Mannheim. Wenn an diesem Freitag weltweit wieder Schülerinnen und Schüler den Unterricht bestreiken und für einen stärkeren und effizienteren Klimaschutz auf die Straße gehen, möchten Jugendliche auch in Mannheim ein Umdenken und eine Kurskorrektur in der Umweltpolitik erwirken und mehr Bewusstsein für die Gefahren des sich verändernden Klimas schaffen.
Volker von Offenberg sieht zwischen der Klimabewegung und der Revolte 1968 Parallelen. „Auch die als ,neue Apo’ titulierte aktuelle Protestbewegung wird von Jugendlichen, teilweise von Kindern, getragen“, schreibt der Historiker in seinem Buch „Revolution am KFG? Die Schülerrevolte 1968 am Karl-Friedrich-Gymnasium“. „Bei den Freitags-Aktionen kam und kommt es zu kalkulierten Regelverletzungen, indem zum Teil der Unterricht bestreikt und stattdessen für mehr Klimaschutz demonstriert wird.“
Parolen an Wänden und Türen
Von Offenberg weiß, wovon er spricht. Der frühere Geschichtslehrer stellt an diesem Abend im Dalberghaus sein Buch über die Entwicklungen in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren an seiner Schule vor. Mit dem langjährigen Leiter des KFG und Vorsitzenden des veranstaltenden Altertumsvereins, Hermann Wiegand, und Lothar Galow-Bergemann - er war zu jener Zeit Schüler am KFG - diskutiert er ein Stück Stadtgeschichte, das es allemal wert ist, näher beleuchtet zu werden. Gerade deshalb ist es umso bedauerlicher, dass das Publikum zum größten Teil aus Zeitzeugen besteht - junge Menschen oder gar Schülerinnen und Schüler sucht man dagegen fast vergebens.
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Eindringlich schildern von Offenberg in Lesungen einzelner Passagen und Galow-Bergemann in Erzählungen die Jahre vor und nach 1968, in der die Schülerschaft des KFG gegen den vom Lehrkörper vorgelebten Zeitgeist aufbegehrt. Die Erinnerungen Galow-Bergemanns schildern detailliert die aufregende Zeit, in der sich die Lage nicht nur am Mannheimer Gymnasium, sondern in der ganzen Republik zuspitzt. „Jetzt schießen sie schon auf uns“, erinnert sich Galow-Bergemann an Gespräche mit Klassenkameraden, als der Student Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 bei einer Demonstration gegen den Besuch des Schahs in Berlin von einem Polizisten erschossen wird. Immer enger zieht sich in den Erzählungen auch die Schlinge zu, die die Jugendlichen ihren prügelnden Lehrerinnen und Lehrern und vor allem dem Rektorat umlegen.
Gegen das NS-belastete Lehrpersonal
Von Flugblättern über mehrtägige Streiks bis zu einem der Höhepunkte, wie von Offenberg sagt, am 4. Juli 1970, als bis heute nicht bekannte Jugendliche Wände und Türen des KFG mit politischen Parolen in ihrem Sinne und gegen das teilweise NS-belastete Lehrpersonal versehen. Der Rektor sei kein Einzelfall, „Faschisten gibt es überall“, ist unter anderem zu lesen.
Anhand von Dokumenten - wie Flugblättern, der Schulzeitung „Versuche“ oder der Berichterstattung im „Mannheimer Morgen“ - und Gesprächen mit Zeitzeugen wie Galow-Bergemann recherchiert von Offenbergs jene Ereignisse, die er in seinem Buch mit stellenweise feinem Humor nachzeichnet. So gelingt es ihm, die Zeit des gesellschaftlichen wie politischen Umbruchs auf Mannheim herunterzubrechen.
Galow-Bergemann musste das Gymnasium wegen schlechter Leistungen schließlich verlassen. „Ich habe es nicht mehr ertragen, dass im Vietnam Kinder mit Napalm bombardiert werden und ich im Elfenbeinturm Griechisch und Latein lernen sollte.“ Lehrer hätten ihm - der sich lieber mit Marx oder Freud beschäftigte und für eine gerechtere Welt kämpfen wollte - keine Träne nachgeweint. Und ja, man nimmt es Galow-Bergemann ab, wenn er heute noch sagt: „Diese Zeit wird mich wahrscheinlich nie loslassen.“
Kontroverse Betrachtung
Dabei bewertet der damalige Schüler heute die Aktionen kontrovers, was die Diskussion ungemein bereichert. Die Ziele, die sie verfolgt haben, seien die richtigen gewesen, ist der Zeitzeuge überzeugt. Gesellschaft, Demokratie und Staat hätten profitiert. Einiges würde er heute wieder so machen - anderes aber nicht. „Der Zweck heiligt nicht die Mittel“, sagt Galow-Bergemann. „Im Kampf gegen das Schlechte kann man auch selbst schlecht werden.“
Und was rät der frühere Revolutionär jungen Menschen heute, die an diesem Freitag Unterricht oder Vorlesungen bestreiken, um sich für Klimaschutz zu engagieren? „Man sollte den Klimakampf weiterführen - aber auch weiter studieren“, sagt er. „Beides ist notwendig.“
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