Antisemitismus

Palästina-Kundgebung in Mannheim: Behörden verteidigen sich

Von 
Markus Mertens
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Zwei Tage nach einer pro-palästinensischen Kundgebung auf dem Mannheimer Friedensplatz, die in Gewalt, Hass und Antisemitismus eskalierte, bleiben zentrale Fragen noch immer unbeantwortet. Der Erste Bürgermeister Christian Specht hatte am Sonntag bei einer Solidaritätsveranstaltung für Israel im Ehrenhof des Mannheimer Schlosses einen baldigen Diskurs über den Umgang mit Kundgebungen wie der auf dem Friedensplatz gefordert. „Das ist unsere Aufgabe – und der müssen wir uns stellen“, so Specht am Sonntag.

Wer bei der Mannheimer Polizei nachfragt, ob ein Verbot der pro-palästinensischen Versammlung denkbar gewesen wäre, bekommt die Antwort, man ziehe aus den Vorkommnissen seine Schlüsse und beziehe sie auch in künftige Bewertungen ein. „Aber es müssen einfach Tatsachen vorliegen“, wie Polizeisprecher Christopher Weselek erklärt. Es sei Aufgabe der Polizei, das Versammlungsrecht zu schützen, dabei auch Spannungsverhältnisse auszuhalten und die Auflagen der Stadt umzusetzen. „Das haben wir in diesem Fall getan. Die Polizei ist konsequent eingeschritten und arbeitet mit einer Ermittlungsgruppe intensiv daran, die Täter vom Samstag zu identifizieren“, so Weselek. Auch die Stadt Mannheim teilt auf Anfrage mit, die Einsatzkräfte seien in enger Zusammenarbeit mit der Verwaltung „frühzeitig und – wie abgesprochen – niederschwellig gegen einzelne Auflagenverstöße vorgegangen“. Dies zeige sich auch darin, dass die Polizei die Kundgebung nach der Hälfte der angesetzten drei Stunden aufgelöst habe.

„Zumindest Nachlässigkeit“

Für Chris Rihm, der bei der Israel-Solidaritätskundgebung am Sonntag für die Deutsch-Israelische Gesellschaft als Vorsitzender und Initiator aufgetreten war, sind all dies schwache Argumente. „Wenn Stadt und Polizei von keiner Gefahrenlage ausgehen, weshalb sind dann starke Kräfte vor Ort, die das Geschehen überwachen müssen?“, wie der Grünen-Stadtrat kritisch fragt. Zudem habe die Stadt Mannheim nicht einmal den Versuch unternommen, die Versammlung zu verbieten. Angesichts eines Instagram-Profils mit zweifelhaftem bis strafrechtlich relevantem Inhalt, über das der Anmelder zur Kundgebung mit dem Titel „Befreit Palästina“ aufgerufen habe, sei dies zumindest als „Nachlässigkeit“, wenn nicht als „Pflichtverletzung“ zu werten. Ob das Profil Stadt und Polizei bei der Gefahreneinschätzung bekannt war, wollten die Pressestellen am Montag nicht kommentieren und verwiesen auf weiteren Prüfungsbedarf.

Derweil herrscht bei der Bewachung von Einrichtungen jüdischen Lebens Einigkeit. Wer an der Mannheimer Synagoge in F 3 vorbeiläuft, dem bleiben die Beamten nicht verborgen, die hier ein sichtbares Zeichen des Schutzes setzen wollen. Dementsprechend erleichtert zeigt sich auf Anfrage die Gemeindevorsitzende Rita Althausen, dass man nach fünf Monaten und den Vorkommnissen von vergangener Woche die Tore endlich wieder habe öffnen dürfen. Aufgrund des jüdischen Erntedankfestes Schawuot möchte sich Althausen ansonsten jedoch derzeit nicht zu den aktuellen Entwicklungen äußern.

Anders sieht das Orna Marhöfer, die die Gemeinde über Jahre als Vorsitzende führte – und mit großer Besorgnis auf die aktuellen Tendenzen in Mannheim und der Welt blickt. Marhöfer, die sich seit 1989 für den Dialog zwischen Juden und anderen Religionen einsetzt, ist von den aktuellen Angriffen der Hamas auf Israel direkt in ihrer Familie betroffen. Ihre Tochter wohnt in Tel Aviv, arbeitet für die deutsche Botschaft vor Ort und ist „von einer Ungewissheit belastet, die bis nach Deutschland reicht“. Nach jedem Raketeneinschlag, der für ihre Tochter potenziell lebensbedrohlich sein könne, sucht das Ehepaar Marhöfer telefonischen Kontakt zur Tochter.

Dass es auch in Mannheim Kräfte gebe, die behaupteten, man dürfe Israels Politik nicht kritisieren, ohne als Antisemit verbrämt zu werden, hält Marhöfer „für einen ausgemachten Unsinn. Es gibt doch keinen Staat, der so sehr kritisiert wird wie Israel. Nur muss man sich bei einer Debatte eben auf dem Boden der Tatsachen bewegen – und das gefällt nicht jedem“.

Auf den Boden der Tatsachen will auch die muslimische DITIB-Gemeinde die Diskussion um arabische Aktivisten holen, die am Samstag auch für die eskalierte Kundgebung verantwortlich waren. Mit einem Offenen Brief an die Jüdische Gemeinde sowie einem Positionspapier des Koordinationsrats der Muslime habe man Anteilnahme und Solidarität angesichts der aktuellen Situation deutlich zum Ausdruck gebracht, so der zweite Gemeindevorsitzende, Mikail Kibar. Auch müsse klar sein, dass „Beleidigungen, Volksverhetzungen und das Verbrennen von Flaggen nicht mit den Lehren des Islams und der Muslime vereinbar“ seien.

Für Orna Marhöfer ist dennoch klar, dass sie sich heute weniger noch als vor 15 Jahren traut, in der Öffentlichkeit erkennbar als Jüdin aufzutreten. Den Versprechungen der Stadt, an der Seite der Juden zu stehen, müssten umgehend Taten folgen: „Ich erwarte, dass ich diese Botschaften ernst nehmen kann – und dass sie umgesetzt werden. Sie müssen umgesetzt werden. Die schweigende Mehrheit muss endlich aufstehen und sich erheben. Sonst könnte der Preis, den wir zahlen, ein hoher sein.“

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