar des neuen Immunsystems zu agieren – beispielsweise aufgrund einer „Oberflächen-Tarnkappe“. Das Risiko für ein Rezidiv liegt laut Studien bei etwa 20 Prozent.
Zu den gefürchteten Herausforderungen zählt die „Spender gegen Empfänger“-Reaktion. „Die war dieser Tage auch großes Thema bei einem internationalen Fachkongress in Florenz“, berichtet Oberarzt Klein. Hintergrund: Im Transplantat enthaltene Abwehrzellen des Spenders nehmen bestimmte Gewebemerkmale des Empfängers als „fremd“ wahr und versuchen, diese vermeintlichen Eindringlinge zu vernichten. Inzwischen gibt es aber Bekämpfungsstrategien. Die Mannheimer Universitätsmedizin setzt beispielsweise auf Blutwäsche mithilfe von ultraviolettem Licht. Stefan Klein: „Hier tut sich medizinisch gerade sehr viel.“
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