Als der „MM“ mit Jonathan Glick reden will, geht niemand ans Telefon. Kurze Zeit später erreicht die Redaktion eine E-Mail des Repräsentanten der Start-up-Community Next Mannheim in der Gründer-Metropole Tel Aviv. „Ich war mit meinen Kindern im Tresorraum, als Sie während eines Raketenangriffs angerufen haben. Ich werde versuchen, später anzurufen, wenn sich die Situation beruhigt hat“, schreibt er.
Eigentlich vermittelt der 35-Jährige seit 2017 Kontakte für Next Mannheim in Israel, wo er auch Beiratsmitglied ist. Seit Samstagmorgen sieht sein Alltag jedoch anders aus. „Ich bin am Samstag um 6.30 Uhr aufgewacht durch einen Anruf meines Vaters. Er hat von Raketen gesprochen. Dann hat alles begonnen“, berichtet Glick. „Wir haben dann die Kinder in den Safe Room gebracht.“ Dieser biete Sicherheit vor etwaigen Raketeneinschlägen.
„In Israel haben viele Häuser Safe Rooms“, erzählt Glick. Im Süden des Landes aber hätten die Sicherheitsräume wenig geholfen. Als die Menschen diese verließen, „waren Hunderte von Terroristen vor den Häusern. Sie wurden entführt oder in ihrem Zuhause verbrannt.“
Tel Aviv wie leer gefegt
Raketen seien in Israel nichts Ungewöhnliches. Der Angriff der Hamas aber habe eine neue Dimension erreicht. „Wir begreifen immer mehr, was in den vergangenen Tagen passiert ist“, versucht Glick zu erklären. „Terroristen greifen die Zivilgesellschaft an. Sie ermorden und entführen Zivilisten.“ Auch vor Kindern würden sie keinen Halt machen.
Meine Kinder haben Angst. Sie beginnen, Fragen zu stellen. Bei jedem Knall, den sie hören, erschrecken sie.
Glick wohnt mit seiner Familie in Tel Aviv. Er hat mit seiner Frau zwei Töchter und einen Sohn im Alter von sieben, fünf und zwei Jahren. „Meine Kinder haben Angst. Sie beginnen, Fragen zu stellen. Bei jedem Knall, den sie hören, erschrecken sie“, sagt er und betont: „Das ist aber kein Vergleich zu dem, was den Kindern im Süden passiert.“ In Tel Aviv, zentral an der Westküste des Landes am Mittelmeer gelegen, sei die Lage derzeit weniger besorgniserregend, schildert er. Aber dennoch: „Die Straßen sind zu 90 Prozent leer.“ Die meisten Geschäfte hätten geschlossen. „Es ist definitiv nicht das Tel Aviv, das alle kennen“, betont er.
Heimatland will er nicht verlassen
Ändern könne sich die Sicherheitslage in der Stadt allerdings bei einer großen Angriffswelle aus dem Norden. „Israel ist ein kleines Land, dann wäre das ganze Land unter Beschuss. Es ist definitiv eine schwierige Situation, die wir so noch nie in unserer Geschichte hatten“, sagt Glick. „Es ist eine neue Realität.“
Verlassen möchten er und seine Familie ihr Heimatland derzeit trotz der unsicheren Lage nicht. Vorerst. „Wenn sich die Situation auf lange Sicht, also in zehn bis 15 Jahren, nicht löst, dann wird es schlimmer sein als heute“, befürchtet der 35-Jährige. Dann könnte er es sich noch mal anders überlegen.
Wann Glick seinem Alltag wieder normal nachgehen kann, ist ungewiss. Next Mannheim kann ihn dabei momentan nicht wirklich unterstützen. „Wir können nicht viel tun“, sagt eine Sprecherin. Man stehe jedoch permanent in Kontakt.
Glick selbst hofft erst mal, dass sich die Lage beruhigt. Vor allem auch, weil er bei einem Zwei-Fronten-Krieg seine Familie verlassen müsste. „Wenn der Norden angegriffen wird, werde ich eingezogen. Meine Frau bleibt alleine mit den Kindern hier“, sagt er. „So wird es vielen Familien ergehen.“
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