Ein Fackelzug mit der Botschaft „Unser OB soll bleiben“ als Motivationsschub für eine weitere Kandidatur, die mit einem Stimmergebnis von 99,8 (!) Prozent gekrönt wird. Angesichts der Biografie des Mannheimer Oberbürgermeisters Hans Reschke reiben sich nachfolgende Generationen erstaunt die Augen. Der Grandseigneur-Politiker ohne Parteibuch, der als distanzierter, aber gleichwohl bürgernaher Preuße die Mannheimer zu begeistern wusste, ist am 17. Oktober vor 25 Jahren 91-jährig gestorben. Die Quadratestadt prägte er von 1956 bis 1972. Eine Ära.
Im Rückblick mutet eigentümlich an, dass es SPD-Oberbürgermeister Hermann Heimerich war, der mit dem christdemokratischen Rechtsanwalt Florian Waldeck und einem bürgerlichen Block den promovierten Verwaltungsjuristen Hans Reschke als seinen Nachfolger ins Spiel brachte. Zu den Unterstützern gehörte auch die gerade gegründete freie Wählervereinigung „Mannheimer Liste“ (ML), die Jahrzehnte später ihre Auszeichnung für ehrenamtliches Engagement „Reschke Taler“ nennen sollte.
Der Polit-Coup gelang im ersten Wahlgang: Hans Reschke, Hauptgeschäftsführer der IHK-Mannheim sowie der Kommunalen Arbeitsgemeinschaft Rhein-Neckar, so etwas wie die Keimzelle der späteren Metropolregion, setzte sich 1955 mit 51 Prozent gegen den sozialdemokratischen Kandidaten Werner Jacobi durch. Und das in einer SPD-Hochburg. Der Gegenpaukenschlag kam schnell - eine Wahlanfechtung. Grund: Reschke hatte zwar das Urteil der Spruchkammer über seine Aktivitäten im Dritten Reich veröffentlicht, aber seine Zugehörigkeit zum SD (Sicherheitsdienst) verschwiegen. Über ein Jahr sollte es dauern, ehe das Bundesverwaltungsgericht als letzte Instanz die Einsprüche verwarf. Am 10. Dezember 1956 endete die Rathaus-Interimszeit mit verwaistem OB-Sessel.
Ungewöhnliche Biografien
Journalistin Ulla Hofmann, die von Anfang an Reschkes Karriere begleitete, blickt zurück: „Ihm gelang schon bald, Gräben zuzuschütten.“ Und die Historikerin Gabriele Mark schreibt in ihrem Buch „Mein Weg bleibt Mannheim“ über Hans Reschke als Oberbürgermeister „zwischen Wiederaufbau, Neubeginn und Zukunftsgestaltung“: „Seine kultivierte Art, gepaart mit einer Portion Humor, machten es leicht, dem neuen Stadtoberhaupt mit Sympathie zu begegnen.“ Obendrein sei er ein „Meister der Rede“ gewesen. Da der parteilose Reschke über keine Hausmacht verfügte, leistete er quer durch die Fraktionen Überzeugungsarbeit. „Ein moderierenden Modernisierer“, so sieht ihn der heutige OB Peter Kurz.
Reschke, der beharrliche Diplomat, war in vielem seiner Zeit voraus - auch in puncto Transparenz. „Seine monatlichen Pressekonferenzen im Weinzimmer des Rosengartens, damals eine kleine Sensation“ , erzählt Journalistin Hofmann. Das Geheimnis seines politischen Erfolgs lag wohl auch in seinem Charisma. Selbst die Gewerkschaft ÖTV habe Reschkes „Chef-Qualitäten“ gelobt, schreibt Historikerin Mark und führt aus: „Wenn ein Bürgermeister mit seinem Latein am Ende war, musste Reschke mit seiner natürlichen Autorität aushelfen - beispielsweise bei Verhandlungen mit Stuttgart.“ Und da setzte der Goethe-Kenner schon mal Zitate ein. Ulla Hofmann erinnert sich, wie Reschke Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger launig mit dem Faust-Zitat empfing: „Von Zeit zu Zeit seh‘ ich den Alten gern, und hüte mich, mit ihm zu brechen.“ Mit Bundeskanzler Willy Brandt, der Reschke als „Leuchtgestalt in Mannheim“ empfand, verband ihn eine fast freundschaftliche Polit-Beziehung.
In der Stadtgeschichte einmalig: Mit einem Fackelzug motivieren Mannheimer am 11. Mai 1962 Hans Reschke für eine zweite Amtszeit zu kandidieren, statt nach Köln zu gehen. (Bild: Bohnert und Neusch)
Vogelstang: Eines vieler Projekte
Es war die Zeit der Wohnungsnot im zerstörten Mannheim, aber auch des Wirtschaftsaufschwungs, als Reschke seinen Förderer ablöste. Und den zeichnete ebenfalls eine ungewöhnliche Laufbahn aus: Schließlich hatte Hermann Heimerich bereits 1928 bei der Mannheimer OB-Wahl triumphiert - was damals für Schlagzeilen wie „Erster Sozi auf südwestdeutschem Oberbürgermeister-Sessel“ sorgte. Als er sich 1933 weigerte, am Rathaus die Hakenkreuzfahne hissen zu lassen, nahmen Nazis den Unbeugsamen in „Schutzhaft“. Nach dem Krieg trat Heimerich 1949 seine zweite Amtszeit an. Von ihm vorangetriebene Projekte lagen auch seinem Nachfolger am Herzen, beispielsweise der Nationaltheater-Neubau. Dieser hatte sich solange hingezogen, dass Reschke, frisch gekürtes Stadtoberhaupt, den als supermodern gerühmten Bühnenbau am Goetheplatz mit Festakt einweihte. Gerhard Weber, der auch die neue Hamburger Staatsoper entworfen hatte, sollte wenig später bei der Biennale in Sao Paulo als bester Theaterarchitekt ausgezeichnet werden.
Eine neue alte Spitze für den kriegsbeschädigten Wasserturm. Ein Ausbau des Jugendstiljuwels Rosengarten statt eines Saales auf der grünen Wiese. Eine Medizin-Fakultät als Wegbereiterin zur Universitätsmedizin. Eine Wirtschaftshochschule als Grundstein einer Mannheimer Universität. Ein zukunftsträchtiger Industriestandort durch Erschließung der Friesenheimer Insel. Ein Stadtteil vom Reißbrett namens Vogelstang. All diese Projekte fielen in seine Amtszeit - mit ihnen kontroverse Debatten. Gleichwohl blieb Reschke beliebt, ja bewundert. Und deshalb wollten die Mannheimer ihren OB nicht nach Köln ziehen lassen, wo ihm der Deutsche Städtetag die Hauptgeschäftsführung anbot. Der eindrucksvolle Menschenzug vom Paradeplatz zum Rosengarten mit Vereinsabordnungen, Spielmannszügen, Reitergruppen und Wirtschaftsleuten bewegte das Stadtoberhaupt zu bleiben. Bei seiner zweiten OB-Wahl nominierte die SPD 1964 erst gar keinen eigenen Kandidaten.
Elefanten am Rathaus
Bei runden oder halbrunden Geburtstagen wurde Hans Reschke „wie ein vom Volk gewählter Kurfürst gefeiert“, hat einmal der „MM“ kommentiert. Davon kann Zeitzeugin Ulla Hofmann so einiges erzählen: Wie der Sarrasani-Zirkusdirektor mit vier Elefanten am Rathaus auftauchte. Wie die gerade verstaatlichte Polizei einen mit Vergissmeinnicht-Blümchen verzierten Gummiknüppel als Geschenk schickte. Wie ein kiloschwerer Band mit Gratulationen von Weggefährten aus aller Welt überreicht wurde. Oder wie ein Hinweis im „Mannheimer Morgen“, dass sich Reschke an seinem Sechzigsten einen Besuch der „Zauberflöte“ wünsche, 900 Theaterkarten bescherte - so dass der OB mit Rathaus-Beschäftigten seinen Geburtstag magisch-theatralisch feiern konnte.
Schnappschuss 1987: Journalistin Ulla Hofmann (r.) blieb mit Anette und Hans Reschke auch nach der OB-Zeit in Kontakt. (Bild: privat)
Mit einem Polit-Coup hatte er begonnen, mit einem Überraschungscoup endete seine OB-Laufbahn vier Jahre vor Ablauf der Amtszeit: 1972 zog sich Hans Reschke mit seiner Frau Anette - das Paar hatte drei erwachsene Söhne und zahlreiche Enkel - ins Private zurück. Einstimmig erkannte ihm der Gemeinderat die Auszeichnung als Ehrenbürger zu. Den Bloomaulorden als höchste bürgerschaftliche Würdigung sollte er drei Jahre später bekommen. Auch im Ruhestand engagierte sich Reschke für die Stadt: So hat er als Testamentsvollstrecker der Geschwister-Reiß-Stiftung erreicht, dass sechs Millionen Mark aus dem Nachlass in die Kunsthallen-Erweiterung flossen. Die letzten Jahre verbrachte er gesundheitlich angeschlagen mit seiner Frau in der Seniorenresidenz Niederfeld. Hans Reschke ruht in einem Ehrengrab der Stadt Mannheim auf dem Hauptfriedhof.
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