Stadtgeschichte - Persönliche Erinnerungen an den vor 25 Jahren gestorbenen „MM“-Mitgründer Karl Ackermann

Stets ein Kämpfer für die Freiheit: Erinnerungen an Karl Ackermann

Von 
Peter W. Ragge
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„MM“-Mitherausgeber Karl Ackermann (l.), hier beim Redaktionsbesuch von Ignatz Bubis, damals Vorsitzender vom Zentralrat der Juden, 1994. © Gudrun Keese

Wer ihn noch erleben durfte, mit ihm zusammenarbeiten konnte, der wird ihn nie vergessen. Vor 25 Jahren, am 20. Juni 1996, ist Karl Ackermann im Alter von 87 Jahren gestorben, der Mitgründer, langjährige Chefredakteur und Herausgeber des „Mannheimer Morgen“. Er war geachtete Respektsperson, ein Prinzipal der alten Schule, eine große Autorität, ohne jemals autoritär zu sein. Denn letztlich verstand er die Redaktion als seine Familie, sich als ihren gütigen Familienvater.

Großzügig, warmherzig, fürsorglich, mal mit ganz leisem, verschmitztem Humor ebenso wie enormer Hartnäckigkeit, mal streitbar, ja kämpferisch und stets unbeirrbar im Sinne der Freiheit – so bleibt er in Erinnerung. Als er 85 Jahre alt wird, beschenkt er die Mitarbeiter. Sie bekommen eine kleine Zeitungsente, die es aber in sich hat. Ein winziger Goldbarren ist darin – schließlich erleben Verleger in den Nachkriegsjahrzehnten goldene, heute längst vergangene Zeiten, in denen mit Zeitungen richtig viel Geld verdient wird. Er überreicht das Präsent persönlich, so wie er zum Jahresende durch die Gänge des Pressehauses am Marktplatz in R 1 läuft und allen Kollegen stets alles Gute wünscht, auch immer zu Geburtstagen gratuliert. Der Mann hat einfach Stil.

Wer etwa im Jahr 1988 als Jungredakteur eingestellt wird, muss zu ihm ins Zimmer. Auch wenn alle Formalitäten längst erledigt sind – Ackermann ist das erkennbar sehr wichtig. Ihn umgibt eine enorme, aber keinesfalls unangenehme Aura – er ist damals, Ende der 1980er Jahre, ja schon ein älterer Mann. Das enge, kleine Zimmer mit unzähligen Büchern und den alten Möbeln, Nierentischchen und abgewetztem Sofa, wirkt karg, nicht repräsentativ. Aber Ackermann wirkt durch Worte – und durch Zuhören. Er will reden, die Person wirklich kennenlernen, ist interessiert bis ins Detail – und bleibt das noch viele Jahre bei den Begegnungen auf dem Gang in R 1.

Der damalige Mitherausgeber überreicht dem Jungredakteur seine 1984 verfassten Erinnerungen – mit mechanischer Schreibmaschine getippt, kopiert, aber in dunkelblaues Leder gebunden. In ihnen schildert Ackermann die Anfänge des „MM“. Man spürt: Hier übergibt jemand, ganz väterlich, sein Vermächtnis. In jeder Zeile spürt man, dass es von einem leidenschaftlichen Verleger, einem Kämpfer für Freiheit, Toleranz und Humanität stammt, dem es erkennbar Freude macht, auch jemandem mit einer ganz anderen Weltanschauung gegenüberzusitzen.

Denn letztlich ist Ackermann Kommunist – zumindest lange Kommunist gewesen. 1908 in Heidelberg geboren, studiert er dort und in München. Der aus dem württembergischen Schwenningen stammende Vater ist zwar Uhrenfabrikant, aber Sozialdemokrat, die Mutter Kommunistin. Nach dem Studium, unter anderem bei Karl Jaspers und Alfred Weber, promoviert er über die deutsche Sozialdemokratie vor 1914. Er ist aber links von der SPD unterwegs – als Landessekretär der „Roten Hilfe“, einer Organisation für politisch Verfolgte.

Schnell wird er selbst zum Verfolgten. Von den Nationalsozialisten wegen „Hochverrats“ verurteilt, kommt er 1934 erst ins Zuchthaus und von dort ins Konzentrationslager Dachau. 1937 gelingt Ackermann die Flucht in die Schweiz.

KZ-Haft und Widerstand – diese Jahre prägen ihn. Als die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg Menschen suchen, die frei von Nazi-Verstrickungen sind, wird ihnen Ackermann empfohlen. Zunächst machen sie ihn 1945 zu einem der Lizenzträger für die neugegründete „Stuttgarter Zeitung“. Im Oktober 1946 wird er von den Amerikanern zwangsversetzt – nach Mannheim, weil da ein politisch unbelasteter, eher links orientierter Mann fehlt, um den „Mannheimer Morgen“ zu gründen. Hier soll er an der Seite des eher als liberal-konservativ geltenden Eitel Friedrich Freiherr von Schilling wirken, schließlich sei er „in den Kreisen der aktiven Kämpfer für ein neues Deutschland“ geschätzt, so der Chef der amerikanischen Nachrichtenkontrolle.

In den Anfangsjahren fungieren Ackermann und von Schilling als Herausgeber und zugleich als Chefredakteure. Am 31. Oktober 1945 veröffentlicht Ackermann seinen ersten Kommentar, der sich mit den Auseinandersetzungen innerhalb der vier Besatzungsmächte befasst. Zu Silvester 1988 schreibt er letztmals. Er wolle damit „seinen Beruf als Wegbegleiter meiner Leser beenden“, formuliert Ackermann. Mitherausgeber bleibt er bis zum Tod; erst mit Eitel Friedrich Freiherr von Schilling und dann ab 1974 mit dessen Sohn Rainer an der Seite.

Stets montags um 11 Uhr kommen von Schilling sowie die Chefredakteure zu ihm in sein kleines Zimmer, das er in seinen Erinnerungen „Mönchszelle“ nennt. Es ist ein festes Ritual, gepflegt bis kurz vor seinem Tod 1996. Er begleitet die Redaktion, fördert und fordert sie, hält schützend die Hand über sie, wehrt vehement alle Angriffe gegen ihre Unabhängigkeit und Freiheit ab, von wem auch immer sie kommen.

Nicht nur das nimmt ihm mancher Oberbürgermeister übel – auch dass Ackermann nie nach Mannheim zieht, sondern in Schriesheim, auf dem Branich, wohnt. Aber der in Schwenningen aufgewachsene Ackermann ist, auch wenn er etwas schwäbelt, im Herzen immer Kurpfälzer – ein engagierter Verfechter des Südweststaats, dessen klares Plädoyer im „MM“ bei den Volksabstimmungen den Ausschlag für die Bildung des Bundeslandes Baden-Württemberg geben.

Redaktion Chefreporter

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