Mannheim. So klingt Wiener Schmäh mitten in Mannheim: „Wo bleibt denn jetzt die depperte Rettung?“, ruft, ja schimpft ein österreichischer Feuerwehrmann. Denn vor ihm auf dem Boden liegen, in Goldfolie gehüllt, zahlreiche Verletzte, teils wimmernd. Er soll sie an einem Punkt, wo es nicht mehr ganz so gefährlich ist, an Sanitäter übergeben. Aber das funktioniert nicht so schnell, obwohl es gerade sehr, sehr hektisch zugeht. Schließlich hat sich hier, im Mühlauhafen, eine Katastrophe ereignet - zumindest wird das geübt.
Ständig Martinshorn, quäkende Funkgeräte, rangierende Fahrzeuge, laufende Motoren, unzählige Menschen und Stimmengewirr in Englisch, Griechisch, Deutsch und mit Wiener Akzent - das ist „Magnitude“, die erste europäische Katastrophenschutzübung in Deutschland. Ausgerichtet vom Land Baden-Württemberg, findet sie in Mosbach, in Schwarzach, in Bruchsal und im Mannheimer Hafen statt, wo das zur „Mobilen Übungsanlage Binnengewässer“ umgebaute Tankschiff vor Anker liegt.
Hoch spezialisierte Einheit ATF mit Sitz in Mannheim
Das Szenario dafür hat sich Timo Imhof, Leiter Einsatz der DLRG Baden, ausgedacht und mit der DLRG Mannheim sowie der Feuerwehr Mannheim erarbeitet. „Magnitude“, eine Messgröße für die Stärke eines Erdbebens, gibt für alle Übungsorte vor, dass ein heftiges Erdbeben den Oberrheingraben erschüttert, für sehr viel Zerstörung und viele Verletzte gesorgt hat.

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Alle deutschen Einsatzkräfte sind seit Tagen gebunden. In solch einem Fall würde das Innenministerium über das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe den sogenannten EU-Katastrophenschutzmechanismus auslösen, um grenzüberschreitend Hilfe zu bekommen. Andere Staaten haben das schon öfter getan, Deutschland noch nie. „Wir wollen hier das Zusammenspiel von Einheiten verschiedener Nationen üben“, erklärt Imhof. Seine Vorgabe für Mannheim lautet, dass durch ein Nachbeben ein Schiff mit Gefahrgut verunglückt ist, Leck geschlagen hat, Menschen verletzt wurden und ein Feuer ausgebrochen ist. 230 Einsatzkräfte und Verletztendarsteller üben das, und sechs Mannheimer DLRG-Kräfte sind am Ufer und im Hafenbecken im Einsatz, damit ihnen nichts passiert.
Mehr als 35 Fahrzeuge rücken, teils in langen Kolonnen, an - mit Blaulicht und Sondersignal. Allein mit fünf Fahrzeugen sowie eigenem Stromaggregat ist die Feuerwehr Wien da. Ihre Männer legen Schläuche, ziehen Pressluftatmer und Schutzanzüge an. Unter Atemschutz und mit Strahlrohr rücken sie auf das Schiff vor, auch vom Ufer aus und mit dem Monitor ihres Tanklöschfahrzeugs spritzen sie in die Flammen. Die sind echt, lodern - gasbetrieben - immer wieder auf.
Sichtbar ist das alles nicht nur vom Ufer, sondern auch auf einem Bildschirm. Dafür sorgt die Wasserortungsgruppe der DLRG per Drohne. Aber welche Schadstoffe treten auf dem Schiff aus, was ist gefährlich? Das erkundet die „Analytische Task Force“ (ATF), die aus besonders geschulten Beamten der Berufsfeuerwehr und Ehrenamtlichen der Freiwilligen Feuerwehr Neckarau besteht. Mannheim ist einer der nur acht deutschen Standorte dieser hoch spezialisierten Einheit - mit ein Grund, „Magnitude“ auch in der Quadratestadt auszurichten. Die ATF stellt fest: Es ist das gefährliche Aceton, das auf dem Schiff - angenommenerweise - austritt, zudem entzündet sich Schweröl in Fässern.
Freiwillige Feuerwehr muss ungeplant anrücken
Tatsächlich ist es nur Zuckerrübensirup, der an den Verletzten haftet. „Das hebt gut an der Kleidung, da hat die Dekontamination etwas zu tun“, sagt Timo Imhof lachend, während die Mannheimer ATF-Mitglieder zusammen mit Kollegen der ATF-Einheiten Berlin, Hamburg und Berlin mit der Analyse beginnen. Trotz Zuckerrübensirup sehen die Verletzten teils sehr echt „verletzt“ aus, mit gut geschminkten Wunden. Sie humpeln, sie jammern, sie schreien, sie simulieren Atemnot, als die Wiener Feuerwehrleute sie von dem verunglückten Schiff holen.
Ein CBRN-Team (Abwehr chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Gefahren) aus Griechenland mit 30 Mitgliedern baut direkt am Ufer für die Einsatzkräfte eine Stelle auf, wo sie dekontaminiert - sprich entgiftet - werden. Auf einem nahen Parkplatz entsteht eine Zeltstadt, um die Verletzten ebenso mit speziellen Duschen zu entgiften und zu versorgen - oder auch nicht.
Mannheimer Sanitäter und Feuerwehrleute aus dem Landkreis Karlsruhe arbeiten hier zusammen. Wer bei der Sichtung in die Kategorie „blau“ eingeordnet wird, der hat kaum Überlebenschance. Aber vier Mannheimer Notfallseelsorgerinnen stehen für sie bereit. Allerdings reicht das Wasser nicht für den Dekontaminationsplatz, weshalb die Freiwilligen Feuerwehren Feudenheim, Nord und Rheinau mit Tanklöschfahrzeugen nachgeordert wären - sie waren gar nicht eingeplant bei der Übung, helfen aber gerne.
„Sehr stolz“ sei Mannheim, einer der „Magnitude“-Schauplätze zu sein, sagt Bürgermeister Volker Proffen, als er die Einsatzkräfte besucht. „Es war eine Heidenarbeit, aber macht auch Heidenspaß“, fasst Ralph Rudolph zusammen, der Leiter der Mannheimer ATF, der seit Monaten an der Planung beteiligt war. Obwohl sie ja schon oft überregional im Einsatz war, sei es nun „großartig“, das Zusammenspiel mit anderen Nationen mal hier im Hafen üben zu dürfen.
Ohne namentlich zitiert zu werden, spricht mancher Helfer indes davon, dass während der Anwesenheit der Politiker schon auch viel „Show“ gemacht worden sei. Und einer der Helfer spricht beim Rundgang Innenminister Thomas Strobl an, er möge bitte mehr fürs Ehrenamt tun, insbesondere für die Gleichstellung der Mitglieder der Rettungsorganisationen mit Freiwilligen Feuerwehren. Einige eingeplante Helfer haben von ihren Arbeitgebern keine Freistellung bekommen. Sie dürften nur im Notfall gehen, aber nicht für Übungen.
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