Mannheim. Am 3. November 1992 versperren Polizeibeamte die Zugänge zur Tiefgarage unterhalb des Marktplatzes. Die Kripo sichert Spuren im Innern des Parkhauses. Ein neunjähriges Mädchen ist tot. Michelle. Ermordet, erdrosselt mit ihrem eigenen Schal. Von wem, weiß damals niemand. Und auch heute nicht. Denn Michelles Mörder wird nie gefasst. Der Fall gehört zu den tragischsten „Cold Cases“ der Stadt. Laut Polizei zählt er zu rund 40 „ungeklärten Todesfällen“ in den vergangenen 70 Jahren.
Wenige Stunden nach der Tat gibt die Polizei 1992 bekannt, was sie bis dahin weiß: Das Mädchen hat am späten Nachmittag einen Termin beim Kieferorthopäden in den Quadraten. Während sie behandelt wird, ist ihre Mutter in der Stadt unterwegs, um noch einige Besorgungen zu machen. Beide wollen sich in der Praxis wieder treffen. Doch Michelle verlässt das Gebäude – in ihrer lilafarbenen Jacke mit dem aufgenähten blauen Bären. Um den Hals trägt sie ihren schwarzen, bunt gepunkteten Schal.
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Dann verliert sich Michelles Spur. Ihre Mutter sucht nach ihrem Kind. Und findet den leblosen Körper ihrer Tochter 40 Minuten später in der Tiefgarage unterhalb des Marktplatzes, zwischen ihrem Auto und einem Betonpfeiler. Auf Platz 330. Ein Notarzt wird herbeigerufen, er reanimiert Michelle. Doch sie stirbt, wenige Minuten, nachdem sie ein Krankenhaus erreicht hat.
Aufgeheizte Stimmung auf dem Marktplatz
Am 4. November beginnt die Berichterstattung dieser Redaktion über den Fall Michelle. „Mädchenmord in Marktplatzgarage“ heißt es darin. Anfangs bleibt vieles vage. Etwa, ob Michelle verfolgt wurde oder in der Tiefgarage auf ihren Mörder traf. Hinweise auf eine Sexualstraftat gibt es nicht. Die Tat erschüttert die Stadt. 40 Beamte kommen zusammen, um als Soko Michelle nach dem Mörder der Neunjährigen zu suchen. Für alle Mannheimer Beamten gilt eine Dienstfreisperre, während Michelles Obduktion bestätigt: Das Mädchen wurde mit ihrem eigenen Schal erdrosselt.
Auf dem Marktplatz baut die Polizei eine lebensgroße Puppe auf, bekleidet mit Nachbildungen der Sachen, die Michelle trug, als sie ermordet wurde. Die Staatsanwaltschaft setzt eine Belohnung von 8000 Mark aus. Am Marktplatz verteilen Ermittler Fahndungszettel, die Stimmung ist aufgeheizt. Die Menschen sind wütend. Passanten sprechen vom „Schlimmsten auf der Welt“, andere erwägen Selbstjustiz, heißt es in einem Bericht dieser Redaktion. Und darin ist auch vom Schmerz und der Bestürzung die Rede, die Michelles Klassenkameraden in der 4b der Schönau-Grundschule erfasst hat. Von ihrer Trauer.
Polizei reagiert auf kursierende Gerüchte
Michelle dominiert die Schlagzeilen der nächsten Tage. „Noch keine konkrete Spur“ und „Wichtige Zeugin im Mordfall Michelle?“ heißt es darin. 250 Hinweise gehen bei der Soko Michelle ein. Bald sind es über 400. Die Ermittler suchen mit einem Phantombild einen Mann, den Zeugen in der Nähe des Tatortes gesehen haben wollen. Was sie damals nicht wissen: Sie werden den Mann nie finden. Und auch sonst niemanden, der ihnen etwas dazu sagen kann, was wirklich mit Michelle passiert ist. Wie sie starb und durch wen.
Mehr als zwei Wochen nach der Tat kursieren Gerüchte in der Stadt, die Mutter könnte etwas mit der Tat zu tun haben. Die Polizei reagiert mit einer Stellungnahme: „Es gibt oder gab keinerlei Anhaltspunkte, die ein derartiges Gerücht begründen könnten. Ein solches ist lediglich geeignet, den Schmerz der ohnehin schon leidgeprüften Familie in der Trauer um den Tod des Kindes unnötigerweise zu vergrößern.
Am 19. November 1992 wird Michelle auf dem Waldfriedhof beerdigt. 150 Menschen nehmen Abschied, heißt es in einem Bericht dieser Redaktion. In der Trauerhalle läuft Michael Jacksons „Heal The World“. Dann wird der kleine weiße Sarg zum Grab gebracht.
Ermittlungen dauern an
Danach versiegt die Berichterstattung. Wochen vergehen. Monate, Jahre. Einzelne Berichte erinnern an das, was Michelle passiert ist. Vor drei Jahrzehnten. Laut Polizei überprüft die Staatsanwaltschaft in regelmäßigen Abständen immer wieder die Ermittlungsakten. Um vielleicht doch noch einen Treffer zu landen. Weil es heute neue Ermittlungsmöglichkeiten oder kriminaltechnische Untersuchungsmethoden gibt. „Die Ermittlungen zu ungeklärten Morden werden nicht eingestellt. Mord verjährt nicht, weshalb auch die Ermittlungen andauern“, sagt eine Sprecherin des Polizeipräsidiums Mannheim auf Anfrage dieser Redaktion.
Dies gelte auch für den Fall Michelle. Allerdings ohne bisherigen Erfolg. Aber wie wahrscheinlich ist es tatsächlich, dass ein Fall nach so vielen Jahren aufgeklärt wird? Dies sei von vielen verschiedenen Faktoren abhängig, sagt die Sprecherin. Einzelfallabhängig. Eine „Wahrscheinlichkeitsberechnung“ kaum möglich. Und doch gehört sie zu den Fragen, die Michelles Familie nie losgelassen haben dürften.
Eine Nachricht eines Angehörigen erreicht diese Redaktion wenige Tage, nachdem sich Michelles Tod zum 30. Mal gejährt hat. Michelles Tod quäle ihn bis heute, schreibt der Angehörige. Und bittet um Hilfe. Darum, noch einmal mit allen Details an die Öffentlichkeit zu gehen. „Vielleicht kann sich doch noch jemand erinnern“, sagt er.
Info: Hinweise an die Polizei unter Telefon 0621/1744444
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