Gemeinderat

Protest im Stadthaus: Bei Mannheimer Sozialträgern geht die Angst um

Demo vor der Sitzung des Mannheimer Gemeinderats. Awo und Paritätischer Wohlfahrtsverband protestierten gegen angebliche Sozialkürzungen. Bei den Räten löste die Aktion Befremden aus.

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Waltraud Kirsch-Mayer
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OB Christian Specht spricht mit Teilnehmern der Demoaktion vor dem Ratssaal. © PIX-Sportfotos

Mannheim. „Sozial oder egal? Mannheim, entscheide dich!“ prangt auf einem riesigen Plakat, das mehrere junge Menschen halten. Schräg gegenüber hat sich ein älterer Mann einen Karton mit der Aufschrift „Ich lasse mich nicht abschaffen“ um den Hals gehängt. Anlässlich der letzten Sitzung des Gemeinderates vor der Sommerpause demonstrierten rund 250 Menschen im Stadthaus gegen drohende Sozialkürzungen. Awo und Paritätischer Wohlfahrtsverband haben die Kundgebung organisiert. Auf der Tagesordnung finden sich zwar keine konkreten Einsparungsvorschläge, aber zur Diskussion steht eine Beschlussvorlage mit dem Ziel, bei der Vergabe städtischer Zuschüsse die Abläufe wie Kriterien neu zu regeln.

Manche Gemeinderatsmitglieder bleiben vor den an einer Leine aufgehängten Botschaften stehen und suchen das Gespräch, andere streben schnellen Schrittes zum Ratssaal. Dort wird am Eingang eine Erklärung des „Paritätischen“, der mehr als 50 Mitgliedsorganisationen vertritt, und der Arbeiterwohlfahrt überreicht.

Künftig soll es einen vorläufigen Zuwendungsbescheid geben

Das gemeinsame Papier betont „ausdrücklich“, die Neuordnung kommunaler Zuschussvergabe im Sinne von mehr Transparenz zu begrüßen. Das angekündigte Digitalisieren von Anträgen und samt der jeweiligen Entscheidungen findet ebenfalls Akzeptanz. Allerdings fürchten der „Paritätische“ wie auch die Awo, dass mit dem neuen Konzept die bisher übliche Praxis gekippt werden könnte, Globalzuschüsse an die Wohlfahrtspflege als strukturelle Unterstützung ihrer Verbände zu gewähren.

Die Idee, den Ablauf für freiwillige Mittel an Dritte zu verändern, reifte im Rathaus nicht von ungefähr. Schließlich ist in der Vergangenheit häufig erst während der Haushaltsberatungen unter Zeitdruck und manchmal auch wenig nachvollziehbar über Zuschüsse für Einrichtungen in freier Trägerschaft entschieden worden. Das neue System sieht eine frühzeitige Beschlussfassung in Form eines vorläufigen Zuwendungsbescheides vor – was den Antragsstellenden Planungssicherheit geben soll.

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Dazu gehört, dass sowohl das Stellen der Anträge wie deren Genehmigung beziehungsweise Ablehnung bewusst von den Etatberatungen entkoppelt und das Votum darüber in einer turnusgemäßen Gemeinderatssitzung erfolgt - und zwar ab Juni 2026. Vorgesehen ist ein Dezernat-übergreifendes digitales Angebot zum Thema Zuschüsse, das beispielsweise im Bürgerportal der Stadt laufen könnte.

Protest löst bei Räten Befremden aus

Auch wenn es zum Tagesordnungspunkt 6 viele Wortmeldungen gibt, so wird die Beschlussvorlage generell mit viel Zustimmung bedacht und am Ende einhellig, bei einer enthaltenen Stimme, angenommen. Die Redebeiträge kreisen vor allem darum, dass die Protestaktion vor dem Ratssaal Verwunderung, ja Befremden ausgelöst hat. Schließlich gehe es derzeit darum, ein System zu finden, das dem Gemeinderat erlaubt, seinen Spielraum bei der Vergabe von Zuschüssen zielgerichteter und nachvollziehbarer als bisher nutzen zu können.

Im Vorfeld hatten sowohl Oberbürgermeister Christian Specht wie Kämmerer Volker Proffen auf die dramatische Verschlechterung der Haushaltslage kombiniert mit einem Einbruch bei Steuereinnahmen hingewiesen, so dass Kürzungen unausweichlich bleiben würden. Den „Aufschlag“ protestierender Wohlfahrtsverbände bezeichnete Claudius Kranz, Fraktionssprecher der CDU, „fehl am Platze“. Ihm sei nicht klar, „was dieser Auftritt soll“, befand auch Holger Schmid, Fraktionschef der Mannheimer Liste. Kranz wie Schmid versicherten, das neue Ablaufkonzept solle keineswegs für einen „Kahlschlag“ oder sonst „eine Nacht- und Nebelaktion“ missbraucht werden.

Im Namen der SPD appellierte Melanie Seidenglanz an die Stadtratskollegen, bei den Globalzuschüssen „genau hinzuschauen“ und zu gewährleisten, dass „unsere starken Partner“ aus dem Sozialbereich bei finanziellen Entscheidungen „gut eingebunden werden“. FDP-Chefin Birgit Reinemund äußerte sich zwar über „den Auflauf“ vor der Sitzung verwundert, sprach aber von „legitimen“ Protesten, die nicht überhört werden sollten. Und Chris Rihm befand als Grünen-Sprecher für Soziales, die Angst der Bevölkerung müsse ernst genommen werden. Er verwies darauf, dass es sich fürs Erste um einen Grundsatzbeschluss handle.

Awo besorgt über Kriterien zur Zielerreichung

Soziale Arbeit benötige als „eine unverzichtbare Säule unserer Stadtgesellschaft“ eine verlässliche wie auskömmliche Finanzierung, erklärt Alexander Manz vom Vorstand der Awo Mannheim in einer am Donnerstag verschickten Pressemitteilung. „Deshalb machen wir frühzeitig auf die aktuellen Zustände aufmerksam, da es Befürchtungen zu Kürzungen im Sozialbereich gibt, denen wir klar und vehement entgegentreten wollen“.

Sorge bereite, dass künftig Kriterien für die Zielerreichung einer zu fördernden Maßnahme abgefragt werden sollen. „Aber wie will man Erfolge sozialer Arbeit messen“, fragt sich Manz. Und Philipp Gerber vom „Paritätischen“ kommentiert: „Wenn die sozialen Träger geschwächt werden, trifft es am Ende Menschen, die auf Unterstützung angewiesen sind“ – Kinder, Ältere und Menschen mit Behinderung oder Armutserfahrung.

Freie Autorin

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