Mannheim. Es ist ein Buch der Aha-Effekte, der unzähligen Momente, in denen man denkt: Ja, genau, stimmt, richtig, so war es damals. Es ist ein Buch, mit dem man sich gerne, wenngleich vielleicht etwas nostalgisch verklärt, zurückerinnert. „Aufgewachsen in Mannheim in den 70er und 80er Jahren“ heißt es, von Hartmut Ellrich mit viel spürbarem Lokalpatriotismus verfasst und jetzt in der Quadratebuchhandlung vorgestellt.
Für ihn ist das auch eine Zusammenstellung davon, „was ich verloren habe“, sagt Ellrich, denn der gebürtige Mannheimer lebt inzwischen 300 Kilometer entfernt als Buchhändler in Ohrdruf in Thüringen, wo er das Haus von Vorfahren übernommen hat. Aber obwohl er sich dort auch kulturell und für den Denkmalschutz engagiert, spürt man sehr deutlich, dass sein Herz weiter in und für Mannheim schlägt.
„Wo geschafft wird“
Dass er Historiker ist, merkt der Leser daran, dass das Buch eben nicht nur aus persönlichen Erinnerungen besteht. Es gibt eine Chronik, die vom März 1970 mit der Einweihung der Gedenkstätte für die Opfer des Nationalsozialismus bis zur Ausstellung „100 Jahre Wasserturm“ in der Kunsthalle und der Glockenweihe der Gethsemanegemeinde in Waldhof-Ost im November 1989 reicht.
Sonst ist es, wie Ellrich einräumt, „ein sehr subjektives Buch“ geworden. Das liegt schon daran, dass er zumindest die ersten Jahre einen Schwerpunkt auf den Mannheimer Norden legt – eben die Gegend, wo er aufgewachsen ist. „Aber die Zeit hat mich geprägt, sehr positiv geprägt, ja geerdet“, sagt er heute dazu und ist stolz darauf, von dort zu kommen, „wo die Leute Bodenhaftung haben und wo geschafft wird“.
Buch und Autor
- Buch: „Aufgewachsen in Mannheim in den 70er & 80er Jahren“ von Hartmut Ellrich, 64 Seiten, zahlreiche Fotos und einordnende historische Texte, Wartberg Verlag, 14,90 Euro.
- Hartmut Ellrich, 1970 geboren, im Mannheimer Norden aufgewachsen, Abitur am damaligen Peter-Petersen-Gymnasium, ist Historiker, war 2000 bis 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte der Ludwig-Maximilians-Universität München
- Er arbeitete danach an der Vorbereitung des Schlossmuseums mit und veröffentlichte mit Alexander Wischnieski ein Buch über das Schloss. Er lebt jetzt als Historiker und Buchhändler in Ohrdruf. pwr
Die ersten Seiten, wo sich etwa Babyfotos, das familiäre Weihnachtsidyll und Ausflüge mit den Eltern finden, sind schon sehr persönlich. Aber denkt man an den Slogan „Das Private ist politisch“, der auch aus den 1970er Jahren stammt, hat das schon seine Berechtigung. Dass Väter etwa nicht bei der Geburt dabei sind, nur wenige Mütter arbeiteten und es „Kindergartentanten“ statt – wie heute – Erzieherinnen gibt, stehen eben für eine völlig andere Zeit, obgleich sie doch gar nicht so lange her ist.
Viel spannender, weil sich eben der Wiedererkennungseffekt schnell einstellt, sind die Seiten ab 1975. „Dabei wirkten zwei Jahre wie ein Beschleuniger“, schreibt Ellrich zu 1975 und 1979. Sehr gut wird in dem Buch besonders die gewaltige, damals bereits für Kinder und Jugendliche spürbare Aufbruchstimmung deutlich, die ab 1975 durch die Bundesgartenschau in Mannheim um sich greift. Ellrich beschreibt prima das Gartenschaufieber, die herrlichen, von einem Kletternetz überspannten blauen Babbelplastbälle auf der Freizeitwiese im Luisenpark, die Wasserspritzpistolen-Anlage im Herzogenried und den Wunsch, bei den Blumen- und Gemüseschauen in der (längst abgerissenen) Merohalle von den Erdbeeren zu naschen. Zu solchen einschneidenden stadtgeschichtlichen Ereignissen liefert Ellrich außer Erinnerungen immer ein paar Zahlen und Fakten mit.
Was die Stadt früher positiv geprägt hat
Beim „Jahr des Kindes“ 1979 schwärmt er geradezu, was das alles für junge Mannheimer bringt. Da ruft er Erinnerungen an die erste Stadtrallye für Kinder wach, an das neu gegründete Kinder- und Jugendtheater „Schnawwl“, die neu eröffneten Jugendhäuser und Gymnasien, das Spielmobil und die Konzertreihe für junge Leute. Dazu gehören ebenso Reisen mit dem „Interrail-Ticket“ oder die schlimmen Gefühle an der Grenze bei Klassenfahrten in die DDR – und dann die Euphorie nach der Grenzöffnung.
Zu einer Kindheit in den 1970er und 80er Jahren in Mannheim zählt ebenso, in Schuhgeschäften wie Altschüler oder Favorit die Rutsche herunterzusausen. War das nicht herrlich?! Aber manche Schilderungen von Ellrich machen beim Lesen zugleich ein bisschen traurig. Dem heftigen Geruch der Schokinag oder im Norden vom „Stinkkanal“ sowie wegen Kriegsschäden lange unbebauten Innenstadt-Grundstücken wie D 3 oder D 5 trauert zwar sicher keiner nach. Aber Ellrich zeigt ebenso, was die Stadt früher positiv geprägt hat: Die Habereckl-Brauerei in Q 4 etwa und zahlreiche schöne Geschäfte, die alle verschwunden sind.
„Unsere Stadt ist jung und jung geblieben“, endete der Autor. Er meint wohl sich selbst, wenn er schreibt, dass mancher, der nicht mehr in „seinem Mannem lebt“, die Stadt aus der Ferne noch mehr liebt und erkennt, was ihm fehlt. „Es war eine wirklich andere Welt“, so Ellrichs Fazit des anekdotenreichen, manchmal auch etwas wehmütigen Buches aus einer Zeit ohne Computer. Aber manche Sachen kommen wieder – etwa der Sirenen-Probealarm. „Wir krochen im Grundschulalter anfänglich brav unter die Tische und kamen bei der Entwarnung wieder hervor“, schreibt er. Heute muss man den Leuten erst wieder erklären, was die Signale bedeuten.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim_artikel,-mannheim-mit-lokalpatriotismus-und-nostalgie-buch-ueber-mannheimer-geschichte-vorgestellt-_arid,2012803.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/mannheim.html