Mannheim. Sie müsste gerade überall sein. „Nicht zu viel Zimt!“, mahnt sie da, während gleichzeitig die Frage kommt, wie viel Abrieb von einer Zitrone denn nötig ist. Claudia Hennicke-Pöschk, Konditor- und Bäckermeisterin sowie Fachbetreuerin an der Justus-von-Liebig-Schule, backt mit Schülern Plätzchen – aber es sind besondere Plätzchen. Die angehenden Bäcker und Bäckereifachverkäuferinnen stellen Gebäck nach Rezepturen aus der Zeit von Kurfürst Carl Theodor her, der jetzt gerade 300 Jahre alt geworden wäre.
„Es sind eigentlich recht einfache Rezepturen, denn so viele Zutaten gab es ja damals nicht“, sagt die Meisterin. Meist sei Butter, Mehl und Zucker enthalten, dazu Mandeln, „denn die konnte man ja in der Pfalz ernten“, weiß sie. Dennoch hat sie die alten Rezepturen „optimiert, um sie in aktuelle Rezepturen umzuwandeln, die nachgebacken werden können“, so Hennicke-Pöschk – jetzt von den Schülern und auch von „MM“-Lesern, denn denen stellt sie die Rezepte zur Verfügung. „Denn die Sprache war ja früher ganz anders, man hat auch viel als bekannt vorausgesetzt“, sagt sie.
Handschriftliches Kochbuch aus den Jahren um 1700
Die Idee geht auf Helen Heberer zurück. Die langjähriger Stadträtin hat als Vorsitzende des Vereins Stadtbild dafür gesorgt, dass das Carl-Theodor-Jahr in Mannheim intensiver gefeiert wurde als geplant. Zunächst ist sie mit Hiram Kümper, Inhaber der Carl-Theodor-Professur an der Universität, auf die Suche gegangen. „Ich habe mich durch halb Deutschland durchtelefoniert, um solch alten Rezepten auf die Spur zu komme“, so Heberer. Aber Erfolg hatte sie direkt in Mannheim bei Eva-Maria Günther von den Reiss-Engelhorn-Museen. Sie verfügte über ein Kochbuch, das auf einem handschriftlichen Original des 18. Jahrhunderts basiert.
- Zutaten
140g Weizenmehl
65g Butter
40g Zucker
30g Weißwein
20g Eigelb (1 Stück)
100g Zucker
4g Zimt
- Zubereitung
Butter und Mehl verreiben
Zucker, Weißwein und Eigelb zufügen und kurz zu einem glatten Teig verkneten
In Formen drücken (Bärentatzen) und auf ein mit Backpapier ausgelegtes Blech legen
mit Eiklar bestreichen und Zimtzucker aufstreuen
Backen 180°C
ca. 20 - 25 Minuten
„Die Rezepte stammen sämtlich aus dem handschriftlichen Kochbuch der Sidonia Philippina, ‘Reichs-Edlen von Behr’, die mit einem kurpfälzischen Hofrat aus der berühmten Familie von Sickingen verheiratet war“, erläutert Hiram Kümper. Es sei in den Jahren um 1700 angelegt und über mehrere Jahrzehnte, bis weit in die Carl-Theodor-Zeit, fortgeführt worden – stets in der „Haus-Bibliotheque“ der adeligen Besitzerinnen. Heute werde diese Kostbarkeit in der Universitätsbibliothek Mannheim verwahrt.
„Das Kochbuch enthält vor allem köstliche (und oft sehr ungesunde) Süßspeisen, die ganz dem Geschmack der Zeit entsprachen – mit sehr viel Schmalz, Zucker und Fett, vielen Eiern, Anis und anderen Gewürzen, aber auch modischen Südfrüchten der Zeit: vor allem Zitronen und Orangen, die italienische Händler über die Alpen nach Mannheim brachten“, erläutert der Historiker.
Auf Initiative von Bürgermeister Thorsten Riehle und Heberer erklärte sich zunächst die Bäckerinnung bereit, die Plätzchen nachzubacken. Übernommen hat es schließlich die Justus-von-Liebig-Schule, die den Nachwuchs dieses Berufsstands ausbildet. „Wir machen das gerne, denn wir arbeiten eng mit der Innung zusammen“, sagt Steffen Götz, stellvertretender Bereichsleiter Nahrung der Schule, während die Schüler Mehl wiegen, Teig anrühren und die Zutaten abwiegen.
- Zutaten
125g Puderzucker
100g weiche Butter
100g Eier (2 Stück)
etwas Zitronenabrieb
etwas gemahlene Nelke
etwas Zimt
180g Mehl
80g gemahlene Mandel
- Zubereitung
Puderzucker und die weiche Butter vergreifen, die Gewürze zugeben, zum Schluss die Eier zufügen
Das Mehl sieben und mit den Mandeln mischen
kurz zu einem glatten Teig
verarbeiten
200g Stücke abwiegen
40cm lang rollen, 2cm breit schneiden - den Rest zu 10g Stückchen abwiegen.
Kleine Kugeln rollen und zu Hörnchen formen
auf ein Blech mit Backpapier (oder eine Silikonmatte)
setzen
Backen 180°C ca. 10 Min
Im ersten Lehrjahr werden die angehenden Bäcker und die „Fachverkäuferinnen im Lebensmittelhandwerk“, wie die Berufsbezeichnung offiziell lautet, zusammen unterrichtet. „Auch die Verkäuferinnen sollen ein Gefühl dafür kriegen, was passiert, bevor sie es verkaufen, und wie es in der Backstube läuft“, erklärt Gwendolyn Berbner, Leiterin Fachbereich Nahrung der Schule. Schon deshalb habe man die Chance gerne aufgegriffen, mit den Plätzchen aus der Zeit des Kurfürsten mal etwas Besonderes zu machen.
Ein Popstar seiner Zeit – aber bei Schülern unbekannt
Carl Theodor sei „wie ein Popstar“ in seiner Zeit gewesen, versucht einleitend Claudia Hennicke-Pöschk, den Schülern den Kurfürsten nahezubringen. Er wäre „für die Region sehr wichtig“ gewesen und habe viele Bauten hinterlassen wie das Mannheimer und das Schwetzinger Schloss, die Karlsbrücke und das große Fass in Heidelberg, erläutert sie und zeigt entsprechende Bilder.
Fragt man später in der Klasse, ist aber fast allen der Name Carl Theodor vorher noch nie begegnet. „Ich habe ihn mal gehört“, sagt nur ein Mädchen. Sonst heißt es nur „Nö“, „kenne ich net“ oder „Ich komme aus der Pfalz, nie gehört“, während der Teig ausgerollt, in kleine Stücke geschnitten und in Formen gedrückt wird. Dann bestreichen die Schülerinnen die Plätzchen mit Eiklar und Zimtzucker, und fertig ist das „Weingebackene“.
- Zutaten Teig
250g Mehl (sieben)
15g Hefe
125g lauwarme Milch
50g Zucker
Zitronenpaste
Salz
50g Butter
- Zutaten Füllung
125g gemahlene Mandeln
8g Rosenwasser
125g Zucker
90g Eiklar
- Zubereitung
Mehl, Hefe, Milch, Zucker,
Zitronenpaste Salz und Butter zu einem glatten Teig kneten
ca. 10 - 15 Min ruhen lassen
ca. 2mm dünn ausrollen
und Muffinförmchen damit auslegen
Für die Füllung Mandeln, Rosenwasser, Zucker und Eiklar vermischen
Die Füllung in die mit Teig
ausgelegt Förmchen legen und die Füllung einfüllen.
Vom dünn ausgerollten Teig dünne Streifen schneiden und über die Füllung legen
Bei dieser Rezeptur habe sie zunächst die Mengen neu berechnen müssen, sagt Claudia Hennicke-Pöschk: „Ein Esslöffel kann ja groß oder auch kleiner ausfallen, so dass wir ein Gewicht festlegen mussten“, so die Konditormeisterin. Auch die Butter- und Eigelbmenge habe sich als zu hoch herausgestellt. „Aber dann war der Teig gut formbar und ließ sich hervorragend ausformen und backen“, so Claudia Hennicke-Pöschk. Bei den „Hirschhörnern“ habe es für die Form des Gebäckes keine genaue Anleitung gegeben, sondern nur den Hinweis „formiere ihn wie du wilt“. „Daher haben wir uns für die Form unserer Vanillekipferl entschieden“, sagt die Konditormeisterin.
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