Mannheim. Er macht wehmütig, melancholisch, vielleicht sogar traurig oder richtig wütend. In jedem Fall wird er sicher viele Emotionen auslösen: Der Verein Stadtbild hat jetzt einen Kalender „Das Alte Kaufhaus am Paradeplatz im Herzen von Mannheim“ mit vielen noch nie oder selten veröffentlichten Bildern herausgegeben – als Erinnerung an alte barocke Baupracht, aber auch als Vorausschau, was werden könnte.
Geradezu spektakulär ist eine Fotomontage, die Manfred Bender extra angefertigt hat – als Kalenderblatt für den Dezember. Es zeigt das historische Alte Kaufhaus, eingebettet in die heutige Szenerie des Paradeplatzes. Und siehe da: Es passt!
Nun ist unklar, ob sich das so jemals realisieren lässt. Aber zumindest hat Oberbürgermeister Peter Kurz mal zugesagt, ein Neubau auf dem Quadrat N 1 müsse in jedem Fall „eine historische Anmutung“ haben. Das allerdings war zu einem Zeitpunkt, als man bei der Stadt – der die Hälfte des jetzigen Gebäudes gehört – wie auch den privaten Miteigentümern ganz offen mit einem Abbruch sympathisierte, weil eine Sanierung „nicht wirtschaftlich und zweckmäßig“ sei. Im Juni verkündete aber das Landesdenkmalamt, das Stadthaus sei ein „exemplarisches Bauwerk der Postmoderne“ und daher schützenswert. Seither wird hinter den Kulissen heftig darum gerungen und das Ganze wohl irgendwann juristisch geklärt.
Zentrale der Sänftenträger
Wer die historischen Aufnahmen von N 1 in dem Kalender sieht, wundert sich, dass die alte Anmutung nie als schützenswert angesehen wurde. Nun hatte sich der Verein Stadtbild zwar schon länger für das Jahr 2022 das Kalendermotiv „Altes Kaufhaus“ vorgenommen. Nun sei das Projekt indes „zeitlich wie inhaltlich überraschend zu einer Punktlandung geworden“, freut sich Vorsitzende Helen Heberer, „denn es ist davon auszugehen, dass im kommenden Jahr die Diskussion über die Entwicklung in N 1 wieder einen großen Stellenwert in der Stadtgesellschaft einnehmen wird“. Da sei es doch gut, „wenn man dann in unserem Kalender viel Schönes und Informatives zur Geschichte dieses stadtprägenden Bauwerks entdecken kann“.
Zu verdanken ist das alles ihrem Stellvertreter Volker Keller. Er hat aus zahlreichen Archiven und aus Privatbesitz beeindruckende Fotos zusammengetragen und die einzelnen Kalenderblätter mit Fakten und Daten zur Baugeschichte versehen.
So erfährt man, dass Kurfürst Carl Philipp 1724 – als das Schloss noch im Bau war – den Befehl zum Bau des Kaufhauses gab, weil er seine neue Residenz nach dem Vorbild von Frankfurt oder Leipzig zum großen Handels- und Umschlagplatz ausbauen wollte. Dazu verpflichtete er den damals besten Baumeister der Kurpfalz, der auch am Schloss arbeitete: Alessandro Galli di Bibiena. Für die Skulpturen sorgte Hofbildhauer Paul Egell. Im 18. Jahrhundert war das Gebäude dann Lager und Handelshaus, Standort der Mehlwaage und das „Portechaisenlokal“ – sprich die Zentrale der Sänftenträger.
Im 20. Jahrhundert wandelte sich das Gebäude zum Rathaus. Richard Perrey, damals Chef des städtischen Hochbauamtes, leitete den von 1904 bis 1910 dauernden Umbau, der alte barocke Elemente mit dem nun üblichen Jugendstil verband. Der Handelsgott Merkur im Treppenhaus erinnerte noch an die alte Funktion, und in den Arkaden gab es zahlreiche Geschäfte. Reich verziert und prächtig ausgestattet dominierten in dem Gebäude aber nun der Stadtratssaal, das Großherzogliche Hofgericht, das Büro des Oberbürgermeisters, Behörden. Die Innenaufnahmen von damals, weitgehend unbekannt, sind beeindruckend. Im Zweiten Weltkrieg fiel fast alles in der Nacht vom 5. auf den 6. September 1943 alliierten Bombern zum Opfer – aber nicht alles. Der mächtige Turm blieb weitgehend erhalten, erhielt ein Notdach und wurde erst 1965 abgerissen. Auch in die Arkaden zogen gleich nach dem Krieg wieder Geschäfte ein. Aber man wollte alte Gebäude damals nicht mehr. Beim Abbruch haben städtische Arbeiter zwar den prachtvollen Rokokoschmuck des Giebels nummeriert, abgetragen und gesichert, andere Gebäudezier landete aber auf Schuttbergen oder in Privatbesitz, darunter das große kurfürstliche Wappen. Die Figur des Heiligen Chrysostomus, die an der Ecke Richtung Schloss stand, befindet sich in den Reiss-Engelhorn-Museen.
Verbittert über Bürgerentscheid
Aber obwohl es zwei Architektenwettbewerbe gab und jeweils Sieger gekürt wurden, scheiterten zwei Neubauversuche in den 1960er und 1970er Jahren – sonst stünde da jetzt zum Beispiel ein Betonhochhaus wie das Rathaus in Kaiserslautern.
Aus dem dritten Architektenwettbewerb gingen 1986 die Architekten Carlfried Mutschler, Joachim Langner, Christine Maurer und Ludwig Schwöbel als Sieger hervor. Bei einem Bürgerentscheid votierten zwar 53 340 Mannheimer dafür, statt einer modernen Architektur das historische Alte Kaufhaus wieder zu errichten. Das entsprach über 83 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen, aber nur 26,2 Prozent aller insgesamt Stimmberechtigten. Weil 7000 Stimmen fehlten, wurde das vom Landesgesetz vorgegebene (inzwischen herabgesetzte) Quorum von 30 Prozent aller Stimmberechtigten verfehlt. So sei dann ein Bauwerk verwirklicht worden, „für das sich keine ganze sechs Prozent der Mannheimer ausgesprochen haben“, beklagt Volker Keller verbittert und macht deutlich, dass N 1 nicht nur eine städtebauliche Wunde, sondern auch nach wie vor eine Wunde im Herzen der Freunde des historischen Stadtbilds ist.
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