Mannheim. Gleich zwei Blutspuren führen aus dem Lokal mitten auf der Mittelstraße. Die eine schlängelt sich in einen Hinterhof direkt um die Ecke, die andere quer über die Straßenbahnschienen. Diese Blutspur, so viel wissen die Ermittler bereits, gehört einem 37-Jährigen.
Er soll sich nach einem Streit in einem Lokal mit einem großen Messer auf eine Frau gestürzt haben, die daraufhin blutüberströmt durch einen Nebenausgang aus dem Lokal flüchtet.
Der Mann folgt der 45-Jährigen, so der aktuelle Ermittlungsstand, verletzt sich selbst mit der vermeintlichen Tatwaffe, die er einfach auf die Straße wirft – bevor er sich dann kurz danach ebenfalls blutüberströmt und schwer verletzt im Polizeirevier Neckarstadt den Beamten stellt. Noch ist nicht genau klar, was sich in der Neckarstadt-West an diesem Donnerstag kurz nach elf Uhr am Vormittag abgespielt hat.
Die Polizei hat die Straße großflächig abgesperrt, ist mit einer Vielzahl von Einsatzkräften vor Ort. Nur die Straßenbahn darf hier passieren. Schaulustige tummeln sich am Absperrband, blicken immer wieder zum Eingang des Lokals. Dort hat die Spurensicherung gerade in weißen Overalls damit begonnen, Beweise am Eingang zu sichern. Auch Polizeisprecher Patrick Knapp ist vor Ort, berichtet, was die Ermittler herausgefunden haben, wie es Angreifer und Opfer geht: Die Frau selbst ist schwer verletzt, sie kann sich nach ihrer Flucht aus dem Lokal in ein Gebäude retten, wird nun im Krankenhaus versorgt. Die Kriminalpolizei hat die Ermittlungen übernommen, und sie dauern an. Aber auch der Angreifer ist in Polizeigewahrsam, wird medizinisch im Krankenhaus versorgt. Später erklärt die Polizei auch: Bei dem Mann handelt es sich nicht um den Ex-Partner der schwer Verletzten. Wie der Beziehungsstatus der beiden ist und warum der 37-Jährige die Frau plötzlich mit einem Messer attackiert hat, das sei noch Gegenstand der Ermittlungen, so Knapp.
Tat weckt Erinnerung an Mordfälle
Am Rand des Tatorts brodelt bereits die Gerüchteküche. Pflastersteinleger und Anwohner Angelo Bonello steht mit seiner Frau und den zwei Kinder am Absperrband und erklärt: „Ein Freund hat mich informiert, ein Postbote soll das alles gesehen haben, die Frau kam schreiend aus dem Lokal gerannt.“
In der Zwischenzeit kommen immer mehr Anwohner, Bäckerei-Mitarbeiterinnen oder Anlieferer mit ihrer Ware zum Absperrband, sie wollen zu ihren Läden oder ihren Wohnungen. Vereinzelt lässt sie ein Polizist durchlaufen, muss andere dagegen immer wieder darauf hinweisen: „Bitte nicht weiterlaufen!“ Weil ein kleines Schulmädchen zu ihrer Wohnung am Capitol muss, aber eben nicht durch die Mittelstraße laufen darf, eskortiert sie der Beamte kurzerhand selbst nach Hause, sicher vorbei am weitläufig abgesperrten Tatort. Als in der Menge der Schaulustigen die Sprache auf den vermeintlichen Täter kommt, brummt ein Mann im Vorbeigehen nur „Bulgare“ und verschwindet im Eingang einer Eckkneipe.
„Hat uns nicht überrascht“
Auch mehrere junge Frauen stehen mit ihren Kindern am Straßenrand, ob sie sich nun unsicher hier fühlen oder Angst haben? „Das hat uns nicht überrascht, in der Mittelstraße passiert eh immer etwas“, sagt eine von ihnen.
Sie erinnern sich noch gut an den Mord am Kioskbesitzer Mohamad K., einem Mann aus dem Libanon, vor sieben Jahren. Damals ersticht ihn der 30-jährige Italiener Giuseppe beim Überfall auf den Kiosk in der Mittelstraße. Der Mann gesteht zwar später die Tat beim Gerichtsprozess am Mannheimer Landgericht. Erklärt aber mehrfach über seinen Anwalt, er sei zu dem Raub und auch dem Mord angestiftet worden. Die Frau, die ihn nach Deutschland gelockt, ihm Arbeit und Geld in Aussicht gestellt hatte, habe ihn an diesem Abend betrunken gemacht und „stundenlang hypnotisierend“ auf ihn eingewirkt, bis er endlich losgezogen sei. Am Ende verurteilt ihn der Richter zum Mörder und lebenslanger Haftstrafe.
Während die Ermittler auf der Straße und im Lokal zu Gang sind, zählen die wartenden Anwohnerinnen noch einen weiteren Mord auf: Im Sommer 2020 hatte ein wohnsitzloser Iraker einen 35-jährigen Studenten erschlagen – mit der Sektflasche in dessen Wohnung in der Laurentiusstraße. Der Grund: Der Bekannte hatte ihn anders als versprochen nicht bei sich übernachten lassen wollen. Ein Jahr später verurteilt das Landgericht den 34-Jährigen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
Mittelstraße wieder frei
Und auch den jüngsten Vorfall, bei dem der polnische Zeitarbeiter Piotr W. im Juli 22 starb, haben die Anwohnerinnen nicht vergessen. Nur wenige Tage nach seinem Einzug in die Dachgeschoss-Wohnung in der Bürgermeister-Fuchs-Straße finden Beamte seinen leblosen Körper. Zwei seiner ehemaligen Mitbewohner müssen sich wegen Totschlags im Januar 2023 vor Gericht verantworten, es folgt ein wochenlanger Prozess.
Wie es nun in der Mittelstraße weitergeht? Nach mehreren Stunden geben die Einsatzkräfte die Straße wieder frei. Wie schwer die Verletzungen sowohl des Angreifers als auch der geflüchteten 45-Jährigen sind, sei noch nicht bekannt, ebenso seien die Hintergründe zur Tat weiterhin unklar. Zeugen, die Angaben zum Tathergang oder dem Tatverdächtigen machen können, werden gebeten, sich beim kriminalpolizeilichen Hinweistelefon unter 0621/174 44 44 zu melden.
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