Interview

Mannheims OB Kurz verteidigt den Verkehrsversuch

"Wir würden ja nicht Punkte ändern, wenn alles super gelaufen wäre": Dennoch verteidigt Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz den Verkehrsversuch. Im Interview spricht er auch über das Städtebündnis "Urban 7".

Von 
Walter Serif
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© Christoph Blüthner

Herr Kurz, im Rahmen der deutschen G7-Präsidentschaft hat sich ein Städtebündnis der sieben Industrienationen formiert – nämlich die Urban 7. Die Abkürzung U7 ist in der Öffentlichkeit aber offensichtlich unbekannt. Ich habe U7 und Bürgermeister gegoogelt und bin bei einem Artikel des Berliner „Tagesspiegel“ zur U-Bahn gelandet. Können Sie den Lesern erklären, welche Ziele die Urban 7 verfolgen?

Peter Kurz: Wir wollen den Städten ein größeres Gewicht beimessen – und zwar auf internationaler und nationaler Ebene.

Die Städte werden vernachlässigt?

Kurz: Ja, wir könnten die großen Herausforderungen besser meistern, wenn die Städte nicht nur die Politik umsetzen, sondern diese auch mitgestalten könnten. Wir haben besonders in der Pandemie gesehen, wie wichtig die lokale Ebene ist.

Hatten Sie da Probleme als Oberbürgermeister, das hohe Tempo mitzuhalten?

Kurz: Das Vorurteil, dass da bei Ihnen mitschwingt, nämlich dass die Kommunalverwaltung langsam ist, trifft nicht zu. Im Gegenteil, ich glaube, dass Städte generell schneller reagieren müssen als andere staatliche Ebenen. Die Erwartungshaltung an uns steigt ständig. Wir werden immer an der Geschwindigkeit gemessen. Außerdem müssen wir spartenübergreifend denken. Das fängt schon bei den Debatten in den Stadtteilen an: Wohnungsbau, Kindergartenversorgung, öffentliche Sicherheit. Die Politikfelder gehen fließend ineinander über.

Die Städte sollen also bestimmte Entscheidungen selbst treffen und Subjekte statt Objekte sein?

Kurz: Natürlich. Wir wollen mehr Gestaltungsmöglichkeiten und Freiheit. Man könnte zum Beispiel den Städten die Vorgabe machen, dass sie nicht nur alle Vorschulkinder betreuen müssen, sondern diese auch einen bestimmten Entwicklungsstand im sechsten Lebensjahr haben sollen. Am Ergebnis könnte man die Leistung der Kommunen bemessen. Bisher wird den Städten stattdessen haarklein vorgeschrieben, wie viele Quadratmeter und wie viel Personal die Kitas haben müssen. Das ist reine Inputsteuerung. Und am Ende muss alles gleich aussehen.

Hört sich alles gut an, aber wie realistisch sind denn diese Ziele?

Kurz: Es ist ein dickes Brett. Bei der Stadtentwicklung ist die Kommune auf nationaler Ebene zwar ein Thema. Wir wollen aber kein Thema, sondern ein Akteur sein. Es muss zwar einen nationalen Rahmen geben. Bei der Rahmensetzung sollten die Kommunen aber dabei sein.

Der Deutsche Städtetag meldet sich doch ständig zu Wort. Ist der Einfluss der Kommunen wirklich so gering?

Kurz: Wenn es um die konkrete Gestaltung von Politik geht, schon. Es gibt in Deutschland keinen institutionalisierten Dialog zwischen dem Bund und den Kommunen, weil wir zu den Ländern gehören. Der Städtetag wird deshalb angehört wie ein Industrieverband. Und bei der EU mussten wir uns wehren, dass wir nicht ins Lobbyregister geraten. In der Abschlusserklärung der UN-Klimakonferenz in Glasgow tauchen die Städte erst nach unserem Protest doch auf. Jetzt heißt es dort: Wichtige Partner sind die Jugend, indigene Völker, der Privatsektor und die Kommunen.

Alles zusammengewürfelt.

Kurz: Das ist ein zäher Kampf. Angela Merkel hat von 2005 bis 2015 keinen Anlass gesehen, mit den Kommunen direkt in Kontakt zu treten. Dann kam die Flüchtlingskrise, danach die Dieselkrise und schließlich die Pandemie. Seitdem gibt es wenigstens punktuell einen Dialog. Wir wollen aber einen größeren Einfluss auf die Strategieentwicklung und einen direkten Draht zu den Ministerien. Und wir wollen mitentscheiden.

Peter Kurz

  • Peter Kurz wurde am 6. November 1962 in Mannheim geboren.
  • Der SPD-Politiker übernahm 1994 den Vorsitz der Gemeinderatsfraktion. 1999 wurde er Bildungsbürgermeister. Seit 2007 ist er Oberbürgermeister.
  • Kurz ist seit 2018 auch Präsident des baden-württembergischen Städtetags und seit 2019 Vorsitzender des Global Parliament auf Mayors. Er engagiert sich im World Urban Forum und im internationalen Städtebündnis Urban 7

Denken Sie da an eine spezielle Gesetzgebungskammer für die Kommunen neben dem Bundestag und dem Bundesrat?

Kurz: Ich kann mir auch eine dritte Kammer vorstellen. Auf EU-Ebene gibt es den Ausschuss der Regionen, in dem die Kommunen vertreten sind. Sie sind in alle Gesetzgebungsverfahren, die sie betreffen, formell einbezogen. Das könnte man auch in Deutschland machen.

Wollen Sie auch mehr Geld?

Kurz: Ja. Der Bund und die Länder geben von sich aus Leistungsversprechen ab, die nicht ausfinanziert sind. Und das müssen die Kommunen ausbaden.

Meinen Sie die Unterbringung der Flüchtlinge aus der Ukraine?

Kurz: Das ist jetzt aktuell eine zusätzliche Herausforderung. Das meinte ich nicht, aber die Rechtsansprüche zum Thema Kinderbetreuung und insbesondere der Schulkindbetreuung machen uns zu schaffen.

Die Stadt Mannheim hat einige Klagen verloren.

Kurz: Das zeigt, dass uns schon die praktische Realisierung große Probleme bereitet. Die staatlichen Leistungen werden vor allem auf der kommunalen Ebene breit ausgeweitet. Soziales, Betreuung, Bildung, Teilhabegesetz, Inklusion. Das kostet alles viel Geld.

Im normalen Leben muss bezahlen, wer bestellt.

Kurz: Es wäre schön, wenn das auch in der Politik so wäre.

Sie sammeln als internationaler Städtebotschafter viele Eindrücke. Welche Kommune im Ausland hat für sie denn Vorbildcharakter?

Kurz: Kopenhagen ist sicher ein Leuchtturm, was die Entwicklung der Lebensqualität angeht. Die Stadt ist ein Vorbild im Ausbau des Radverkehrs und hat ein verkehrsberuhigtes Zentrum.

Gibt es bei Ihnen manchmal auch Neidgefühle? Die „New York Times“ hat im vergangenen Jahr die Bahnstadt in Heidelberg als Musterbeispiel für eine klimafreundliche Entwicklung gefeiert.

Kurz: Es ist immer gut, wenn unsere Region international wahrgenommen wird. Wir brauchen uns aber vor Heidelberg nicht zu verstecken. Die Entwicklung in Franklin geht in eine ähnliche Richtung. Ich erwarte, dass es in zwei, drei Jahren solche Artikel über Mannheim geben wird. Ich sehe zwischen den zwei Städten eher eine Entwicklung im Gleichklang. Aber natürlich sind die Rahmenbedingungen anders. Stichwort Klimaschutz. Es ist ökonomisch leichter, ein Passivhaus in Heidelberg als in Mannheim zu realisieren, weil die Mieten eben unterschiedlich hoch sind. In Heidelberg rechnete sich das schon vor Jahren.

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Mit Ihrem Versuch, Ihr Vorbild Kopenhagen auf die Mannheimer Verhältnisse zu übertragen, könnten Sie böse auf die Nase fallen. Das Echo des Handels auf den Verkehrsversuch ist doch desaströs. Die Hälfte der Geschäftsinhaber fordert, dass Sie den Versuch sofort stoppen sollen.

Kurz: Mit Ihrer Frage implizieren Sie, dass die Menschen oder die Kultur in Mannheim und Kopenhagen grundsätzlich unterschiedlich sind. Aber in allen Städten werden – eben zeitversetzt – sehr ähnliche Debatten geführt. Und die Entwicklung war auch in Kopenhagen nicht konfliktfrei.

Das heißt, Sie stoppen den Verkehrsversuch nicht? Sind Sie ein Überzeugungstäter, ein Dickschädel oder beides?

Kurz: Ich teile Ihre Bewertung des Versuchs nicht. Das Bild auch bei den Händlern ist gemischt. Sie sprechen zurecht von der Hälfte. Wir haben auch eine positive Kampagne für die Innenstadt an den Anfang gesetzt, die aber auch von Händlern konterkariert worden ist.

Ihre Kommunikationspolitik ist nicht besonders toll gewesen.

Kurz: Wir würden ja nicht Punkte ändern, wenn alles super gelaufen wäre. Man muss aber auch die Kirche im Dorf lassen. In Ihrer Zeitung habe ich doch gelesen, dass manche Passanten, die auch mit dem Auto gekommen sind, gar nicht mitbekommen haben, dass es überhaupt einen Verkehrsversuch gibt.

Glauben Sie, dass der Handel verstanden hat, dass eine Stadt nicht nur zum Einkaufen da ist, sondern auch, um etwas zu erleben?

Kurz: Ja, das sehen viele auch für sich als notwendig. Das Erlebnis wird noch viel mehr im Vordergrund stehen. Und der Wandel bietet auch Chancen: Eine Fußgängerzone, die nach 21 Uhr nur noch ein Kino hat und sonst nichts, ist natürlich nicht das Sinnbild einer lebendigen Stadt.

Zurück zu Ihrer Arbeit in der Urban 7.

Kurz: Gut, denn ich möchte noch mal betonen, dass es schon vorangeht. Die G7 würdigt auch in der Abschlusserklärung die Rolle der Kommunen. Am Montag konnte ich mit der Bauministerin den deutschen Pavillon auf dem World Urban Forum eröffnen. Und im September werde ich als Vertreter der U7 an der Stadtentwicklungs-Ministerkonferenz der G7 in Potsdam teilnehmen. Das ist zum ersten Mal, dass ein kommunaler Vertreter am Tisch einer G7-Konferenz sitzt.

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Das ist ein sehr enger Terminkalender. Lässt sich daraus ablesen, dass sich ihre Lebensplanung weg von Mannheim orientiert?

Kurz: Nein, das zeigt, dass sich Mannheim internationalisiert hat. Und dass ich als Interessenvertreter für unsere Anliegen, ich bin ja Präsident des Städtetags Baden-Württemberg, eben auch international unterwegs sein will. Im Übrigen findet mittlerweile diese Arbeit meistens über Videokonferenzen statt.

Sie könnten aber trotzdem Mannheim den Rücken kehren und etwas anderes machen?

Kurz: Noch mal: Das alles mache ich als Oberbürgermeister von Mannheim. Und die U7 habe ich ja auch von Mannheim aus koordiniert. Ob ich wieder als Oberbürgermeister kandidieren werde, habe ich aber noch nicht entschieden.

Wirklich nicht?

Kurz: Ja.

Sie sind noch mitten im Abwägungsprozess?

Kurz: Ja.

Und das hat nichts mit wahltaktischen Gründen zu tun, nach dem Motto: Wenn ich es jetzt bekannt gebe, bin ich im Dauerwahlkampf und werde verschlissen?

Kurz: Nein.

Sie wissen es wirklich noch nicht?

Kurz: Ja.

Aber wäre es für Sie nicht die Krönung Ihrer Karriere, wenn Sie Mannheim bis 2030 klimaneutral machen könnten?

Kurz: Die Weichenstellungen dafür erfolgen in diesen Wochen und Monaten. Klar ist, das kann jeder sehen, dass meine Ambitionen bei der täglichen Arbeit jetzt nicht gemindert sind. Die Frage ist, ob es diese Perspektive für mich auch noch für acht weitere Jahre geben würde.

Redaktion Reporter für Politik und Wirtschaft

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