Fußball

Spannendes Buch zu Mannheimer Trainerlegende Herberger: Ein Leben für den Fußball

Im Buch "Herberger über Herberger" haben Historiker der Universität Mannheim einen ersten Teil des Nachlasses veröffentlicht - und anhand der Originaldokumente ein spannendes Bild der Mannheimer Trainerlegende gezeichnet

Von 
Sebastian Koch
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War von 1936 bis 1942 und von 1950 bis 1964 als Reichs- und Bundestrainer für die Nationalmannschaft verantwortlich: der Mannheimer Seppl Herberger. © DFB-Archiv

Mannheim. Eigentlich ist über Seppl Herberger vieles gesagt. Es gibt wenige Mannheimer Persönlichkeiten, über die so viele Biographien existieren, so viele Anekdoten kursieren - und in deren historischer Betrachtung trotzdem noch so vieles ungeklärt ist wie über den Trainer der legendären Fußball-Weltmeister von 1954. So gibt es bis heute etwa Diskussionen über seine Rolle im Nationalsozialismus.

„Es herrscht kein Mangel an Herberger-Biographien“, stellt auch Hiram Kümper fest. Gemeinsam mit Anna Lisa Müller, Daniel Reinemuth, Kai Singhal und Marco Zivkovic hat sich der an der Universität forschende Historiker dennoch mit Herbergers Nachlass beschäftigt und einen Teil nun veröffentlicht.

„Herberger über Herberger“ zeigt Schriftstücke, die Herberger selbst geschrieben hat. „Mich hat fasziniert, wie jemand so akribisch an seiner eigenen Biographie gearbeitet hat - und damit meine ich nicht an seinem Buch, sondern an seinem Leben und daran, wie man sich selbst sehen will“, sagt Kümper im Gespräch. Vom Arbeiterkind auf dem Waldhof zum gewieften Fußballtrainer, der sich gerne in seinem Arbeitszimmer fotografieren lässt und der Bücher von Mao, von Philosophen und Motivationstrainern durcharbeitet. „Herberger war im Grunde fast eine Kunstfigur, die sich selbst gebaut hat, indem er mit beeindruckender Konsequenz ein Bild von sich selbst gezeichnet hat.“

Machtkampf mit Otto Nerz

Der 1897 in Mannheim geborene Herberger stirbt vier Wochen nach seinem 80. Geburtstag 1977 in seiner Geburtsstadt - seine Autobiographie vollendet er nie. „Mit der Akribie, mit der er gearbeitet hat, wäre er wahrscheinlich nie fertig geworden“, sagt Kümper angesichts der 361 Ordner, 48 Fotoalben sowie etwa 4600 Einzelfotos und gut 400 Objekte, die der Nachlass umfasst, der sich im Besitz der Herberger-Stiftung befindet.

„Herberger über Herberger“, das ist Kümper wichtig, ist weder die Vollendung der Autobiographie noch eine Biographie. Es ist vielmehr aus einer wissenschaftlichen Forschung über die zeithistorische Person heraus entstanden, die im Kaiserreich aufgewachsen ist, die die Weimarer Republik erlebt und im Nationalsozialismus wie in der Bundesrepublik Karriere gemacht hat.

Das Buch liest sich gleichermaßen spannend wie schwerfällig. Auf der einen Seite schildert Herberger ausführlich seine Jugend im Mannheimer Norden. Immer wieder tauchen Orte auf, die dem Werk auch Lokalkolorit verleihen. Man erfährt, dass Herberger schon als Jugendlicher davon träumt, Trainer zu werden, und welche - verglichen mit heute - große Bedeutung die Arbeiterstadt damals im deutschen Fußball hatte. Später schreibt Herberger über den Machtkampf mit dem ebenfalls lange in Mannheim wirkenden Otto Nerz, den er 1936 als Reichstrainer ablöste - wann genau, das ist bis heute nicht ganz klar. „Die Nationalsozialisten waren alles, nur nicht hierarchisch gut strukturiert“, sagt Kümper. „Deshalb ist sich Herberger auch selbst gar nicht sicher, wann er Reichstrainer geworden ist.“ Der Mannheimer gibt verschiedene Daten an, auch die Presse ist sich oft uneins, wer das Sagen hat.

Herberger war politisch uninteressiert

Herberger schildert die Zeit, in der Nerz und er über Kompetenzen streiten. Er schreibt über den Zweiten Weltkrieg, teilweise humorvoll auch über strapaziöse Länderspielreisen auf dem Schiff, und natürlich über das „Wunder von Bern“, durch das Deutschland am 4. Juli 1954 unter ihm als Trainer sensationell Weltmeister wurde. Der Erfolg gilt als eine der Geburtsstunden der Bundesrepublik in der Nachkriegszeit.

Auf der anderen Seite kommt ein Lesefluss trotz der spannenden Erinnerungen kaum zustande - es erfordert Muße, sich in Herbergers Sprache einzulesen. Nur selten haben die Forscherinnen und Forscher die Aufzeichnungen redigiert. Die vielen Korrekturen, die Herberger in den Notizen selbst gemacht hat, sind genauso gedruckt wie die Rechtschreibfehler und andere stilistische Fehler, die zeigen, wie schwer sich der rhetorisch gewitzte Herberger mit dem Schreiben getan hat. Alle, die „sich mit diesen Texten im Original“ befassen, würden erahnen, „welche Mühe diese enorme Produktion dem Volksschüler und Autodidakten bereitet haben muss“, schreibt Kümper in der Einleitung. Ihm nötige das Respekt ab. „Denn obschon ihm das Schreiben schwerfiel, hat er sich nie davor gedrückt.“

Man habe sich bewusst dagegen entschieden, die Aufzeichnungen zugunsten des Leseflusses zu korrigieren, erklärt er im Gespräch. „Aus wissenschaftlicher Sicht ist es wichtig, sich anhand der O-Töne selbst eine Meinung zu bilden. Die ,Herberger-Ausgabe’ soll Material zur Verfügung stellen, keine Deutung.“

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„Herberger über Herberger“ zeichnet das Bild eines Menschen, der vom Fußball besessen zu sein scheint und diesem alles unterordnet. Wohl unfreiwillig komisch, im Grunde genommen makaber, kritisiert er den Zweiten Weltkrieg. Nicht des Leids, der Shoa oder anderer Grausamkeiten wegen – sondern weil es kompliziert ist, einen Kader zusammenzustellen. Zwar gelingt es ihm immer wieder, Spieler vom Frontdienst zu befreien. „Das war aber sicherlich kein Akt des Widerstands“, erklärt Kümper. „Er wollte einfach Fußball spielen.“ Es gibt viele Legenden um Herberger und den Nationalsozialismus, die den Trainer in ein positives Licht rücken. Herberger selbst bedient sich laut Kümper dieser Erzählungen nicht. Er greift sie nicht auf, macht sie sich nicht zu eigen – er widerspricht ihnen aber auch nicht.

Herberger hat unter den Nationalsozialisten Karriere gemacht. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn er sich mit dem Regime nicht zumindest arrangiert hätte, ist der Lehrstuhlinhaber für Geschichte des Spätmittelalters und der früheren Neuzeit überzeugt. „Das muss man ihm schon vorwerfen und kann man nicht schönreden.“ Gleichzeitig gibt es keine Äußerungen, in denen er Taten der Nationalsozialisten rechtfertigt, sie gar gutheißt. Daraus zwingend abzuleiten, er hätte den Nationalsozialismus abgelehnt, sei aber auch nicht richtig. „Herberger war im Guten wie im Schlechten ein zutiefst unpolitischer Mensch. Es hat ihn einfach nicht interessiert“, sagt Kümper. Herberger wird recht schnell entnazifiziert.

Weitere Bände geplant

Das Werk ist der Auftakt eines mehrteiligen Projekts. So plant das Forschungsteam auf Grundlage des Nachlasses weitere „Herberger-Ausgaben“, etwa eine über seine Trainingsunterlagen. „Der Mensch Herberger ist von Anfang bis Ende im Prinzip nur Fußball“, sagt Kümper.

Aber auch wenn man mit der schönsten Nebensache der Welt ansonsten nicht viel anfangen kann - lesenswert und spannend ist „Herberger über Herberger“ allemal. Herberger ist schließlich ein besonderes Stück deutscher Geschichte.

Hiram Kümper (Hg.) "Herberger über Herberger" aus dem Herberger-Nachlass, 1. Band, aus dem ABC-Verlag, 335 Seiten

Redaktion Reporter in der Lokalredaktion Mannheim & Moderator des Stotterer-Ppppodcasts

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