Mannheim. Die bandenmäßige Betrugsmasche mit Schockanrufen ist ein lohnendes Geschäft. Wenn es zu Prozessen kommt, sitzen allerdings so gut wie nie die in ausländischen Callcentern agierenden Hinterleute und Hauptprofiteure auf der Anklagebank. Dies gilt auch für ein Verfahren vor dem Mannheimer Amtsgericht, bei dem sich eine 35-jährige Geldabholerin verantworten muss. Dass sich die vierfache Mutter nach Verkünden einer Gefängnisstrafe aufgewühlt schreiend zu der hinter ihr sitzenden Großfamilie dreht, ist nicht das einzig Ungewöhnliche in dem Prozess.
Eher selten dürfte vorkommen, dass ein Angehöriger mit 20.000 Euro in der Tasche eine Gerichtsverhandlung aufsucht, um die Geldscheine an der Justizkasse einzuzahlen. Hintergrund: Bei dem stattlichen Betrag handelt es sich um jenen Beuteanteil, den die angeklagte Kurierin erhalten hat. Vor Gericht zeigt sie sich weitgehend geständig. Bei zwei der vier zur Last gelegten Taten gibt sie zu, bei Schockanruf-Opfern Geld beziehungsweise Gold abgeholt zu haben.
In jenen beiden Fällen, in denen die damals 13-jährige und damit strafunmündige Tochter vorgeschickt wurde, schildert sie allerdings von den Ermittlungen abweichende Szenarien. Die Mutter behauptet, das schon früh erwachsen wirkende Mädchen habe sich auf alle möglichen Leute eingelassen. Als Argument, nichts von den angeblichen Alleingängen der Tochter gewusst zu haben, führt sie an, diese während eines Botendienstes als vermisst gemeldet zu haben.
„Enkeltrick“ hat ausgedient, Schockanrufe sind nun gängige Masche
Wie die Betrugsmasche abläuft, leuchtet ein Polizeibeamter aus: In Polen, so der Zeuge, werde das Geschäft von einem vernetzten Roma-Clan gesteuert. Inzwischen habe der „Enkeltrick“ ausgedient. Vielmehr würden geschulte „Keiler“ in Telefonaten, die von Callcentern aus geführt werden, mit subtilen Psycho-Tricks vorgaukeln, dass Sohn oder Tochter einen schweren, ja tödlichen Unfall verursacht haben und drohende Inhaftierung nur mit einer hohen Kaution verhindert werden könne. Sobald ein meist älterer Mensch in die Falle tappt, entscheide „der Chef“, wer die Tat jeweils vor Ort vollendet.
Wie der Beamte erläutert, ist die Bandenstruktur straff organisiert. Mit den (Telefon-)„Keilern“ in Polen haben lediglich jene „Logistiker“ Kontakt, die Einsätze koordinieren und Abholer dirigieren. Die Angeklagte habe aus beiden Bereichen Aufgaben übernommen und im Vorfeld mit falschen Personalien Handys und SIM-Karten gekauft – und dies in Begleitung ihrer Kinder. Zur Sprache kommt die von der Mutter gestellte Vermisstenanzeige. Diese wertet der Ermittler als „übliche Schutzbehauptung“. Manchmal erfolge eine derartige Anzeige nur wenige Minuten nach einer aufgeflogenen Geldübergabe mit Strafunmündigen.
Verteidiger wollen Bewährungsstrafe erreichen
Als das Gericht die in der Region geborene Angeklagte zu ihrem Lebensweg befragt, offenbart sich: Die mit einer großen Familie in einem Wohnwagen aufgewachsene Mittdreißigerin hat nie ein Klassenzimmer gesehen. Sie gibt an, weder schreiben noch lesen gelernt zu haben. Im Laufe des Verfahrens ist zu hören, dass auch die inzwischen 15-jährige Tochter der Schule fernblieb. Und der ältere Bruder habe ebenfalls nur spärlich Unterricht besucht. Laut Ermittlungen soll der Sohn als strafunmündiger 13-Jähriger Geldabholungen übernommen haben. Gefragt nach ihren Einkünften, nennt die Alleinerziehende Leistungen vom Jobcenter.
Die beiden Verteidiger versuchen zu erreichen, dass ihre nicht vorbestrafte Mandantin mit einer Bewährungsstrafe davonkommt. Zur Strategie gehört, dass die Angeklagte ihren jeweils 20-prozentigen Anteil von zwei vollendeten Beuteübergaben als „reuige Geste“ und Wiedergutmachung an die Opfer zurückgibt. Als Anwalt Carsten Heinen vorträgt, der Vater sitze mit 20.000 Euro im Saal, zeigt sich das Gericht sichtlich verblüfft. Kollege Alexander Fleck verweist darauf, dass es auch um die Zukunft von drei bei der Mutter lebenden minderjährigen Kindern gehe. Schon beim Prozessauftakt hatte die Verteidigung mitgeteilt, ihre Mandantin werde keine Namen der Organisation nennen - „aus Angst“.
Staatsanwalt: Hohe kriminelle Professionalität
Staatsanwalt Parsai legt der Angeklagten hohe kriminelle Professionalität zur Last. Mitwirken bei der Betrugsmasche sei für die berufslose Mutter ein einträglicher Job gewesen. Als strafverschärfend wertet er das Heranführen von Tochter und Sohn an Kriminalität. Im Plädoyer fordert er drei Jahre und drei Monate.
Letztlich sieht der Urteilsspruch zwei Jahre und zehn Monate vor. Das Gericht habe Wiedergutmachung und Geständnis positiv berücksichtigt, erläutert Richter Schneid, betont aber: Der „Schuldgehalt“ sei für eine bewährungsfähige Strafe zu hoch. Bei den Kurierdiensten der damals strafunmündigen Tochter liege juristisch eine Beteiligung der Mutter vor. Wegen Fluchtgefahr soll der Haftbefehl in Vollzug bleiben.
Als die seit sechs Monaten in Untersuchungshaft sitzende Mittdreißigerin begreift, dass sie wieder nach Schwäbisch Gmünd ins Frauengefängnis gebracht wird, dreht sie sich laut schreiend zu ihren Angehörigen im Saal um. Ein Prozessbeteiligter, der sich mit der Sprache Romanes auskennt, glaubt herauszuhören, dass sich die Verurteilte auf das Versprechen der Familie verlassen hat, es könne nicht allzu viel passieren und es werde schon alles gutgehen.
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