Mannheim. Sie sind mit ihrem vierjährigen Sohn Anfang April von Speyer in den neu entstehenden Mannheimer Stadtteil Franklin gezogen: Sven und Katharina Feike. Um einen Kita-Platz haben sie sich seit Januar bemüht – vergeblich. Deshalb blieb der Sohn bis zu den Sommerferien in seiner Speyerer Kita – tägliches Pendeln einbegriffen. Vater und Mutter sind berufstätig – eigentlich. Denn Katharina Feike hat sich von ihrem Arbeitgeber seit 1. September unbezahlt freistellen lassen – weil sie nach wie vor keinen Betreuungsplatz hat.
Daran wird sich nach Lage der Dinge vorerst auch nichts ändern. Aber: Familie Feike hat zumindest juristisch einen Sieg errungen, vor dem Verwaltungsgericht (VG) Karlsruhe. Der Beschluss spricht eine deutliche Sprache: Die Stadt Mannheim wird in einer einstweiligen Anordnung „umgehend“ verpflichtet, dem Vierjährigen „einen Platz in einer Tageseinrichtung“ zur Verfügung zu stellen, die mit dem Nahverkehr „in nicht mehr als 30 Minuten“ zu erreichen ist und eine Betreuung von „jeweils sechs Stunden“ an fünf Tagen wöchentlich sicherstellt.
Elternbeitrag 900 Euro monatlich
Rechtsanspruch
Kinder haben ab dem vollendeten ersten Lebensjahr bis zur Einschulung Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz.
Für Kinder ab drei Jahren gilt das seit 1996, für Jüngere seit 2013. Es kommt nicht darauf an, ob die Eltern arbeiten oder nicht.
Klagen auf Bereitstellung eines Betreuungsplatzes, die mit einem rechtskräftigen Urteil gegen die Stadt geendet haben, habe es bisher nicht gegeben, so die Verwaltung.
„Alle Fälle konnten vor Urteilsverkündung durch Bereitstellung eines rechtsansprucherfüllenden Platzes abgewendet werden“, heißt es.
Die Stadt hat der Familie zwar ein Angebot gemacht, das diese beiden Kriterien erfüllt. Aber die genannte private Kita auf Turley erhebt saftige Gebühren. Der monatliche Elternbeitrag liegt bei 900 Euro, hinzu kommen Aufnahmegebühr von 1000 Euro, Kindergarten-Uniform für etwa 250 Euro und der eine oder andere weitere kleine Betrag.
„Das können wir uns definitiv nicht leisten, für uns wäre das der finanzielle Ruin“, betont Katharina Feike im Gespräch mit dem „Mannheimer Morgen“. Außerdem ist den Eltern das pädagogische Konzept der Einrichtung zu abgehoben.
Genauso sieht es das Verwaltungsgericht Karlsruhe. Das Bildungsprogramm sei „sehr speziell“ und „als sehr anspruchsvoll und ehrgeizig“ zu bezeichnen. Es führe aus Sicht der Eltern „zu einer Überforderung“ des Kindes. Für das VG sind das „gut nachvollziehbare Gründe“, zumal das Angebot „auch hinsichtlich der Kosten nicht zumutbar“ sei. Schon allein der Elternbeitrag liege „um ein Vielfaches“ höher als die vergleichbaren Kosten für ein Ganztagsangebot in einer städtischen Kita, in der 230 Euro fällig würden.
Fazit des Gerichts: Dem „Wunsch- und Wahlrecht“ der Eltern müsse zwar nicht per se entsprochen werden, auch „ein anderes zumutbares Angebot“ erfülle den Rechtsanspruch auf einen Platz. Doch das konkrete Angebot begründe wegen des Konzepts und der Kosten die „Unzumutbarkeit“ für die Eltern. Frei übersetzt: Die Stadt muss eine andere Lösung bieten, und zwar „umgehend“ – auch wenn im Hauptsacheverfahren noch nicht entschieden ist. Aber das VG betont, dass die Klage der Eltern mit „hohem Maß an Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird“. Allein die Dauer des Verfahrens sei nicht absehbar, so lange könnten die Eltern nicht warten – daher die einstweilige Anordnung.
Der die Stadt allerdings nicht Folge leisten wird. Auf Anfrage teilte die Sprecherin des Bildungsdezernats, Beate Klehr-Merkl, mit, die Anordnung sei „nicht rechtskräftig“. Die Verwaltung habe, rechtlich zulässig, Beschwerde eingelegt, um „die in erster Instanz getroffene Entscheidung überprüfen zu lassen. Darüber hinaus geben wir zu konkreten Fällen und laufenden Verfahren grundsätzlich keine Stellungnahmen ab.“
Rechtsanwältin Loreena Melchert hat für die Eltern dagegen Vollstreckung beantragt. Die Juristin aus Barmstedt in Schleswig-Holstein ist auf Kindergartenrecht spezialisiert. Bundesweit hat sie in zehn Jahren rund 500 Fälle begleitet, in denen es um die Durchsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz geht. Den Fall in Mannheim hält sie für ziemlich ungewöhnlich, was die Verhaltensweise der Stadtverwaltung betrifft.
In aller Regel versuchten die Kommunen in Streitfällen, eine außergerichtliche Lösung zu finden. Dass wie aktuell in Mannheim Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts eingelegt werde, sei „sehr selten“. In Ludwigshafen etwa, wo sie mehrere Familien vertreten hat, habe die Verwaltung „keine Rechtsmittel eingelegt, sondern einen Platz geschaffen“.
„Dreiste“ Argumentation
Die Stadt Mannheim habe ihr Vorgehen damit begründet, „dass keine Dringlichkeit besteht“, schließlich könne die Mutter das Kind betreuen. Diese Argumentation nennt die Rechtsanwältin „dreist“. Schließlich könne Katharina Feike sich nur deshalb um den Sohn kümmern, weil der Arbeitgeber ihr mit unbezahlter Freistellung entgegengekommen sei. Das sei aber kein Dauerzustand, jetzt drohe die Kündigung.
Die Feikes haben die Klage nicht gewollt. Nach einer wahren Odyssee auf der Suche Betreuung sei das eben die „letzte Möglichkeit“ gewesen. Dabei möchten sie nur eines: einen adäquaten Platz für ihren Sohn.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Zweifelhaftes Angebot im Rechtsstreit um Kita-Platz in Mannheim