Bundestagswahlkampf

SPD-Chef Klingbeil in Mannheim: Optimismus im Wahlkampf, Kritik an Merz

Lars Klingbeil kämpft trotz Umfragetiefs der SPD weiter für Kanzler Scholz. In der „MM“-Wahlarena spricht er über Merz, die AfD, den Mindestlohn - und Journey.

Von 
Sebastian Koch
Lesedauer: 
„MM“-Chefredakteur Karsten Kammholz (l.) und SPD-Chef Lars Klingbeil. © Thomas Tröster

Mannheim. Den Glauben daran, dass Olaf Scholz Bundeskanzler bleibt, will Lars Klingbeil zumindest öffentlich noch nicht aufgeben. Er wäre ja auch ein schlechter Parteivorsitzender, wenn er vier Wochen vor der Wahl die Flinte ins Korn wirft. Und so ruft der passionierte Rockmusiker in der „MM“-Wahlarena am Samstag Journeys 80er-Jahre-Hymne „Don’t Stop Believin’“ zum Wahlkampf-Song der SPD aus: Höre nicht auf, daran zu glauben.

Ob das nun mehr Wunsch als Hoffnung ist? Die SPD jedenfalls lauert. Und hofft - darauf, dass das eigene Programm ihre Klientel überzeugt, wohl aber auch auf Fehler der Konkurrenz, die ja auch vor vier Jahren schon eine neue Dynamik in den Wahlkampf gebracht haben. „Friedrich Merz hat es bisher geschafft, sich durch den Wahlkampf irgendwie durchzumogeln“, stellt Klingbeil im Rosengarten fest. Entscheidend aber seien die nächsten Wochen, die letzten vor der Wahl. „Für die Bürger fängt der Wahlkampf jetzt erst an, während die Parteien schon lange drinstecken.“

SPD steckt im Umfragetief fest

Gerade weil die Zeit aber drängt, sind die Voraussetzungen für die Sozialdemokraten schwierig. In den meisten Umfragen dümpelt die SPD bei 14, vielleicht 15 Prozent rum. Und auch die 18 Prozent, auf die Klingbeil verweist, bieten keinen Anlass zu Euphorie, wie er selbst feststellt. Zumal die Union fast doppelt so stark ist. Da braucht es schon eine „spektakuläre“ Aufholjagd, wie „MM“-Chefredakteur und Moderator Karsten Kammholz sagt. Allerdings kommt die Partei, die den Kanzler stellt, nicht aus dem Tief. Ob der Amtsbonus im Fall von Olaf Scholz also eher ein Malus sei, fragt Kammholz Klingbeil.

Der räumt ein, dass der Streit in der Ampel seiner Partei geschadet hat. Angesichts von Gaskrise, Inflation und Kriegsangst habe die Koalition zu Beginn Maßnahmen getroffen, die erfolgreich gewesen seien. Der Kanzler habe Besonnenheit, Standhaftigkeit und Nervenstärke bewiesen, obwohl „zwei Flugstunden von hier ein brutaler Krieg tobt“. Dafür zollen ihm die etwa 230 Menschen im Rosengarten, unter ihnen zahlreiche Mitglieder der SPD, zum ersten Mal Applaus.

Das Interesse an Lars Klingbeil war groß, der Stamitz-Saal im Rosengarten am Samstagvormittag voll. © Thomas Tröster

Nach einem vielversprechenden Start aber stritt die Ampel fast nur noch. Große, teils erbitterte Diskussionen waren das. „Es ist klar, dass die Partei, die vorne steht, die den Kanzler stellt, das am meisten abbekommt.“ Trotz der Unzufriedenheit mit Scholz, um die der Parteivorsitzende „nicht herumreden“ will, ginge es nun um die Frage, wer das Land führt. Sozialdemokrat Klingbeil will in Gesprächen mit Menschen derzeit jedenfalls eine Stimmung gegen Merz spüren, sagt er.

Apropos Merz. Im Stamitzsaal macht Klingbeil deutlich, dass der Oppositionsführer und nicht der Grüne Robert Habeck der Hauptkonkurrent ist. Während Letzterer nur am Rande eine Rolle spielt - Klingbeil „bewundert“ den Wirtschaftsminister, dass der in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Kapazitäten für die Veröffentlichung eines Buchs hat - ist Merz phasenweise allgegenwärtig. Kein Wunder. Schließlich hat der Fraktionschef der Union angekündigt, Anträge zur Verschärfung der Migrationspolitik einzubringen – „unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“. Womöglich einer jener Fehler, auf die die SPD lauert?

SPD-Chef Klingbeil in Mannheim: „Kann die Union nur warnen“

Für Klingbeil kommt das Vorgehen politisch einem Dammbruch gleich. Dass Merz nicht ausschließt, Anträge mit Hilfe der AfD durchzubringen, sei eine „völlig neue Qualität“, konstatiert er. „Bisher war ich immer fest davon überzeugt, dass wir gerade bei großen Herausforderungen, wenn es um Sicherheit geht, wenn es um Migration geht, wir eine Mehrheit in der demokratischen Mitte dieses Land finden müssen.“ Klingbeil attestiert der Union eine „krasse Positionsverschiebung“, die ihn an das Verhalten der ÖVP in Österreich erinnere. „Ich kann die Union nur eindringlich davor warnen, dass sie diesen Weg geht“, sagt er und fordert ein Bekenntnis zur Brandmauer zur AfD. Merz müsse beantworten, „ob die Partei von Helmut Kohl und Angela Merkel wirklich will“, dass der Bundestag mit Hilfe von AfD und BSW beschließt, Grenzen dichtzumachen.

Inhaltlich will die SPD Antworten darauf finden, wie man Industriearbeitsplätze sichert, Donald Trump begegnet und dafür sorgt, „dass Menschen, die arbeiten, genug Geld haben“, sagt Klingbeil. So will die SPD etwa mit der Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, die Begrenzung von Netzentgelten oder einem Mindestlohn von 15 Euro punkten. Das Land aber steckt in einer „tiefen, strukturellen wirtschaftlichen Krise“, in der ein Lohn von 15 Euro erst erwirtschaftet werden muss, stellt Kammholz fest. Wo also ist die SPD, „die die Wirtschaft ankurbelt“?

Etwa 230 Menschen sind am Samstagvormittag in den Rosengarten gekommen. © Thomas Tröster

Wer mehr Geld hat, kann mehr Geld ausgeben, kontert Klingbeil. Er habe die Mär satt, ein höherer Mindestlohn würde Arbeitsplätze vernichten. „Es wird die Bereiche geben, in denen das so ist“, schränkt Klingbeil zwar ein und erzählt von einem Buchladen in seinem niedersächsischen Wahlkreis. Dessen Besitzerin klagt über Probleme bei einer Mindestlohnerhöhung. In diesen Fällen müsse man Maßnahmen zur Unterstützung finden, erklärt Klingbeil. Angesichts eines teuer werdenden Lebensunterhaltes müsse es aber doch „Konsens in diesem Land sein, dass die, die jeden Morgen aufstehen und arbeiten gehen, diejenigen sind, die irgendwie über die Runden kommen müssen“.

Unternehmen müssen aber dennoch in der Lage sein, diese Löhne zu bezahlen, hakt Kammholz nach. Klingbeil entgegnet, die Probleme der Unternehmen seien in erster Linie nicht hohe Lohnkosten, sondern Bürokratie, Energiepreise und der Fachkräftemangel. „Es gibt nicht den Widerspruch, dass Menschen vernünftige Löhne haben oder es der Wirtschaft gut geht.“ Das eine würde stattdessen das andere bedingen.

Klingbeil: Aschaffenburg hat mich „aus der Bahn geworfen“

Und dann ist da noch der Elefant im Raum: Migration. Die Wahlarena steht auch unter dem Eindruck des Messerangriffs in Aschaffenburg, wo ein 28 Jahre alter ausreisepflichtiger Afghane einen Zweijährigen und einen 41-jährigen Mann getötet haben soll. Und wie so oft folgt in den Tagen danach die Frage nach der Schuld. Ist diese gegenseitige Schuldzuweisung nicht langsam peinlich?, fragt Kammholz.

Klingbeil hat die Tat schockiert. Dass der Mann gezielt eine Kindergartengruppe angegriffen hat, habe ihn „aus der Bahn geworfen“, das Gespräch mit dem Aschaffenburger Oberbürgermeister Jürgen Hertzig zu Tränen gerührt, erzählt er. Dann kritisiert Klingbeil Markus Söder. Der bayerische CSU-Ministerpräsident habe schnell die Berliner Politik verantwortlich gemacht. Das hätten Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser nicht auf sich sitzen lassen können, weil nicht das Asylrecht, sondern bayerische Behörden Versäumnisse gemacht hätten, moniert Klingbeil. Im Gegensatz zu Söder hätten die CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff und Hendrik Wüst nach Attentaten in Magdeburg und Solingen dagegen den Schulterschluss mit der Bundesregierung gesucht und Zusammenhalt signalisiert.

Trotzdem wolle er sich „nicht zu dem Satz hinreißen lassen, dass Markus Söder die Tat hätte verhindern können“. Unangebracht sei das. Zwar werfe die Tat erneut Fragen auf. Aber: „Wir sollten nicht zulassen, dass die Debatte populistisch aufgeladen wird und auf den Rücken von Menschen mit Migrationshintergrund ausgetragen wird.“

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen

VG WORT Zählmarke