Tag der seltenen Krankheiten - Alexandra Kraft hatte verengte Hirngefäße als Folge von Moyamoya / Bypass-OP im Klinikum

Seltene Krankheit: Mannheimer Experte hilft dreifacher Mutter

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
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Neurochirurgie-Chef Nima Etminan und die von ihm operierte Patientin Alexandra Kraft: Auf dem Monitor ist ein Gespinst von Hirn-Umgehungsgefäßen zu sehen, das für das Krankheitsbild Moyamoya typisch ist. © Klinikum Mannheim

Mannheim. Seltene Krankheiten - ihnen ist jeweils am letzten Tag des Februars ein internationaler Aktionstag gewidmet - mögen höchst unterschiedlich attackieren, gleichwohl verbinden Gemeinsamkeiten: beispielsweise eine medizinische Odyssee vor der richtigen Diagnose. Eine solche erlebte auch Alexandra Kraft. Acht Jahre sollten vergehen, ehe ein Arzt gefährlich verengte Hirngefäße als Folge von Moyamoya erkannte und die dreifache Mutter an die Universitätsmedizin Mannheim (UMM) überwies, wo Neurochirurgie-Chef Nima Etminan als Spezialist für Bypass-Operationen im Kopf gilt.

Bei unserem Treffen im Klinikum prangt auf dem Monitor ein zartes Gespinst aus korkenzieherartig gedrehten Fäden. Was eine filigrane Zeichnung sein könnte, ist die Katheter-Angiografie netzartig aufgebauter Umgehungskreisläufe „verstopfter“ Hirngefäße. Nima Etminan spricht von „unorganisierter Gefäßarchitektur“ wegen Minderdurchblutung. Nicht von ungefähr bedeutet der aus dem Japanischen stammende Namen Moyamoya so viel wie Wölkchen oder Rauchschwade. Zu den Eigentümlichkeiten dieser seltenen Gefäßerkrankung gehört, dass sie insbesondere in Asien auftritt - oftmals familiär gehäuft, was für eine genetische Ursache spricht.

Wenn in Europa Kinder oder auch Erwachsene davon betroffen sind, ist das Risiko von Fehldiagnosen besonders hoch. Aus gutem Grund weist die Stiftung Deutsche Schlaganfall-Hilfe darauf hin, dass seltene Ursachen von Hirn-Infarkten oft lange unerkannt bleiben und damit Leidenswegen Vorschub leisten.

Mehr als 6000 seltene Krankheiten

  • Von einer seltenen Krankheit spricht man in der EU, wenn nicht mehr als fünf von 10 000 Menschen betroffen sind. Es gibt mehr als 6000 meist chronisch verlaufende Gesundheitsprobleme, die nur wenige Menschen betreffen und deshalb auch wenig erforscht sind.
  • Das vorwiegend in Asien auftretende Moyamoya-Phänomen wurde 1962 erstmals beschrieben. Es bestehen zwei Altersgipfel – bei Kindern und bei Erwachsenen in mittleren Jahren. Frauen dominieren.
  • Der 2019 gegründete Verein „Moyamoya Freunde und Förderer“ unterstützt Betroffene und fördert Forschung.
  • Nima Etminan, promovierter und habilitierter Chef der Neurochirurgischen Klinik und Lehrstuhlinhaber am Klinikum, hat sich auf die Entstehung und operative Behandlung von Aneurysmen, Aussackungen von Blutgefäßwänden spezialisiert. Schon vor seiner Berufung ans Mannheimer Uniklinikum beschäftigte er sich auch mit Moyamoya.

 

Schon mit 26 erste Lähmungen

Das galt auch für Alexandra Kraft, der schon mit 26 Jahren Lähmungserscheinungen der linken Körperseite zu schaffen machten. Ärzte hatten zwar „eine Art Schlaganfall“ festgestellt, aber den ungewöhnlich frühen Hirninfarkt auf Rauchen und schwankenden Blutdruck zurückgeführt. Medikamente wie Blutverdünner sollten nichts bringen. Im Gegenteil: Lähmungen, Taubheit und Kribbeln nahmen massiv zu. Als sich obendrein eine Störung beim räumlichen Wahrnehmen des Gesichtsfeldes einstellte, dachte Alexandra Kraft zunächst an Augenprobleme.

Die Hausärztin schickte ihre im Raum Baden-Baden lebende Patientin zu einer Kernspintomografie nach Karlsruhe ins städtische Klinikum. Dort fiel 2016 erstmals der für Alexandra Müller seltsam anmutende Krankheitsbegriff Moyamoya. „Dabei war ich schon vorher mehrfach in die Röhre geschoben worden.“ Der diagnostizierende Arzt überwies die Patientin an die UMM-Neurochirurgie, weil sich diese schon in der Schmiedek-Ära beim operativen Behandeln von nahezu verschlossenen Hirnarterien einen Namen gemacht hat.

Die heute 40-Jährige erzählt, wie Klinikdirektor Etminan beim ersten Blick auf mitgebrachte Gefäßdarstellungen angesichts des fortgeschrittenen Stadiums „Ach du Schande!“ ausrief. Es galt, rasch zu handeln, weil Gefäßverschlüsse beziehungsweise geplatzte Umgehungsgefäße immer wieder Schlaganfälle auslösen können.

OP mit 80-facher Vergrößerung

Nima Etminan deutet seitlich auf seinen Kopf und demonstriert die Technik jener Bypass-OP, die bei Alexandra Kraft beidseitig erforderlich war: Das Ende der durchgängigen und damit gesunden Schläfenarterie wird von außen über eine Schädelöffnung - „etwa so groß wie das einstige Fünf-Mark-Stück“ - nach innen verpflanzt und mit einem Hirngefäß vernäht, so dass ähnlich wie bei einem Herz-Bypass verengte oder komplett verschlossene Versorgungsadern umgangen werden. Da solche Gefäße gerade mal einen Millimeter dick sind, so Etiman, werde unterm Mikroskop mit 80-facher Vergrößerung operiert.

Schon ein Jahr später, 2017, offenbarten Nachuntersuchungen Rückbildungen im Gespinst von Umgehungsnetzwerken. Inzwischen muss die Patientin nicht mehr halbjährlich zur Kontrolle. Und wie geht es ihr heute? „Meine Migräne ist besser, ich habe kaum noch unangenehmes Körperkribbeln.“ Nach kurzer Pause ergänzt Alexandra Kraft sichtlich erleichtert: „Und stille Schlaganfälle hat es glücklicherweise auch nicht mehr gegeben.“

Freie Autorin

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