Integration

Ukrainische Geflüchtete bei der RNV in Mannheim: „Wir sind gewohnt zu arbeiten“

In Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Mannheim beschäftigt die RNV Geflüchtete aus der Ukraine in Kontrolle, Werkstatt und Verwaltung. Nun haben Verkehrsbetriebe und Jobcenter eine ersten Bilanz des Projekts gezogen

Von 
Sebastian Koch
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Haben bei der RNV eine berufliche Perspektive gefunden: Yevhen Shebanyts (v.l.), Tetiana Riabukha sowie das Ehepaar Viktor und Olena Koshel. © Sebastian Koch

Als Olena Koshel noch in der Ukraine gelebt hat, als dort noch keine Bomben auch auf Schulen gefallen sind und als noch nicht täglich Menschen im Krieg getötet worden sind, war sie Lehrerin. Gemeinsam mit ihrem Mann Viktor hat sie wohl ein schönes Leben im inzwischen völlig zerstörten Mariupol geführt. Ein Leben, das sie auch vor dem 24. Februar 2022 mal nach Deutschland verschlagen hat – „als Touristen“, wie sie an diesem Vormittag im Verwaltungsgebäude der Rhein-Neckar-Verkehr GmbH (RNV) mit einem Lachen betonen. Heute leben sie in Mannheim. Die Wirren des Kriegs haben sie hierher verschlagen – wie viele ihrer Landsleute.

Gemeinsam mit Tetiana Riabukha im Vertrieb und Yevhen Shebanyts in der Werkstatt gehört das Ehepaar Koshel zu den 22 geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainern, die die RNV im Rahmen des Projekts „Future Tram Ukraine“ beschäftigen, für zwei Jahre, mit der Perspektive eines unbefristeten Anschlussvertrags. Fünf Monate nach Projektstart ziehen RNV und das Jobcenter – beide kooperieren – eine erste Bilanz. „Wir sind sehr zufrieden“, erklärt der Leiter der RNV-Personalabteilung, Steffen Grimm. „Unsere Erwartungen sind übertroffen.“ Auch der Geschäftsführer des Jobcenters, Carl Philipp Schöpe, spricht von einem „großartigen Erfolg“, der zeige, dass die Geflüchteten arbeiten wollten und die Nachfrage nach solchen Projekten hoch sei.

Anfang Mai hatten RNV und Jobcenter Ukrainerinnen und Ukrainer zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. 50 der etwa 140 Interessierten bekamen Einladungen für Vorstellungsgespräche – 22 davon haben ein sechswöchiges Praktikum absolviert und wurden nun mit einem Arbeitsvertrag ausgestattet. Bei Veranstaltungen mit arbeitslos Gemeldeten fielen die Erfolgsquoten viel geringer aus, sagt Grimm. „Die Motivation unter ukrainischen Geflüchteten ist deutlich höher.“

Kooperation besteht seit 2017

Mit dem Projekt möchten die Verkehrsbetriebe ihrer „sozialen Verantwortung“ nachkommen, sagt Grimm. Natürlich aber steckt auch die RNV in Zwängen. Etwas mehr als ein Viertel der Belegschaft wird in den kommenden Jahren verrentet – der demographische Wandel verbunden mit dem Fachkräftemangel ist zu spüren. „Das Projekt ist für beide Seiten eine Win-win-Situation.“

RNV und Jobcenter kooperieren seit Jahren. Im sogenannten Mannheimer Modell haben 2017 erstmals Geflüchtete aus dem arabischen Raum Chancen zum Berufseinstieg gehabt. Einige von ihnen, berichtet Grimm, gehörten heute zum Personal und seien „absolut zuverlässig“. Dennoch sei die Quote geringer als bei Geflüchteten aus der Ukraine.

Grimm ist sich der Situation bewusst: Endet der Krieg, könnten die gewonnenen Arbeitskräfte die RNV wieder Richtung Heimat verlassen. „Wir geben unser Bestmögliches, damit sie sich bei uns wohlfühlen.“ Man müsse aber Verständnis haben, wenn sich die Situationen verändern. Unter anderem hat die RNV im Zuge des Projekts eine ukrainisch- und russischsprechende Kraft in der Personalabteilung eingestellt.

„Es ist schön, dass ich mit Viktor zusammenarbeiten kann“, sagt Olena Koshel auf Deutsch. Beide tragen auch während des Gesprächs die typischen Uniformen der RNV, die man in Straßenbahnen sieht. Dort arbeiten die Koshels als Fahrkartenkontrolleure, lernen die Sprache in direkten Gesprächen.

Niedrigschwellige Angebote

Die Atmosphäre in der Dynamostraße wirkt gelöst – ja, es wird sogar gelacht. Etwa, als Viktor Koshel, der in seiner Heimat als Unternehmer gearbeitet hat, über erste Versuche erzählt, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Unter anderem ein Job als Hundegassi-Geher sei ihm angeboten worden, berichtet er amüsiert.

Immer wieder scheitern Anstellungen an fehlenden Dokumenten, erzählen die Vier. Olena und Viktor Koshel sind mit dem Nötigsten geflohen. „Wir haben unseren Pass, aber keine Zeugnisse.“ Die nachträglich zu beschaffen? Schwierig. „In Mariupol gibt es nichts mehr“, sagt Viktor, der sich mehrfach bei der Bundesrepublik für die Aufnahme und die Möglichkeit bedankt, Geld zu verdienen. „Wir sind gewohnt, zu arbeiten.“ Projekte wie „Future Tram Ukraine“ würden den „einfachen, schnellen Zugang zum Arbeitsmarkt“ ermöglichen und seien wichtig, weil man sich „nicht auf mögliche Probleme und Hürden, sondern auf Chancen und Möglichkeiten“ fokussiere, erklärt Schöpe.

Grimm betont die Vorteile für die Integration. So würden die Geflüchteten im Arbeitsalltag die Sprache lernen. „Wir müssen viel lernen, viele Fachbegriffe“, erklärt Shebanyts, der in der Werkstatt arbeitet. „Jeden Tag etwas Neues“, sagt er. „Man muss immer denken und Probleme lösen.“ Ob das nun ein wahnsinnig positives Licht auf die Flotte der RNV wirft, sei dahingestellt. Sheboryts jedenfalls, so scheint es, macht das Lösen der Probleme an den Straßenbahnen Spaß. In der Ukraine war der 36-Jährige Schlosser. Einige der dabei erlernten Fähigkeiten kann er nun wieder einbringen. Riabukha indes arbeitet in der Verwaltung. Sie hofft, sich und ihren elfjährigen Sohn demnächst eine eigene Wohnung finanzieren zu können.

Apropos Lernen: Das haben auch Viktor und Olena Koshel – bei mehr als 60 verschiedenen Ticket-Varianten allerdings war das durchaus eine Herausforderung. „Es war nicht leicht“, erzählt Olena – und lacht dabei. Die Mühe hat sich gelohnt.

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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