Mannheim. Unsere Reporterinnen und Reporter erinnern sich an prägende Augenblicke mit Angela Merkel. Von der Schlacht ums beste Bild über Kulinarisches bis hin zu einem Fauxpas mit Interviewkassetten nach einem Gespräch mit der mächtigen Politikerin: Von allem ist etwas dabei. Alle Erlebnisse eint: Sie sind unvergessen, bis heute.
Mutti, Charles, Camilla – und ich
von Lea Seethaler
Es war der Moment während meiner Hospitanz in Berlin, auf den ich gewartet hatte. Sehnsüchtig. Auf irgendeine Art der Kanzlerin begegnen. Doch es kam noch besser. Der „MM“-Hauptstadtkorrespondent, mit dem ich mein Büro teilte, kam auf mich zu: „Frau Seethaler, gehnse da hin! Frau Merkel kommt, Mutti kommt!“ Das sagte er normalerweise nur, wenn der Helikopter im Landeanflug auf das Kanzleramt war, das uns gegenüber lag.
Nachdem ich mit Markus Söder im Aufzug gefahren war, Christian Lindners Parfüm im Vorbeigehen gerochen, die Dackelkrawatte von Alexander Gauland aus nächster Nähe inspiziert und eine Wutrede von Andrea Nahles live gehört hatte, war das die Krönung. So viel stand fest.
Doch etwas war anders, als mir der Korrespondent diesen Termin-Tipp gab. Der abgebrühte Politikjournalist wusste immer, wo welche Promis zu finden waren („Hier ist Merkel, wenn sie Ruhe braucht, man kann sie aber auch abfangen“). Doch diesmal wirkte selbst er seltsam vorfreudig und aufgeregt. Irgendwas fand er lustig. Als er weiter sprach, wusste ich warum.
Sprachkenntnisse von Vorteil
„Sie empfängt Charles und Camilla, das wird ein toller Termin!“ Er brauchte wirklich nicht weiter zu reden, schon hatte ich mich in eine Akkreditierungsmaschine verwandelt. Ich schrieb Mails, scannte Personalausweis und Co. Und ja – es klappte. Nach nachrichtendienstlicher Überprüfung wurde ich zum Presseempfang mit Fototermin der Adeligen und Mutti im Kanzleramt vorgeladen.
Am Tag selbst bahnte ich mir den Weg durch die Sicherheitschleusen. Ich war sehr aufgeregt. Die Tür zum Hof des Kanzleramts ging auf, und ich stürmte los. Bänke waren aufgestellt, und ich tat alles, um den besten Platz zu erwischen. Instinktiv. Doch es dauerte nicht lange, da war plötzlich ich im Fokus der Fotografen. Aber so ganz und gar nicht, wie ich es wollte.
Auf Englisch und Französisch hörte ich es plötzlich fluchen. Und auf Deutsch tuscheln. Ich realisierte: über mich! „Die Tussi hat nicht mal ’ne Kamera!“, hörte ich in etwa übersetzt. „Was denkt die sich, hier so nach vorne zu gehen!“ Ach, herrje. Da hatte ich wohl jemand ins Tageshonorar gefunkt. Na klar, so viel Prominenz auf einmal gibt’s nicht immer. Ich rückte zumindest ein wenig zur Seite. Doch meinen besten Platz ganz oben und vorne, mit Blick auf die Promis, den gab ich nicht her. Natürlich nicht! Wir sind doch alle (Foto-)Journalisten!
Dann spitzte sich die Situation zu: Aus Pöbeln wurde Quetschen, und die Leute versuchten, mich herunter zu drängen. Insbesondere ein Fotograf einer französischen Nachrichtenagentur fluchte aufs Derbste. Dank Französisch-Leistungskurs am Gymnasium konnte ich es (leider) verstehen und (zum Glück) angemessen kontern.
Dann aber rannte ein deutscher Fotograf zu einem Pressesprecher, der vorne am roten Teppich stand. Und ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen. Er versuchte, mich zu „verpetzen“, ich hörte wieder, dass ich hier ohne Kamera überhaupt nicht sein dürfte – seiner Meinung nach. In meinem Kopf legte ich mir Sätze wie: „Bei der heutigen Bildqualität von Handykameras brauchen wir meinen Fotoplatz nicht zu diskutieren“ zurecht. Und ärgerte mich furchtbar. Nun zeigte der Fotograf beim Pressesprecher auch noch auf mich. Da wurde es mir zu bunt: „Wenn Sie ein Problem haben, können Sie es gerne direkt mit mir klären“ – brachte ich in etwa kurpfälzer Streetstyle-Charme in die Hauptstadt. Der Sprecher sah meine rote Akkreditierungskarte und winkte ab. „Alles in Ordnung“, signalisierte er dem aufbrausenden Kollegen. Ich war dankbar. Hatte ich doch kurz Angst gehabt, die Kanzlerin zu verpassen, nach dem ich ihr so nah war.
Der Aufstand der Berliner Hauptstadtfotografen-Meute war aber recht schnell vergessen. Dann nämlich, als die Kanzlerin in ihrem magentafarbenen Blazer auftrat. Und mit ihrer Aura den Ort erfüllte. Ich jedenfalls bin das nächste Mal vorsichtig, wenn ich in einem Porträt von Ausstrahlung und Charisma schreibe. Denn das, was ich hier sah, war das lebende Charisma – mit Händen in Rautenform. Muttihaft fröhlich-freundlich, schelmisch-bestimmt mischte sich hier mit einem unbewusst ausgestrahlten „Ich bin euch allen überlegen“.
Ein Blick sagt mehr als tausend Worte
Als dann Prinz Charles und Herzogin Camilla angefahren kamen, war es sowieso vorbei. Man sieht es bis heute auf dem Bild – ich genieße den Moment und sauge ihn in mir auf. Denn während die Hauptstadtfotografen-Meute ihre Bilder schießt, mache ich kein Foto. Sondern stehe nur glotzend da. Das hat sie bestimmt noch mehr geärgert, dass ich nach diesem Moment minutenlang nicht mal fotografierte. Einzig der angespannte Blick meinerseits lässt heute noch die Schlacht um den besten Platz erahnen.
Landfrauen schenken ihr Spargel
von Peter W. Ragge
Angela Merkel (l.) auf dem Maimarkt 1992 mit Ilse Merz von den Landfrauen.
Sie war damals gerade mal 15 Monate Bundesministerin für Frauen und Jugend, galt noch als „Kohls Mädchen“: Im Mai 1992 kommt Angela Merkel auf den Maimarkt, zum „Tag der Landfrau“. Der Weg ins Festzelt fällt ihr nicht leicht, ein Trümmerbruch am Fuß nach einem, wie es damals heißt, „Fehltritt“ hatte sie wenige Monate nach Amtsantritt als junge Ministerin ins Krankenhaus gezwungen und dann dazu, nur sehr langsam aufs Maimarktgelände zu laufen. Aber im Festzelt warten 2000 Landfrauen auf sie, in Bussen angereist aus Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und sogar Thüringen. Vor ihnen soll sie zum Thema „Die Deutsche Einheit – Chancen und Aufgaben der Frauen im ländlichen Raum“ sprechen.
„Sie haben mir ein schwieriges Thema gestellt“, beginnt die Ministerin ihre Rede. Aber dann scheint es doch, dass sie sich mit diesem Thema sehr wohl fühlt. Sie beklagt nämlich die „weitgehend unterschätzte Rolle der Frauen“ bei der Wiedervereinigung. Und sie spricht ihren Zuhörerinnen aus der Seele, wenn sie die „Management-Qualitäten“ der Frauen auf bäuerlichen Höfen, von der Buchhaltung bis zum Stall, lobt. „Das muss vom Staat endlich anerkannt werden“, fordert sie und bekommt als Dank einen Korb Spargel.
Erst mal ein Käsebrötchen
von Steffen Mack
Wir haben uns immer wieder mal gesehen. Aber wenn man 18 Jahre Politikredakteur war und Angela Merkel 16 Jahre Kanzlerin, ließ sich das kaum vermeiden. Natürlich war es ein extrem einseitiges Sehen, als Berichterstatter etwa bei einer CDU-Regionalkonferenz in Ludwigshafen, beim Bürgerdialog in Heidelberg oder auf Presseabenden vor Bundesparteitagen. Bei Letzteren war sie nur von Chefredakteuren umgeben (wobei eher die ihre Nähe zu suchen schienen als umgekehrt). Wurde man privat gefragt: „Wie ist die Merkel so?“, musste die Antwort stets „Keine Ahnung“ lauten. Einige wenige Eingeweihte berichteten, im kleinen Kreis sei sie sympathisch und witzig. Das hat sie bei der einzig wirklichen Begegnung, vor mehr als zwei Jahrzehnten, gut verborgen. Als damalige Umweltministerin willigte sie nach einer Pressekonferenz ein, dem jungen Reporter noch ein kurzes Interview zu geben. „Aber erst muss ich was essen“, sagte sie und griff zu einem belegten Brötchen. Für die war der Bonner Presseclub berühmt. Merkel nahm jedoch keines der leckeren mit Lachs, sondern ein schlichtes mit Käse. Das verschlang sie in einem so atemberaubenden Tempo, wie man es vorher noch nie und nachher nie wieder gesehen hat. Beim anschließenden Interview – es ging um Atomtransporte und Endlager, nicht ihre Lieblingsthemen – wuchs die Sorge, sie könnte mit dem Mikrofon gleich ähnlich verfahren wie mit dem Käsebrötchen. Tat sie natürlich nicht. Aber das Bild blieb für immer im Gedächtnis. Danke!Katholiken bejubeln die Protestantin
von Peter W. Ragge
Die protestantische Pfarrerstochter mitten unter lauter Katholiken: 2012 ist Angela Merkel Gast beim Deutschen Katholikentag. Aus diesem Anlass verewigt sie sich im „Goldenen Buch“ der Stadt – genau zwischen Bundestagspräsident (seinerzeit Norbert Lammert) und Bundespräsident (damals Joachim Gauck). Die drei ranghöchsten Persönlichkeiten im Staat auf drei genau aufeinander folgenden Seiten – das gab es in dieser Form im „Goldenen Buch“ noch nie.
Über 80 000 Menschen, darunter 33 000 Dauerteilnehmer, besuchen dieses fünftägige Großereignis der Katholiken und Mannheim ist seinerzeit ständig abends in den wichtigen Nachrichtensendungen des Fernsehens präsent. Um die Bundeskanzlerin aber live zu erleben, stehen die ersten Besucher bereits knapp zwei Stunden vor ihrer Rede im Kongresszentrum Rosengarten vor den Türen an. Als sie den Mozartsaal betritt, erheben sich die über 2000 Gäste und applaudieren, noch ehe sie einen Satz gesagt hat – ein Gänsehautmoment. Eineinhalb Stunden nimmt sie sich Zeit, um über den demografischen Wandel zu diskutieren. Dabei lobt sie das Mannheimer Jobcenter wegen seiner „sensationellen Erfolge“, dann fliegt sie vom Flugplatz Neuostheim wieder ab.
Zwei Interviews, zwei Pannen
von Stefan Proetel
Gerhard Schröder. Klar, ihr Vorgänger im Amt. Angela Merkel hatte aber hin und wieder auch mit einem anderen Schröder zu tun. Und es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass sie sich nach all den Jahren auch an diesen erinnert. Denn Michael Schröder, bis 2014 Politik-Chef und stellvertretender Chefredakteur des „Mannheimer Morgen“, führte zwei Interviews mit der späteren Kanzlerin. Und die waren, sagen wir mal: außergewöhnlich.
Im Jahr 2000 war Schröder zu einem Telefon-Interview mit der damaligen CDU-Generalsekretärin verabredet. Wegen eines Anrufs musste Merkel es kurz unterbrechen. Michael Schröder nutzte diese Zeit, um sich ihre Antworten auf dem mit dem Telefon verbundenen Tonband anzuhören – und hörte nur ein Rauschen: Er hatte vergessen, den Aufnahmeknopf am Telefon zu drücken. Merkel reagierte professionell, wie Schröder später einmal in einem „MM“-Beitrag schrieb.Ein Jahr später, Merkel war mittlerweile CDU-Bundesvorsitzende, unterlief Schröder beim Wechseln der Aufnahmekassetten ein Fehler: Die erste Hälfte des Interviews wurde von der zweiten Hälfte einfach überspielt – was er erst auf dem Rückweg aus Berlin merkte. Angela Merkel, so erinnerte sich der „MM“-Politikchef später, sagte damals sinngemäß: ihr sei klar geworden, dass der Name des Bundeskanzlers offensichtlich in Deutschland kein Unikat ist.
Lautsprecher der Partei versagt
von Peter W. Ragge
Stürmischer Beifall in der Alten Feuerwache: Als 2003 der Deutsche Städtetag in Mannheim zu Gast ist, kommt Angela Merkel – aber nicht in den Rosengarten. Dort findet drei Tage lang die Hauptversammlung mit 1200 deutschen Oberbürgermeistern, Bürgermeistern und Stadträten statt. Merkel beehrt aber nur den Fraktionsabend ihrer Partei. Zuvor gibt sie dem „MM“ ein Interview. Ihre Gastgeber in der Alten Feuerwache sind seinerzeit Sven-Joachim Otto, damals Fraktionsvorsitzender der CDU im Gemeinderat, sowie der Kreisvorsitzende und Bürgermeister Rolf Schmidt. Sie weisen stolz darauf hin, dass die Union seit 1999 in Mannheim stärkste Kraft sei und viel bewegt habe. Das „gilt das zu bewahren und fortzusetzen. Hierfür benötigen die Kommunen eine solide Finanzausstattung und nicht weiter den Griff in die Kasse durch den Bund“, fordert Otto. Merkel ist 2003 CDU-Bundesvorsitzende und Oppositionsführerin im Bundestag. Sie baut in ihre Rede in der Alten Feuerwache viele ironische Spitzen gegen die rot-grüne Bundesregierung ein und fordert: „Kommunen müssen wieder einen eigenen Gestaltungsspielraum bekommen.“ Die Mannheimer Christdemokraten lobt sie nicht nur für das „gemütliche Ambiente“ in der Alten Feuerwache, sondern ermuntert sie: Sicher werde Mannheim auch eines Tages einen OB der CDU haben, „wie Ludwigshafen, Kiel und viele andere Städte, von denen man es nie gedacht hat“. Wovon derzeit aber keine Rede mehr ist. . .
Als Wahlkämpferin für ihre Partei ist Angela Merkel allerdings nicht oft in Mannheim. 2001 kommt sie im Januar zum CDU-Landesparteitag in den Rosengarten. Sie zieht zu den Klängen von „We are the Champions“ in den Musensaal ein. Im März 2001 ist sie wieder da. Die Großkundgebung ist der offizielle Abschluss des Landtagswahlkampfes in Baden-Württemberg. 2002 macht sie bei ihrer Sommertour zum Bundestagswahlkampf auf dem Paradeplatz Station – aber die Lautsprecheranlage versagt. „Bedauerlich, dass sie hier technisch so schlecht ausgestattet sind“, beginnt Merkel ihre 30-minütige Rede. Ob es daran liegt? Seither ist nur noch ein einziger Wahlkampfauftritt von Merkel in Mannheim im Archiv vermerkt, nämlich 2011 im Rosengarten – mit funktionierender Lautsprecheranlage. Zuvor tritt sie bereits 2006 beim Bundesmittelstandstag im Rosengarten auf. Erstmals in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin kommt sie 2008, um im Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) über die Finanzkrise zu sprechen. Aber wirklich oft zu Gast ist sie nicht in der Quadratestadt.
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