Mannheim. In einem „Husarenritt“ durch das Technoseum stellte die Kuratorin Anne Mahn an verschiedenen Stationen dar, dass Migration schon mit Beginn der Industrialisierung eine Rolle spielte. Die Teilnehmer am ersten Rundgang durch die Dauerausstellung erfuhren, dass es seit dem 17. Jahrhundert Ein-, Aus- und Binnenwanderungen in Südwestdeutschland gab – von den Mannheimer Privilegien 1652 über die Auswanderung nach Nordamerika im 19. Jahrhundert bis hin zur „Gastarbeit“ ab den 1960er Jahren in der Autoindustrie. „Migration ist überall“, so Mahn zu den Besuchern.
An den insgesamt elf Stationen, die dieses Thema genauer betrachten, erfuhren die Gäste viel Neues oder konnten bekanntes Wissen auf anschauliche und kurzweilige Weise wieder auffrischen. Migration war dabei fast immer mit Arbeit oder Hungersnot der Menschen verbunden. Arbeit hat daher etwas Verbindendes, hier begegnen sich alle, erklärte die Kuratorin. Stets seien diese Bewegungen von Vorteil gewesen.
Kurfürst Karl Ludwig sicherte Religionsfreiheit zu
Im Vorfeld der Ausstellung, an der ein Team über ein Jahr gearbeitet hat, wurden viele persönliche Schicksale zusammengetragen. Frühe Politik und Marketingstrategien werden beispielsweise mit den „Mannheimer Privilegien“ von 1652 porträtiert, mit denen Menschen zum Wiederaufbau der im Dreißigjährigen Krieg zerstörten Stadt angelockt werden sollten. Geschickt versprach Kurfürst Karl Ludwig darin die Befreiung vom Zunftzwang sowie die freie Ausübung aller Religionen. Damit sich viele angesprochen fühlten, wurden die Privilegien zudem ins Französische, Flämische und Niederländische übersetzt. Ziel war es, dass alle „ohne Unterschied von Nationen“ gemeinsam leben.
Die Zuwanderer wurden schon damals in die Entscheidungen der Stadt eingebunden. So geht der Name der 1679 gegründeten Eichbaum-Brauerei auf Jean de Chaine zurück. Der Wallone nannte die Brauerei nach seinem Namen – „Eiche“ heißt auf Französisch „chêne“. Übrigens war damals die Amtssprache in der Kurpfalz ebenfalls französisch, so die Kuratorin. Menschen, die ein Handwerk beherrschten, wurden bevorzugt angesiedelt. Ihnen wurde auch Land versprochen, um sich anzusiedeln.
Der nächste Meilenstein in dieser Geschichte war die 1755 gegründete Frankenthaler Porzellanmanufaktur. Vermutlich gelang dem Unternehmer Paul Anton Hannong mithilfe von Mitarbeitern aus Meißen, „hartes“, also haltbares Porzellan herzustellen. Allerdings genehmigte der französische König damals nicht die Ansiedelung einer Fabrik. Das tat dann Kurfürst Carl Theodor in einer ehemaligen Dragonerkaserne. Dort entstand das berühmte Frankenthaler Porzellan. Viele der Arbeiter kamen aus Frankreich und blieben in der Pfalz. Ein weiterer Meilenstein waren die Uhrmacher aus dem Schwarzwald, die ihre daheim gefertigten Uhren fast schon weltweit vertrieben. „Globalisierung war für diese Händler kein Fremdwort“, so Mahn, die dies an einer Lackschilduhr aus St. Georgen im Schwarzwald aus dem 19. Jahrhundert erläuterte.
Die Industrialisierung zeigte die Kuratorin an einer Fabrik aus dem Schwarzwälder Wiesental auf. Bis in die 1980er Jahre waren hier Arbeiter aus Italien, Griechenland oder der Türkei willkommen. Die Verlagerung der Produktion in Billiglohnländer änderte dies allerdings. Nach dem Wegfall der Arbeitsstelle fiel es vielen schwer, wieder Fuß zu fassen.
Missernten, die zu Hungersnöten führten, trugen dazu bei, dass viele Menschen nach Amerika auswanderten. Manche Landesherren bezahlten sogar die Überfahrt, um ihre eigenen Kosten zu senken. Ein Hungerstein aus Wertheim zeigte die Dankbarkeit der in Amerika angekommenen Neuansiedler.
Weiter ging es bei dem Rundgang mit Carl Benz, dessen Mutter aus einer Hugenottenfamilie stammte. Außerdem war er ein uneheliches Kind, aus der Beziehung mit einem katholischen Lokführer. Als „Karl Friedrich Weiland“ wird er in das evangelische Kirchenregister eingetragen. Erst ein Jahr später heirateten die Beiden. Als der Vater gestorben war, ermöglichte die Mutter ihrem Sohn durch Näharbeiten und Zimmervermietung das Studium am Polytechnikum in Karlsruhe.
Die Rückkehr in die Heimat blieb für viele ein unerfüllbarer Wunsch
In den 1970er Jahren wurden viele „Gastarbeiter“ angeworben, um das „Wirtschaftswunder“ zu begründen. „Dieses war kein Wunder, sondern mit harter Arbeit verbunden“, so Mahn und erzählte von Gürsel Ataley, der es wohl als Erster vom Fahrzeugpolsterer zum Meister bei Mercedes in Sindelfingen schaffte.
Wieder in die Heimat zurückzukehren blieb für viele ein Wunsch, der sich mangels Geld und Perspektiven nicht erfüllte. Darüber berichtete auch der im Anschluss an die Führung gezeigte Film „Kismet (Schicksal) II“ der deutsch-türkischen Filmemacherin Merve Uslu-Ersoy, der in die Welt von Fehir Ceylan und Pakize Uslu einführt. Die beiden Großmütter von Uslu-Ersoy kamen im Zuge der „Gastarbeiter“- Migration in den 1960er Jahren nach Deutschland. Anhand ihrer Geschichte ermöglicht die Filmemacherin den Zuschauern, die emotionalen Auswirkungen von Migration mitzuerleben.
„Dass Integration oder Inklusion etwas ist, was nicht nur die Eingewanderten zu leisten haben, sondern ein gemeinsamer Weg, ist keine neue Erkenntnis, muss aber immer wieder betont werden“, so Mahn am Ende.
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